Es ist eigentlich ein Moment der Emanzipation. Kimberly Denise Jones ist nach dem Sex gerade von dem rappenden Fleischberg namens Notorious B.I.G gestiegen. Sie zieht sich an und rappt dabei selbst ein bisschen vor sich hin. B.I.G. ermutigt sie, und Jones wird immer lauter, steigert sich in den aggressiven Sprechrhythmus hinein, verwendet dieselben Gangsta-Vokabeln wie die Jungs an den Straßenecken. "Hey", sagt da Christopher Wallace alias Biggie Smalls alias Notorious B.I.G, der bald ihr Produzent sein wird und von dem dieser Film handelt: "Wenn eine Frau das macht, muss es sexy klingen". Okay, sagt Jones, und baut ein paar "Schwänze" und "Pussys" ein. Später wird er ihr auch noch raten, fürs Albumcover die Hosenträger einfach ohne Hemd zu tragen. Okay, sagt Jones wieder, und wird damit endgültig ein klassisches Film-Stereotyp der schwarzen Frau: die sexy Schlampe.
Der Film "Notorious B.I.G." erzählt davon, wie ein schlauer, dicker Dealer aus dem New Yorker Stadtteil Brooklyn in wenigen Jahren zu einem der berühmtesten Rapper der amerikanischen Ostküste aufsteigt, wie er sich mit einem Rap-Label von der Westküste überwirft, wie er erschossen wird - und sich so in einen der größten Sterne am HipHop-Himmel verwandelt.
Wütend und sexy
Die Geschichte ist ein einziges Klischee, wenn auch ein zum Teil historisch belegtes, und setzt sich aus solchen zusammen. Sie präsentiert weitgehend ungebrochen fast die ganze Bandbreite der Hollywood-Stereotype der schwarzen Frau. An den Rändern, wohin der massive, breite Biggie Smalls die weiblichen Figuren in "Notorious B.I.G." drängt, wirkt der Film sogar fast wie eine kurze, prägnante Zusammenfassung einer "Geschichte der schwarzen Frau im Hollywood-Film".
Da ist nicht nur die sexy Schlampe Kimberly Jones, die als Lil'Kim mit ihren lasziven Reimen berühmt wurde, sondern auch ihre Nachfolgerin im Bett des Notorious B.I.G, Faith Evans, die gleich zwei der gängigen Rollenklischees in sich vereint: Sie ist R&B-Sängerin, und sie ist eine "angry black woman", eine wütende schwarze Frau. Als Wallace sie mit einer anderen Frau betrügt, tritt sie die Hotelzimmertür ein und schlägt um sich.
Die singende Furie ist die Variante einer anderen Stereotype, vielleicht der am meist verbreiteten: die starke schwarze Frau. Sie tritt oft auf als "single Mom", als toughe, alleinerziehende Mutter, die ihren Kindern den Weg freiboxt. Wallace lässt drei "single Moms" zurück. Seine erste Frau, Faith Evans - und zeitweise auch die eigene Mutter. Die wird übrigens gespielt von der einzigen Hollywoodgröße im Film: Angela Bassett ("Strange Days", "Tina").
"So war das eben"
"Der Film erzählt ein Leben. So war das eben", sagt Angela Bassett. "In dem Fall kann man das kreativ nicht groß verändern." Die 50-Jährige sitzt auf einem ockerfarbenen Stuhl an einem runden Tisch in einem etwas düsteren Berliner Hotelzimmer. In der Ecke steht das Filmplakat, auf dem der Schauspieler zu sehen ist, der Notorious B.I.G spielt. Bassett ist in Berlin, um den Film zu bewerben. Was soll sie anderes sagen. So war das eben.
Es ist ein Argument, das auch den schwarzen Frauenrechtlerinnen, die diese Stereotypisiererei der großen Filmstudios beklagen, immer wieder vorgehalten wird: Es gibt sie doch, diese alleinerziehenden Mütter. Sie leisten doch Unglaubliches. Bassett weiß es ja selbst. Ihre Mutter war auch so eine, hat gerackert, damit ihnen niemand den Strom abdreht, und nebenbei die Kinder erzogen. Das ist auch völlig richtig. Das Schlimme ist nur: Es fehlen die anderen.
"Es gibt bloß das 'Dicke-Mama-auf-der-Couch'-Syndrom oder das 'Freche-Schwester-von-der-Ecke'-Syndrom", hat die schwarze Schauspielerin Sheryl Lee Ralph einmal beklagt: "Wo sind all die anderen Frauen, die deine Ärztinnen sind, deine Anwältinnen, deine Freundinnen?" Claire Huxtable steht immer noch ziemlich alleine da. Sie war die Mutter in der TV-Erfolgsserie "Bill-Cosby-Show". Ihr Beruf: Anwältin.
Die schwarzen Frauen, die es in "Notorious B.I.G." zu etwas bringen dürfen, singen und/ oder zeigen ihre Brüste. Der Film weist auch Symptome des "Dicke-Mama-auf-der-Couch-Syndroms" auf - die Rolle fällt der ersten von Wallace verlassenen Frau zu. Dass es für schwarze Frauen durchaus eine Alternative zum gesellschaftlichen Erfolg als R&B-Sängerin gibt, wird mit Mutter Wallace allenfalls zaghaft angedeutet. Es hätte keines allzu großen kreativen Aufwands bedurft, das im Rahmen des historisch Verbrieften ein bisschen stärker zu betonen.
Immer noch "Vom Winde verweht"
Dabei hat Hollywood schon einen ziemlich weiten Weg zurückgelegt, seit mit Hattie McDaniel 1939 die erste schwarze Frau einen Oscar erhielt. Für eine Nebenrolle in "Vom Winde verweht": McDaniel spielte die vorlaute, schwarze Haushälterin Mammy. Ihre komplette Karriere habe aus Stereotyp-Rollen bestanden, notiert die Online-Ausgabe der "New York Times". Den zweiten Oscar für eine schwarze Frau in einer Nebenrolle gab es erst 51 Jahre später. Er ging an Whoopi Goldberg, die in "Ghost - Nachrichten von Sam" eine überdrehte Hellseherin spielte - auch nicht gerade eine Claire Huxtable. 2006 wurde Jennifer Hudson ausgezeichnet, die in "Dreamgirls" mehr sang als sprach. Den ersten Oscar für eine Hauptrolle nahm Halle Berry 2002 für "Monster's Ball" entgegen. Interessanterweise hatte sich Angela Bassett geweigert, die Figur zu spielen, weil ihr die Rolle der Witwe eines Hingerichteten "wie eine Art Prostituierte" vorkam. Wieder so ein Klischee. Auch Bassett selbst war einmal für den Oscar nominiert. 1993 hatte sie in "Tina - What's love got to do with it" Tina Turner gespielt - wieder eine Sängerin.
Bloß nicht nachfragen
Manche schwarze Hollywood-Schauspieler glauben, dass die Oscar-Juroren es belohnen, wenn ein Film Stereotype verstärkt, statt sie zu hinterfragen, hat das Nachrichtenmagazin "Newsweek" vor zwei Jahren festgestellt. Die Anhänger dieser Theorie dürfte es fast ein wenig verwundern, dass "Notorious B.I.G." bei der diesjährigen Vergabe des Goldjungen gar nicht auf der Nominierten-Liste stand. Unter den Kandidatinnen für die Nebenrollen-Auszeichnung waren diesmal zwei schwarze Frauen: Die eine spielt eine wütende Mutter, die andere ein Kindermädchen.