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Spider-Man Produzent Ein Held für alle Fälle

Neustart: Tom Holland kämpft als Spider-Man gegen Waffendealer – und die Pubertät
Neustart: Tom Holland kämpft als Spider-Man gegen Waffendealer – und die Pubertät
© Chuck Zlotnick/AP
Der Mann, den fast keiner kennt - und der doch alles lenkt: Kevin Feige ist Präsident der Marvel Studios und dominiert mit Spider-Man, Iron Man & Co. seit zehn Jahren die Kinos. Eine Begegnung.

Da steht sie wieder im Raum, die vermaledeite Frage. Ob es denn nicht langsam mal genug ist mit diesen Superhelden? Ob die Menschheit in Zeiten von Trump und IS, von Klimawandel und Flüchtlingsströmen wirklich noch mehr Filme braucht über Typen in Latex- oder Metallanzügen, die sich dank ihrer Kräfte zu Weltenrettern aufschwingen und in Selbstjustiz suhlen?

Wenn Kevin Feige diese Frage hört, rückt er sich die Baseball-Kappe auf dem Kopf zurecht und versucht, sehr milde zu schauen aus seinen blassblauen Augen. Als müsse er nun erklären, warum Pommes so verdammt lecker schmecken oder warum Donald Duck nie Hosen trägt. "Ich werde das seit 2003 gefragt", sagt er lächelnd. "Bei jedem neuen Superhelden-Film heißt es: Oh, schon wieder! Oh, noch eine Fortsetzung! Aber wir machen einfach die Art von Filmen, die wir selbst gern sehen würden, und wir hoffen, dass die Welt das ähnlich sieht."

Captain America war in den 40er Jahren ein anderer als nach Watergate

Auch wenn sich die Welt ändert? "Unsere Figuren ändern sich doch mit. Captain America war in den 40er Jahren ein anderer als nach Watergate. Und Iron Man spielt beispielsweise in Afghanistan."

Die Popkultur ist ein seltsames Ding. Mal kommt sie leise schwirrend daher wie diese Fidget Spinner, die derzeit gefühlt jedes zweite Kind auf den Fingerspitzen kreiseln lässt. Mal spießig, wenn sich plötzlich alle "hygge" fühlen und so einrichten wollen wie die gemütlichen Dänen. Und doch sind es nur Fußnoten, verglichen mit den Produktionen jenes Mannes, der den Massengeschmack und die Vorlieben einer Generation so entscheidend mit beeinflusst hat wie: Kevin Feige.

Der Boss der Superhelden: Begegnung mit Kevin Feige, dem Präsidenten der Marvel-Studios
Der Boss der Superhelden: Begegnung mit Kevin Feige, dem Präsidenten der Marvel-Studios
© Intertopics/Zuma Studio

Ein untersetzter, freundlicher Amerikaner, der gern versucht, sich kleiner zu machen, als er ist. Nicht nur, weil er sehr tief und mit verschränkten Beinen auf dem Sofa sitzt. Feige spricht langsam und betont deutlich, als wolle er sicher gehen, dass seine Botschaft auch genau ankommt. Seit nunmehr zehn Jahren steht er an der Spitze der Marvel Studios, also jener Filmfirma, die mit einer Armada von vielen starken Männern und wenigen Frauen die Kinos weltweit fest im Griff hält. Allein vier der fünf erfolgreichsten Superhelden-Werke aller Zeiten stammen aus seiner Ägide. Gesamteinspielung der Marvel-Produktionen: umgerechnet mehr als zehn Milliarden Euro. So viel Geld, dass man damit allen Hamburgern ein Jahr lang die Steuern erlassen könnte.

Wenn ab dieser Woche ein neuer Spider-Man über die Leinwände schwingt, dürften die Kassen wieder randvoll laufen. "Er ist eine Ikone, der Diamant in der Krone", erklärt Feige. "Von keinem anderen unserer Helden verkaufen wir mehr Spielzeug, mehr T-Shirts und Schlafanzüge."

