Eigentlich ist "Lion - der lange Weg nach Hause" ein Film mit zwei Teilen. Und es ist vor allem der erste Teil, der die Zuschauer tief bewegen wird. Der australische Regisseur Garth Davis erzählt die tragische Geschichte eines kleinen indischen Jungen, der verloren geht und erst über 20 Jahre später wieder in seine Heimat findet. Das Besondere daran: Dies ist kein Hollywood-Märchen, sondern wirklich so passiert.
In seiner Autobiografie schrieb der Australier Saroo Brierley 2014 seine unglaubliche Lebensgeschichte auf, die jetzt auf der Leinwand erlebbar wird. Der Film beginnt im Indien der 80er Jahre. Saroo, gespielt vom indischen Nachwuchsschauspieler Sunny Pawar, ist fünf Jahre alt und lebt mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in größter Armut. Davis nimmt die Zuschauer mit in Saroos Alltag: Wir sehen ihn beim Spielen mit seinem großen Bruder, beim Kuscheln mit seiner Mutter, beim Arbeiten für ein bisschen zu essen. Ein hartes Leben, ja, aber auch ein unschuldiges und glückliches für das Kind.
Ein Film, der die Ur-Angst eines jeden Kindes aufgreift: Die Mutter zu verlieren
Doch eines Nachts passiert es: Saroo klettert am Bahnhof in einen leerstehenden Zug - und schläft ein. Als er aufwacht ist er über tausend Kilometer von seinem Heimatdorf entfernt und kennt nicht einmal seinen kompletten Namen. Fortan schlägt er sich als Straßenkind in Kalkutta durch. Es ist bemerkenswert, wie Sunny Pawar - der hier in seiner ersten Filmrolle zu sehen ist - diese Ur-Angst vor der Trennung von der Mutter darzustellen weiß. Tausende Kinder wurden im Vorfeld für die Rolle gecastet, mit Pawar hat das Filmteam einen Glücksgriff getan. Der Junge trägt die komplette erste Hälfte des Films scheinbar mühelos, kann Emotionen eindringlich wiedergeben.
Als Saroo schließlich von einem australischen Ehepaar (Nicole Kidman und David Wenham) adoptiert wird, macht "Lion" einen Cut und setzt 20 Jahre später wieder ein. Saroo ist jetzt durch und durch Australier und wird gespielt von Dev Patel, der für diese Rolle für einen Oscar als bester Nebendarsteller nominiert wurde. Auch Kidman darf auf die Auszeichnung hoffen. Wobei neben ihrem soliden Spiel vielleicht auch der persönliche Aspekt für die Nominierung Ausschlag gab: Kidman ist selbst Adoptivmutter, ihr ging die Rolle sicherlich nah. Wie der erwachsene Saroo sich auf die schmerzhafte Suche nach seinen Wurzeln macht und schließlich mit Hilfe von Google Earth tatsächlich seine alte Heimat findet, ist nett anzusehen, kommt aber nicht an die Intensität der Szenen in Indien heran.
Trotzdem ist "Lion - der lange Weg nach Hause" ein empfehlenswerter Film, der zu Herzen geht.
