"Hurricane"-Festival 2011 Krieg der Campingplätze

Von Mareike Rehberg
Der Ökotrend der Großstadt-Hedonisten macht auch vor dem platten Land nicht halt. Die traditionell eher dem schmutzigen Delirium zugetanen Festival-Freunde werden auf dem "Hurricane"-Open-Air jetzt mit "Spießern" konfrontiert, die ihre Ruhe wollen. Ärger ist vorprogrammiert.

Ghettoblaster-Beschallung bis in die frühen Morgenstunden, "Helga"-Rufe, ein Meer aus Bierdosen und Alkoholleichen, die gegen Vorzelte kotzen – all das gehört zu einem richtigen Festival dazu. Meint zumindest die Mehrheit auf den Camping-Arealen 3 bis 15 auf dem "Hurricane"-Festival im niedersächsischen Scheeßel. Der Staub dringt einem hier bis ins Gehirn, alle paar Meter stolpert ein Feierwütiger über die Stoppeln des abgemähten Feldes oder über eine Ansammlung Raviolidosen. "Sodom und Gomorrha" nennen die Ordner diesen Ort.

Einmal quer über die Straße gleicht der Zeltplatz einem Garten Eden. Auf grünem Rasen stehen die Zelte dicht an dicht, kein Fitzelchen Müll stört die Idylle. Bis auf ein leises Musikdudeln hier und da ist es ruhig. Ein Pärchen sitzt auf Campingstühlen vor seinem Zelt und liest Romane. Die Areale 1 und 2 sind auf dem "Hurricane" in diesem Jahr zum ersten Mal sogenannten Green Campern vorbehalten. Wer hier zeltet, soll seinen Müll möglichst umgehend in einen der herumstehenden Müllcontainer befördern. Laute nächtliche Gesänge, wattstarke Musikanlagen und Megaphone sind nicht gern gesehen und führen zum Zeltplatzverweis. Wer hier übernachten will, muss ein Mindestmaß an Organisationstalent mitbringen – nur Musikfreunde, die sich online für den "Grüner Wohnen"-Platz angemeldet haben, bekommen ein grünes Bändchen.

"Scheißspießer", echauffiert sich der 28-jährige Christian auf dem Staubplatz über die Green Camper. Die Kassierer und Iron Maiden dröhnen aus seiner Anlage. Sein Freund Hagen springt ihm bei: "Meine Ex ist im Green Camp – deswegen ist sie auch meine Ex", sagt der sonnenbebrillte 31-Jährige. Lärm und Dreck gehören dazu – darin ist sich die Mehrheit auf "Sodom und Gomorrha" einig. Lediglich ein paar Mädchen, die zu spät angereist sind, blicken unglücklich auf die Szenerie aus Müllkunstwerken, Staubwolken und sich im Sand wälzenden Abiturienten.

Astrid und Ulrike, beide 32, fühlen sich in der Oase des Green Camp pudelwohl. Sie seien ja jetzt in einem Alter, in dem man mehr Wert auf Ruhe und Ordnung lege. Außerdem seien sie wegen der Musik hier, nicht zum Partymachen. Ihre leeren Wasserflaschen und Joghurtbecher sammeln die Frauen vorschriftsmäßig in einer Mülltüte, die sie entsorgen, sobald sie voll ist.

Zwei Zeltstraßen weiter, immer noch im Green Camp, sitzt eine friedliche Vierergruppe unterm Pavillon. Schon in den vergangenen Jahren sei das hier ihr Zeltplatz gewesen, sagt der 23-jährige Eike. Der Rasenplatz sei eben der beliebteste, hier gibt es keinen Staub. Früher stellten sich die Leute schon anderthalb Tage vorher an, um einen Platz zu ergattern, nun regeln die grünen Bändchen den Einlass. Für den Komfort, so Eike, sei er auch bereit, sich an die Regeln zu halten.

Allerdings gehen ihm und seinen Freunden die Festival-Faschisten vom Campingplatz gegenüber schwer auf die Nerven. "Ehec"-Camp nennen Freunde des Chaos die "Grüner Wohnen"-Area. In der Nacht formierte sich Widerstand gegen die Grünen Camper. Sie seien beschimpft worden, erzählen Dagmar, 25, und Jeanette, 24. Einige "Gomorrha"-Zelter wollten das Green Camp gar mit Böllern angreifen. Ihr grünes Band verstecken wollen die Freunde trotzdem nicht – sie stehen zu ihrem Spießertum.

Den Ordnern sind die Ruhe bedürftigen Leseratten derweil tausendmal lieber als die betrunkenen Randalierer. Er sei erstaunt, wie gut die Selbstregulierung im Green Camp funktioniere, erzählt ein Mann von der Security, bislang sei seines Wissens noch niemand vom grünen Zeltplatz geflogen. Die Klientel sei hier auch eine andere – die Leute sind älter, nüchterner, und wer feiern will, mache einen Abstecher zum Partyzelt auf dem Pöbel-Zeltplatz.

Abgeschaut hat sich das "Hurricane" die Öko-Idee vom "Chiemsee Reggae Summer"-Festival – zum Ärger vieler angestammter Rasenplatz-Camper, die in diesem Jahr die Anmeldefrist versäumt hatten und auf den ungeliebten Staubplatz ausweichen mussten. Prinzipiell sind die unterschiedlichen Zeltplätze aber eine gute Maßnahme, um Musikliebhabern älteren Semesters und Freunden der unverfälschten Festival-Atmosphäre gleichermaßen gerecht zu werden. Die Toleranz des jeweils anderen Menschenschlages ist auf beiden Seiten aber noch eher gering.

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