"The Power Out" Schokolade für die Seele

Rock auf leisen Pfoten: Wenn die vier Mädels von "Electrelane" sich durch die europäische Sprachvielfalt schlängeln, heißt es Augen schließen und genießen.

Eigentlich spricht nichts dagegen, die Damen von "Electrelane" wunderbar vielseitig zu finden und jedem Bekannten, der sich nicht hinreichend wehrt, ihr neues Album "The Power Out" (Too Pure/ Indigo) in die Hand zu drücken. Eigentlich ...

Das Problem an dieser Vorgehensweise ist allerdings die zu erwartende Folge: Ein Kreis von Freunden, die sich - jeder in seiner eigenen Wohnung - mit einem Vorrat an Schokolade, dieser CD und all den heimlichen seelischen Blessuren unter ihre Bettdecken zurückgezogen haben. Keine Chance, sie da in Bälde wieder herauszulocken. Nicht mal, wenn die Süßwaren ausgehen oder man mehr auf Chips steht - "The Power Out" ist nicht weniger als Schokolade für die Seele.

Inzwischen mit Gesang

Ein Geheimnis des Albums liegt in seiner Zusammenstellung: Von jaulenden Country-Gitarren und Krautrock-Kniefällen über treibendes Getrommel bis hin zu Orgelklängen wie Tautropfen nebst choralesken Stimmgebilden werden musikalische Monokulturen gepflegt umgepflügt. Moment mal, Stimme? Richtig - auf ihrem 2001er-Debüt "Rock it to the Moon" hatten Electrelane auf den Einsatz der menschlichen Stimme noch dankend verzichtet. "Das Singen hätte nur von der Musik abgelenkt", so Inzwischen-Auch-Sängerin Verity Susman. Die Freude über die Vokalübungen merkt man aber schon der Tatsache an, dass Frau Susman für die Texte polyglott durch die europäische Literatur streift. Ganz nebenbei schaffen "Electrelane" innerhalb der elf Songs mehr Tempiwechsel als andere Indie-Bands in ihrer kompletten Karriere.

Schrammeln und Jauchzen

Für das wunderbare "The Deed" musste Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" herhalten, der Opener "Gone under sea" entführt "Ave Maria" nach Frankreich, und "Oh Sombra!" kommt dem Hörer nicht ohne Grund spanisch vor. Die Idee: Eine Sprachmelodie muss auch zum jeweiligen Rhythmus passen. Zeitgeistig auf ihren Gitarren schrammeln können die vier Mädels aus Brighton sowieso - "Take the bit between your teeth" und "Oh Parade" sind nicht schlechter als Dinge, die Kollegen wie "Franz Ferdinand" auf die Saiten bringen. Plus niedliche Jauchzer von Verity Susman, die quer durchs Album ihre Stimme mit Leidenschaft strapaziert – nicht immer allerdings mit uneingeschränktem Erfolg. Aber ob "The Birds" und "Oh Sombra!" nun an den Folgen einiger durchfeierter Nächte oder an mangelnder vokaler Fitness leiden – sie wirken allemal herzerwärmender als glattgebügeltes Charts-Gedudel.

Und spätestens beim sinistren Ohrwurm "The Valleys", der auf Kriegslyrik des britischen Dichters Siegfried Sassoon basiert, werden auch Liebhaber perfekter Stimmharmonien mit Hilfe des Chicago A Capella Choir wieder versöhnt. Wer hier nicht mitsummt, dem ist nicht mehr zu helfen. Und wer jetzt noch nicht die Haustür verriegelt und sich mit "The Power Out" im Ohr ins Bett verzieht, der verpasst Großartiges.

Claudia Fudeus

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