Wenn Operetten der Champagner der Musik sind, dann ist die "Fledermaus" so etwas wie der "Dom Pérignon" unter den Operetten. Eine exquisit perlende Droge. Johann Strauß ist mit diesem Werk ein dreiviertelseliges, lallendes Delirium gelungen, in dessen Beschwipstheit tatsächlich ein großes Stück nackte, gesellschaftskritische Wahrheit liegt, die man ansonsten nur im Wein oder in der ganz großen Oper vermutet.
Lustiger, beißender, origineller, durchgeknallter und abgründiger kann Musiktheater kaum klingen. Dabei ist eigentlich alles ganz einfach: Gabriel von Eisenstein betrügt seine Frau Rosalinde mit allerhand Ballettratten. Seine Gattin ahnt das natürlich - und hat zu allem Überfluss selbst einen nicht abzuwimmelnden Verehrer. Als Eisenstein ihr eines Tages erklärt, dass der Gefängnisdirektor ihn abholen würde, weil er eine Haftstrafe wegen ungentlemanhaften Verhaltens abzubrummen habe, scheint Rosalinde nicht daran zu denken, dass er in Wirklichkeit auf dem Weg zu einer neuen Sause ist. Beide schwören sich ewige Treue - so pathetisch, so triefend, dass keine von beiden es ernst meinen kann.
Statt in den Arrest kehrt Eisenstein beim Prinzen Orlofsky ein, der sich - nach guter russischer Sitte - mal wieder Gäste eingeladen hat. Dummerweise ist auch Rosalinde bei dieser Veranstaltung anwesend (was ja logisch ist, weil wir uns in einer Operette befinden). Als heißblütige Exotin flirtet sie inkognito mit ihrem eigenen Mann und schafft es, ihm als Pfand seiner Verehrung (und als späteren Beweis seiner Untreue) die Taschenuhr abzuluchsen. Nach einigem Knast-Hick-Hack wird Eisenstein dann tatsächlich öffentlich entlarvt.
Doch all das reicht Johann Strauß noch lange nicht. Im großen Finale zieht er seinem Bühnenpersonal und dem Publikum den doppelten Boden unter den Füßen weg. Es stellt sich heraus, dass es sich bislang nicht um eine zufällig aufgeflogene Intrige gehandelt hat, sondern um einen geschickt eingefädelten Rachefeldzug von Eisensteins Freund Dr. Falke. Der hat alle Beteiligten in seinen Plan eingeweiht, den alten Freund bloßzustellen. Mit seiner gigantischen Inszenierung wollte er einen alten Streich begleichen, den Eisenstein ihm gespielt hatte. Damals musste Dr. Falke in einem Fledermauskostüm durch die Straßen Wiens gehen und sich der Lächerlichkeit aussetzen.
Beschwingtes Lallen im Dreivierteltakt
Das Geniale an diesem Plot ist, dass wir nicht genau wissen, wie weit Falkes Plan wirklich ging, wie weit jeder einzelne Beteiligte die Chance nutzt, die ihm das große Spiel der Regellosigkeit bietet, um seine heimlichen Interessen rücksichtslos auszuleben. Das Schönste an dieser Operette ist, dass sie sich nicht um moralische Integrität schert. Denn im großen Chor wird sofort ein Hauptschuldiger ausgemacht: der Champagner! Es folgt ein beschwingtes Lallen im Dreivierteltakt. Operette at its best!
Dem versierten Operettenmann Johann Strauß ist mit der "Fledermaus" ein Werk gelungen, das hinter seiner perlend heiteren Oberfläche und dem Rausch der musikalischen Einfälle tiefenpsychologische Katastrophen verbirgt. Nicht umsonst ist das Motto der Operette, "glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist", der Philosophie Schopenhauers entliehen.
Eine moralische Instanz existiert nicht
Die "Fledermaus" ist eine Meisterwerk des Fin de siècles, ein schwungvoller Tanz auf dem Vulkan, der mit aller Karacho im Desaster endet. Denn natürlich ist trotz des kollektiven Deliriums jedem in dieser Operette klar, dass gar nichts klar ist, dass jede Konvention nur deshalb existiert, weil es Wege gibt, sie zu umgehen. Eine moralische Instanz existiert nicht. Jeder Charakter hat Dreck am Stecken, jeder ist ein kleiner oder größerer Schwindler - alle sind Beteiligte einer gigantischen Illusion. Letztlich endet die Fledermaus wie Agatha Christies "Tod auf dem Nil" - schuldig sind: alle!
Dass Strauß für diese bitterböse Erkenntnis die süßeste, verlogenste, verführerischste und tollste Musik komponiert hat, ist eigentlich eine Frechheit. Die vielgeschmähte Kunst der Operette beweist so aber, dass sie die Kraft hat, die ganze Welt als Satire zum Tanzen zu bringen.