"Wir wollen uns ständig verbessern. Neue Dinge ausprobieren und Erwartungen brechen"

Dabei hatte Marvel die Filmrechte an seinem besten Umsatzbringer bislang an den Konkurrenten Sony abgetreten; es entstanden ab 2002 drei Filme mit Tobey Maguire in der Titelrolle, ab 2012 zwei mit Andrew Garfield. Nun kehrt der Spinnenmann zurück in die kreative Obhut von Feige und seinem Team, mit dem erst 21-jährigen Briten Tom Holland als Hauptdarsteller. "Wir wollen uns ständig verbessern. Neue Dinge ausprobieren und Erwartungen brechen", erklärt Feige die Strategie. Was für den Streifen "Spider-Man: Homecoming" bedeutet, dass nicht schon wieder gezeigt wird, wie er von einer Spinne gebissen oder wie sein Onkel erschossen wird. Und Spinnenmanns Tante sieht nicht mehr aus wie eine verknitterte Seniorin, sondern wie die jung gebliebene Schauspielerin Marisa Tomei, Jahrgang 1964.

Frau mit Power: Scarlett Johansson als Black Widow
Frau mit Power: Scarlett Johansson als Black Widow
© image.net

Trotzdem fällt es natürlich leicht, sich über das Genre zu mokieren. Über Menschen, die sich in kunterbunte Outfits zwängen und durch die Gegend hasten wie ein Taucher in Neopren auf der Suche nach einer Toilette. Kinderfasching für Erwachsene, die Fäuste schwingen und markante Reden. Neben den realen Problemen des Globus mag dieses Gehabe merkwürdig und mickrig wirken. Eskapismus pur und wenig relevant. Aber wer hat nicht schon mal als Kind geträumt, fliegen zu können? Oder wie Obelix mit einem einzigen Hieb alle Gegner abzuräumen?

Wir leben gerade nicht nur in der Blütezeit der TV-Serien, sondern auch im Goldenen Zeitalter der Comic-Verfilmungen. Nur bei der Oscar-Academy hat sich das offenbar noch nicht herumgesprochen. Ein paar Auszeichnungen in den technischen Kategorien, mehr war nicht. Lediglich Heath Ledger konnte für seine Nebenrolle als Joker im Batman-Film "The Dark Knight" gewinnen, aber da war er bereits tot. "Vielleicht denken die Academy-Mitglieder, je kommerzieller ein Film ist, desto weniger künstlerisch kann er sein", sagt Feige. "Das ist für mich eine Beleidigung!"

Gute Schauspieler sind mehr wert als jeder Spezialeffekt

Feige empfindet so, weil es Marvel und die Konkurrenz von Warner oder Fox längst geschafft haben, die ganz großen Schauspieltalente in ihre Capes zu wickeln. Robert Downey Jr. hat mit Iron Man seine Karriere reanimiert und einen globalen Sympathieträger erschaffen. Scarlett Johansson bezirzt als Black Widow die Zuschauer nicht nur wegen ihrer Schlagkraft. Und Benedict Cumberbatch kann nicht nur Hamlet und Sherlock, sondern auch Doctor Strange. "Benedict war schon ein Weltstar, bevor er bei uns anheuerte. Er war vorher noch nie in so einem großen Film", sagt Feige. "Das Publikum ging vor allem seinetwegen ins Kino, nicht wegen seiner Rolle. Aber ich nehme das gern in Kauf." Gute Schauspieler seien eben mehr wert als jeder Spezialeffekt.

Was das Rezept für einen Blockbuster ist? Das Publikum immer wieder überraschen und überwältigen, sagt Feige. Die Planung und Durchführung eines Kinoabends erfordere Anstrengung: "Die Leute brauchen einen Grund, ins Auto zu steigen, einen Babysitter zu buchen und Tickets zu bestellen. Sie wollen Spektakel. Etwas, was ihnen ihr Fernseher oder der Blick aus dem Fenster nicht bieten können."

Und nicht alles bierernst nehmen. Als der Donnergott Thor erstmals auf der Erde landet, stürmt er in ein Zoogeschäft:

"Ich brauche ein Pferd."

"Ähm, wir haben hier nur Hunde, Katzen, Vögel."

"Dann geben Sie mir einen, der groß genug ist, um darauf zu reiten."

Der Hammer: Chris Hemsworth als Donnergott Thor
Der Hammer: Chris Hemsworth als Donnergott Thor
© Jay Maidment/Walt Disney

Oder die schon legendäre Szene am Ende des ersten Avengers-Films, als nach getaner Arbeit und Schlacht Iron Man, Captain America, Thor und die anderen schweigend um einen Tisch sitzen und Schawarma essen, während hinter ihnen schon zusammengefegt wird. Auch Helden brauchen mal Feierabend.

