Ein Treffen mit Charlotte Gainsbourg Die unberührte Sexgöttin

Im Wim-Wenders-Film "Everything will be fine" trauert Charlotte Gainsbourg um ihr Kind. Ein Gespräch mit einer furchtlosen Schauspielerin über explizite Szenen, Schüchternheit und Lars von Trier.

Charlotte Gainsbourg - Ausnahmeschauspielerin, Musikerin, Fotomodell, Tochter von Serge Gainsbourg und Jane Birkin - hat sich in ihrem Fauteuil ganz klein gemacht. So wirkt der ohnehin fragile Körper der Turbofranzösin noch zerbrechlicher. Dazu der fahrige Blick, der doch irgendwie auch intensiv ist. Und dann diese Stimme: perfektes Englisch mit rauchig-französischem Unterton. Alles an dieser Frau scheint nicht ganz hier, ohne dass man weiß, wo der Rest ist. Dabei will man es unbedingt wissen.

Gainsbourg gilt Männern wie Frauen als Sexsymbol. Ihre Aura vermeintlicher Indifferenz macht die 43-Jährige unwiderstehlich. Dazu kommt ihre komplette Angstlosigkeit vor der Kamera, die sie zur Muse des Skandalregisseurs Lars von Trier machte, mit dem sie Extremkino wie "Antichrist" und "Nymphomaniac 1 und 2" gedreht hat. Gerade ist die Mutter dreier Kinder im neuen Wim-Wenders-Film "Everything will be fine" im Kino zu sehen - neben James Franco und Rachel McAdams. In dem Drama über einen Schriftsteller, der aus Versehen ein Kind tötet, spielt Gainsbourg die Mutter, die ganz anders reagiert alls erwartet.

"Everything will be fine" - alles wird gut. Ist das auch ein Motto für Sie?


Meine englische Mutter hat vor dem Schlafengehen immer gesagt: "Morgen ist ein neuer Tag". Jeder Mensch hat seine eigene Art, mit dem Leben klarzukommen.

Und wie machen Sie es?


Man muss Enscheidungen treffen. Jeden Tag mehr.

Zum Beispiel?


Bei all den Möglichkeiten und dem Wissen, das wir haben, müssen wir uns entscheiden, was wir ablehnen. Du kannst nicht alles annehmen. Du kannst dich nicht mit allem beschäftigen.

Aber das wird in Zeiten der Informationsflut zunehmend anstrengend.


Ich glaube nicht, dass wir so viel mehr wissen. Wir glauben es nur. Ich weiß nicht, ob das alles in die richtige Richtung geht. Aber ich will nicht pessimistisch sein. (lächelt)

Glauben Sie daran, dass Menschen heilen können?


Oh ja! Entweder das oder du stirbst. Mein Charakter hat keine Wahl. Sie muss sich um ihren Sohn kümmern, der überlebt hat. Wir sehen nicht jeden Schritt ihrer Trauer, aber sie entscheidet sich, weiterzumachen.

Betrachtet man Ihre Filmografie, scheinen Sie völlig angstfrei in Ihre Rollen zu gehen. Immer wieder spielen Sie diese unfassbar starken Frauen. Sind Sie manchmal selbst eingeschüchtert?
Manchmal ja. Mich auf diese Rolle einzulassen - oder auch die in "Antichrist" - war wirklich schmerzhaft, denn es geht um den Tod des eigenen Kindes. Das sind Situationen, in denen schöne Gedanken keinen Platz haben. Das ist hart, aber vielleicht auch sehr befreiend. Was mich anzieht, ist die Inspiration, nicht die Traurigkeit. Ich denke nicht, dass ich für trauernde Charaktere gemacht bin. Aber sie geben mir etwas.

Was genau suchen Sie in der Schauspielerei?


Ich will Spaß haben! (lacht)

Interessante Rollenauswahl...


Ja, genau deshalb! Rollen auszuloten macht Spaß. Selbst wenn sie schwierig und düster sind. Ich konnte das erste Mal mit Wim Wenders arbeiten. Ich habe viel Neues gelernt, ich habe mir den Charakter zu eigen gemacht. Das ist aufregend. Das mag ich.

Sie haben gerade auch eine Komödie gedreht: "Heute bin ich Samba". War das einfacher oder schwieriger für Sie?


Es war ein großer Spaß, mal etwas anderes zu machen. Aber während der Dreharbeiten kam es zu diesem schrecklichen Unfall (Der Tod ihrer Schwester, Anm.d.Red.), deshalb kann ich nicht sagen, dass der ganze Dreh toll war. Ich habe mich sehr leer gefühlt.

Sie wirken im Gespräch sehr zurückgenommen, alles andere als extrovertiert. Und dann machen Sie diese Filme, in denen Sie wortwörtlich alles geben. Keine andere Schauspielerin ist wohl je so weit gegangen wie Sie in der Klitoris-Szene in "Antichrist". Wie passt das zusammen?


Oh ja, das war extrem. Es ist wunderbar, schüchtern sein zu können. Ich denke, egal welchen schüchternen Menschen Sie fragen, wir haben alle Lust auf Extreme, weil wir sie im wahren Leben nicht erleben. Ich jedenfalls nicht. Die Möglichkeit, in einem künstlichen Leben zu weit zu gehen, ist ziemlich magisch.

Und es gibt immer ein Sicherheitsnetz.


Wissen Sie, die Leute sagen, ich sei mutig. Das höre ich gern, aber das stimmt nicht. Ich arbeite mit Lars (von Trier). Er ist ein Genie. Die Arbeit mit ihm ist zwar nicht immer lustig, es kann heftig werden, auch verstörend, aber deshalb mache ich den Job ja. Um mit so einem brillanten Menschen arbeiten zu können. Ich habe Glück, aber ich bin nicht mutig.

Sie haben mal gesagt, dass es für den Kopf anstrengender sei als für den Körper. Was heißt das bei einem Film wie "Nymphomaniac"?


Was ich in einer emotionalen Szene durchmache, ist viel schlimmer, als meinen Hintern zu zeigen. Das stört mich nicht. Menschen haben verschiedene Grenzen.

Kann man wohl sagen. Sind diese Filme auch kathartisch?


(längere Pause) Ich denke schon. Sie sind ganz sicher auch ein intensives Vergnügen. Aber ich will nicht immer verstehen, wo das Vergnügen herkommt. Wissen Sie, ich fühle mich gar nicht wie eine professionelle Schauspielerin. Ich habe nicht alles unter Kontrolle, ich bin nicht immer fähig. Meistens ist es Zufall, wenn es funktioniert. Natürlich provozieren wir es, aber es kann auch nicht klappen. Lars sucht immer nach Zufällen, das macht es so ehrlich. Da kannst du nicht so tun als ob.

Wie werden Sie Ihre extremen Charaktere und deren Gefühle eigentlich wieder los? Haben Sie ein Reinigungsritual?


Der Film ist das Reinigungsritual. Ich neige dazu, schnell zu vergessen. Wenn es vorbei ist, ist es vorbei. Ich behalte nichts.

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