An der Gewinnerin des Abends gab es keinen Zweifel: Donnernder Applaus und Bravo-Rufe hallten durch das Bayreuther Festspielhaus, als die schwedische Sopranistin Nina Stemme nach der Premiere von "Tristan und Isolde" am Montagabend vor den Vorhang trat. Die neue Isolde der Richard-Wagner-Festspiele feierte mit makelloser Leistung einen triumphalen Erfolg, in dessen Schatten auch ihr - gleichwohl ebenfalls bejubelter - Partner Robert Dean Smith als Tristan stand.
Buhrufe für Marthaler
Lautstarken Protest erntete dagegen das Regieteam. Für ihre karge, um Licht und Zeit, Liebe und Tod kreisende Neuinszenierung mussten sich der Schweizer Regisseur Christoph Marthaler und seine Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock Pfiffe und Buhrufe gefallen lassen. Freundlichen Beifall heimste der Japaner Eiji Oue für eine konzentrierte, schwungvolle und transparente Darbietung mit dem Festspielorchester ein. Der erste asiatische Dirigent im "mystischen Abgrund" des Bayreuther Orchestergrabens sorgte auch für die Geste des Abends: Er küsste den Bühnenboden.
Der Unmut über die Inszenierung war fast zu erwarten - denn ausgerechnet im "Tristan", dem großen Liebesdrama der Opernliteratur, lässt das Regieteam keinen Platz für große Gefühle. In einem geschlossenen, beklemmenden Raum - von Akt zu Akt gleichermaßen altertümlicher Ozeandampfer, nächtlicher Treffpunkt der Liebenden und Krankenlager des siechen Tristan - herrschen statt Leidenschaft nur Entfremdung und Vereinzelung. Wie im Wartesaal der Liebe begegnen sich Tristan und Isolde im zentralen zweiten Akt, stehen nebeneinander, ohne sich zu berühren. Ein einziges Mal nur, beim Duett "O sink hernieder, Nacht der Liebe" kommt ganz kurz so etwas wie Intimität auf.
Ergreifendes Schlussbild
Als ein "simultanes Übereinander von Räumen und Gedanken" hatte Marthaler seine Interpretation des Wagner'schen Ausnahmewerkes angekündigt. Folgerichtig wächst das Bühnenbild, Jahresringen gleich, von Akt zu Akt nach oben. Es wird einmal gleißend, dann wieder fahl und matt von Leuchtstoffröhren erhellt. Das Licht, von Tristan verflucht, ist zentrales Element dieser Inszenierung. Noch einmal flackert es auf, als Tristan sich auf dem Sterbebett mit letzter Energie aufrichtet. Ergreifend auch das Schlussbild: Isolde legt sich in Tristans Bett und zieht sich die Decke über den Kopf - es bleibt offen, ob sie dem Geliebten in den Tod folgt.
Solch starke Szenen entschädigten für vorherige Längen. Zuvor war mancher Regieeinfall verpufft. Isolde schmeißt im Zorn die Stühle um, Brangäne schaltet das Licht ein, Kurwenal rennt gegen die Wand - vieles wirkte eher banal als originell. So blieb es vor allem Nina Stemme überlassen, Glanzlichter zu setzen. Ihre Isolde ist lyrisch, differenziert und ausdrucksstark, mit warmem Timbre und auch in den Höhen sicher und unangestrengt. Ihr schauspielerisches Potenzial konnte die Sängerin, die nacheinander im braven Wollkleid, mit Jackie-Kennedy-Frisur und im saloppen Alltagslook auftrat, allerdings nur andeuten.
Unvorteilhaftes Taubenblau
Gewohnt solide, mit klarer Artikulation, aber ohne Charisma präsentierte sich Robert Dean Smith. Was schon in seinen früheren Bayreuther Auftritten als Siegmund, Stolzing oder Lohengrin deutlich wurde, bestätigte sich erneut: Tiefe Gefühle sind nicht unbedingt die Sache des amerikanischen Tenors. Tristans Liebes- und Todessehnsucht konnte er zunächst nur ansatzweise glaubhaft machen. Unvorteilhaft in ein taubenblaues Jackett gezwängt, absolvierte er den zweiten Akt nahezu unbeteiligt. Wesentlich ausdrucksstärker gelangen ihm - vom Jackett befreit - dann jedoch die Fieberfantasien des Helden im dritten Akt.
Als Brangäne stand Petra Lang ihrer Herrin Isolde kaum nach und gefiel mit klarem Sopran. Kwangchul Youn überzeugte als schmerzlicher König Marke, während Andreas Schmidts mit clownesken Zügen ausgestatteter Kurwenal im Schottenrock etwas abfiel. Alexander Marco-Buhrmester (Melot), Clemens Bieber (junger Seemann), Arnold Bezuyen (Hirt) und Martin Snell (Steuermann) komplettierten die Sängerriege, der Eiji Oue mit seinem einfühlsamen Dirigat stets genügend Platz zur Entfaltung gab. Der von Eberhard Friedrich geleitete, nur wenig beschäftigte Festspielchor zeigte sich gewohnt sicher.