"Anemone" Daniel Day-Lewis zurück im Kino: Wie der Vater, so der Sohn?

  • von Christopher Diekhaus
Ob höhere Mächte am Werk sind, fragen sich die Veteranen und Brüder Jem (Sean Bean, links) und Ray (Daniel Day-Lewis).
Ob höhere Mächte am Werk sind, fragen sich die Veteranen und Brüder Jem (Sean Bean, links) und Ray (Daniel Day-Lewis).
© 2025 Focus Features/Universal
Acht Jahre nach seinem Rückzug aus dem Rampenlicht feiert der dreifache Oscar-Preisträger Daniel Day-Lewis sein Comeback auf der großen Leinwand. In "Anemone", dem Regiedebüt seines Sohnes, spielt er einen einsiedlerischen Veteranen des Nordirlandkonfliktes, der Besuch von seinem Bruder erhält.

2017 endete, vorerst, die ebenso erfolgreiche wie ungewöhnliche Karriere des Schauspielers Daniel Day-Lewis. Nach Paul Thomas Andersons psychologischem Drama "Der seidene Faden" zog sich der gebürtige Londoner aus dem Filmgeschäft zurück, um sich anderen Dingen zu widmen. Ein echter Verlust für das Kino, das der notorisch selten drehende Brite mit magnetischen, akribisch vorbereiteten Darbietungen nachhaltig geprägt hatte. Bislang ist er der Einzige, dem es gelang, drei Mal den Oscar als bester männlicher Hauptdarsteller (ausgezeichnet für "Mein linker Fuß", "There Will Be Blood" und "Lincoln") zu erringen.

Acht Jahre nach seinem selbst gewählten Rückzug meldet sich der öffentlichkeitsscheue Day-Lewis mit einem Auftritt zurück, bei dem sich Wirklichkeit und Fiktion ein wenig überlagern. Grund für sein Comeback ist das Regiedebüt seines Sohnes Ronan Day-Lewis, das von den Beziehungen zwischen Vätern und ihren männlichen Nachkommen sowie der Weitergabe toxischer Verhaltensweisen erzählt. Auch für das Drehbuch zeichneten die beiden verantwortlich.

Komplizierte Familienstruktur

In einer vielleicht etwas ironisch gemeinten Zuspitzung seines echten Lebens verkörpert der dreifache Oscar-Preisträger in "Anemone" einen Mann, der sich tief in den Wald zurückgezogen hat. Geradezu ehrfürchtig fängt die Kamera diesen Ray genannten Veteranen des Nordirlandkonfliktes in den ersten 15 Minuten ausschließlich von hinten ein, zögert einen frontalen Blick auf ihn hinaus. Ist er dann endlich richtig zu sehen, fällt auf: Großartig verändert hat sich Day-Lewis nicht. Die Haare sind grauer geworden, ja. Ansonsten wirkt er aber noch genauso drahtig und präsent, wie man ihn kennt.

Worum es geht: Rays Bruder Jem (Sean Bean) sucht den Einsiedler nach Jahren der Funkstille auf, um ihn in den Kreis der Familie zurückzuholen. Einer Familie, deren Beziehungen maximal kompliziert sind. Jems Ehefrau Nessa (Samantha Morton) war einst mit Ray liiert, bis dieser einfach von der Bildfläche verschwand. Sein Sohn Brian (Samuel Bottomley) wurde demzufolge von Jem großgezogen, den der junge Mann als seinen Vater ansieht. Da Brian aktuell eine schwere Krise durchlebt, ist Ray Nessas letzte Hoffnung. Vielleicht kann er helfen.

Das Wiedersehen der Geschwister bringt allerdings erst einmal viel Vergangenheitsbewältigung mit sich. Traumata – ein knallharter Vater, Missbrauch durch einen Priester und der Schatten des Krieges – bestimmen die Gespräche zwischen Ray und Jem. Parallel geben Szenen mit Nessa und Brian etwas mehr Auskunft über die Situation des aus der Bahn geworfenen Sohns. Dafür, dass sein Dilemma die Handlung überhaupt erst ins Rollen bringt, bleibt die Figur trotz Samuel Bottomleys eindringlicher Performance etwas zu schemenhaft.

Zwischen Schweigen und Monologen

Was mit der Zeit ebenfalls ins Auge sticht: "Anemone" ist ein ambivalenter, man könnte auch sagen unentschlossener, Film. Mal längere Zeit ohne Worte auskommend, dann wieder sehr dialog- beziehungsweise monologlastig. Im Kern ein geerdetes Drama über schmerzhafte Erfahrungen und unbequeme Entscheidungen, gleichzeitig aber auch immer mit dem Mysteriösen und Übernatürlichen flirtend. Wohl nicht von ungefähr heißt es an einer Stelle sinngemäß, dass höhere Mächte am Werke seien. Kein Zufall sind die wiederkehrenden gottgleichen Perspektiven auf das Geschehen am Boden und die symbolisch aufgeladenen Naturbilder.

Regisseur Ronan Day-Lewis weiß, wie man Atmosphäre erzeugt. Aber längst nicht alle inszenatorischen Ideen greifen gleich gut ineinander. Zudem hätte man die Geschichte nicht unbedingt auf zwei Stunden aufpumpen müssen. Ganz so viel Substanz hat sie dann nämlich auch wieder nicht.

Zusammengehalten wird der manchmal holprige Film jedoch von Daniel Day-Lewis, dessen Ausstrahlung noch immer in den Bann zieht. Allein eine Szene, in der Ray von einem Treffen mit seinem früheren Peiniger aus der Kirche berichtet, verlangt dem Hauptdarsteller eine ganze Bandbreite an Emotionen ab. Wut, Schmerz, hysterische Freude – all das bündelt Day-Lewis so gekonnt und intensiv, dass sich die Passage tief ins Gedächtnis gräbt. Möge "Anemone" nicht die letzte Leinwandarbeit dieses großen Schauspielers gewesen sein!

Anemone, im Kino ab: 27.11.2025

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