Wie lange der Hype um Marvels Recken noch dauern könne, sei schwierig zu sagen, sagt der Marvel-Boss, weil die Begeisterung und Treue der Zuschauer noch kein Limit erkennen lasse. "Western sind auch 40 Jahre lang sehr gut gelaufen im Kino, und es gibt sie auch heute noch."

Beachtlich an Marvel ist nicht nur der anhaltende Kassenerfolg. Die Macher aus dem kalifornischen Burbank haben sich inzwischen eine komplette Parallelwelt möbliert, bei Fans bekannt als "Marvel Cinematic Universe". Vereinfacht gesagt hat in diesem Kosmos alles mit allem zu tun. Handlungsflüsse fließen ineinander, Hauptfiguren besuchen sich in ihren Filmen wechselseitig. So taucht in einem Captain-America-Film eben mal Spider-Man auf, um die Situation zu retten. Und umgekehrt agiert im neuen Spider-Man der Iron Man als Mentor und väterlicher Freund des Frischlings, der wie fast jeder Teenager mit Mobbing leben muss und mit Liebeskummer.

Im Marvel-Katalog gibt es insgesamt mehr als 8000 Figuren

Beinahe genauso beeindruckend wie die Varianz des Heldenepos ist die Karriere des Kevin Feige. Aufgewachsen in der Kleinstadt Westfield in New Jersey, etwa 50 Kilometer entfernt vom New Yorker Central Park, schwärmte er als Kind weniger für Comics als für "Star Wars". Später meldete sich Feige, dessen Großvater seit den 50er Jahren als TV-Produzent gearbeitet hatte, an derselben Fakultät für Film an, an der schon George Lucas war, der University of Southern California – und wurde fünfmal abgelehnt. Freunde und Familie empfahlen ihm, über einen anderen Studiengang nachzudenken. Seine Antwort: "Ich habe keine Ahnung, von was ihr da redet."

Sympathieträger: Robert Downey Jr. als Iron Man
Sympathieträger: Robert Downey Jr. als Iron Man
© Intertopics

Nach seinem Abschluss bekam Feige seine erste Chance von der Produzentin Lauren Shuler Donner und arbeitete mit am Katastrophenfilm "Volcano" und an "E-Mail für Dich", bei dem er Meg Ryan beibrachte, wie man AOL benutzt. Erst mit einem Job für den ersten X-Men-Film begann seine Entdeckungsreise in die Welt der Comics und ihrer Helden. Eines Universums, angelegt größtenteils in den 60er Jahren von Autoren wie Stan Lee und Zeichnern wie Steve Ditko und Jack Kirby, deren Comic-Verlag zeitweise bis zu 500 Fanbriefe bekam – am Tag.

Feige: "Wir haben uns zu lange daran gewöhnt, dass auf der Leinwand die Helden nur weiße Männer sind"

2007 wurde Feige mit gerade 33 Jahren zum Produktionschef des unabhängigen Hollywood-Studios, unterstützt von einem fünfköpfigen Kreativteam. 2009 wurde Marvel von Disney aufgekauft für vier Milliarden Dollar. Auch wegen eines riesigen Versprechens auf die Zukunft: Im Marvel-Katalog gibt es insgesamt mehr als 8000 Figuren, ein endloses Reservoir.

Feige gilt heute als Visionär, als eine Art Autorenproduzent mit einer ähnlichen Machtfülle wie früher George Lucas oder Steven Spielberg. Scheu ist er dennoch geblieben, am wohlsten fühlt er sich hinter der Kamera oder im Schneideraum. Feige ist verheiratet mit einer gelernten Krankenschwester, hat eine Tochter und einen Sohn, acht und viereinhalb Jahre alt, mehr Privates verrät er kaum.

Super-Superheld: Benedict Cumberbatch als Doctor Strange
Super-Superheld: Benedict Cumberbatch als Doctor Strange
© Hollywood Picture Press

Eine persönliche Geschichte erzählt er dann aber doch. Seine Tochter habe neulich eines der Avengers-Bilderbücher gelesen und ihn mit großen Augen gefragt: "Daddy, warum gibt es bei denen nur ein Mädchen?" In den Filmen von Marvel sollen sich bald auch Mädchen und Frauen wiederfinden können und inspirieren lassen, habe er ihr daraufhin versprochen. "Wir haben uns zu lange daran gewöhnt, dass auf der Leinwand die Helden nur weiße Männer sind", sagt Feige.

Schlaues Kind. Schlauer Mann.

Spider-Man Produzent: Ein Held für alle Fälle

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