Auf Ihrem neuen Album setzt sich ein Song sehr kritisch mit Privatfernseh-Gefühllosigkeit und Ghetto-Gehabe auseinander. Er heißt: "Automatikpistole". Ein Verbalangriff gegen Gangsta-Rapper?
König Boris: So möchte ich das nicht verstanden wissen. Im Kleinen würde ich das als Auseinandersetzung mit der deutschen HipHop-Szene beschreiben. Aber es geht darüber hinaus. Es geht um Menschenbilder. Das ist mit Absicht sehr allgemein gehalten. Hätte ich jemanden direkt angegriffen, dann wäre das nur: König Boris von Fettes Brot hat was gegen Paris Hilton oder gegen XY. Es ist aber meine Sicht auf Verhaltensweisen und auf Werte.
Klingt ganz schön moralisch...
König Boris: Moral gilt ja zurzeit fast als Schimpfwort, aber das ist doch an sich nichts Schlechtes. Es geht mir um menschliche Werte. Das hört sich an wie schreckliche Politikerworte, aber darum geht es: Wie man miteinander umgeht im Alltag, ob man sich respektiert, ob man Leute respektiert, die anders sind als man selber.
Dr. Renz: Es ist die Frage, welche Werte gerade angesagt sind. Als wir angefangen haben, HipHop zu machen, waren ganz andere Dinge hip und cool. Damals war es wichtig, gegen Kapitalismus zu sein. Da hieß es: Respekt an alle Leute, die noch für unter 1000 Mark auftreten. Da hatte man ein richtig schlechtes Gewissen, wenn man 1500 Mark genommen hat. Das Credo war eher: "Geld ist mir scheißegal, ich bleib' im Untergrund." Das hat der Rapper David P. ins Publikum gerufen und die Leute waren begeistert.
Björn: Die Musik hatte lange eine ungeheuere revolutionäre Sprengkraft - mit Bands wie Public Enemy, die auch sehr selbstbewusst politisch aufgetreten sind. Nicht zufällig ist auf den großen Demos der Hamburger Hausbesetzer deren Stück "Fight the Power" gespielt worden. Das war eine logische Fortführung dessen, was linke Punkmusiker gemacht hatten: Leute aus der Unterschicht, die sich mit Mitteln, die sie zur Verfügung haben, Gehör verschaffen. Mit den einfachsten Mitteln der Welt. Das hat so eine derbe Sprengkraft besessen damals. Heute ist das natürlich ein bisschen anders geworden.
Über die Band
Die Erfolgsgeschichte von Fettes Brot beginnt 1992 am nordwestlichen Stadtrand Hamburgs, der Heimat von König Boris (Boris Lauterbach), Schiffmeister (Björn Warns) und Doktor Renz (Martin Vandreier). Drei Jahre nach der Bandgründung gelingt den Vorstadtrappern mit "Nordisch By Nature" und dem dazugehörigen Album "Auf einem Auge blöd" der große Durchbruch. Es folgen Ohrwurm-Hits wie "Jein" (1996), "Schwule Mädchen" (2001), "An Tagen wie diesen" und "Emanuela" (2005). Das neue Album "Strom und Drang" erscheint beim bandeigenen Label "Fettes Brot Schallplatten".
Wie sieht es denn heute aus?
Dr. Renz: Im Moment ist ein Märtyrer-Style in: sich selbst als Opfer verstehen. Die ganze Welt ist gegen einen. Das ist aber nicht nur in Deutschland so. Auch wenn der Gangsta-Rapper Curtis Jackson a.k.a 50Cent angeschossen wird, dann ist das nicht schlecht oder falsch, sondern toll.
Sie dagegen sind sehr friedlich. Manchen sind Sie sogar ein bisschen zu nett, zu weichgespült.
König Boris:
Ach, diese Vorwürfe begleiten uns schon so lange. Wir stellen uns mit Liedern wie "Schwule Mädchen" doch in eine Ecke, die total angreifbar ist. Es erfordert einen gewissen Mut und auch Standhaftigkeit, da zu bleiben. Es gibt viele, die so angefangen haben und keine Lust mehr hatten, weil sie nicht ständig als Weicheier oder Cordhosenträger beschimpft werden wollten. Wir sind einfach stehen geblieben. Das war für uns auch nicht immer so easy wie heute. Wir haben uns damit viel auseinander gesetzt. So entstehen dann Songs wie "Schwule Mädchen". Jeden negativen Beigeschmack, den diese Worte bekommen haben, wollen wir damit zurückerobern. Das Gute ist, dass wir mittlerweile die einzige Rap-Alternative sind. Wer keinen Bock auf Menschenverachtung und peinliches Status-Symbol-Herumgezeige hat, der hört uns. Viel gibt es da nicht an Alternativen.
Dr. Renz:
Die Fanta4 würden da jetzt natürlich widersprechen. Der Unterschied zu denen ist, dass wir uns ein bisschen mehr in der damaligen HipHop-Szene verwurzelt sehen. Wir sind auf Jams groß geworden und langsam da rausgewachsen. Deshalb gibt es immer wieder Stücke, in denen wir uns mit der Szene auseinander setzen, weil wir das Gefühl haben: Das ist unsere Jugendkultur, mit der sind wir groß geworden. Das kann man nicht so einfach kampflos den Bastarden überlassen.
Auch wenn Sie sich als Teil der Szene sehen, andere tun das nicht und behaupten, Sie würden gar keinen Rap machen, sondern Pop-Musik.
Björn:
Das ist eine völlig spießige Handwerkskammer-Debatte, darüber ob man jetzt alle DIN-Normen der Rap-Musik erfüllt oder nicht. Das ist überhaupt nicht das Thema. Die Frage ist: Löst es in einem Menschen etwas aus oder nicht? In welcher Schublade ich das in meinem Ipod ablege ist völlig egal. Wir machen das, was wir unter Rap verstehen, das ist unsere Version davon. Das unterscheidet sich natürlich von anderen. Selbst wenn wir auf dem neuen Album bei "Der beste Rapper Deutschlands singen" - zu Soul-Musik - dann ist das immer noch Rap.
Fühlen Sie sich eigentlich als Veteranen, weil Sie aus den Boom-Jahren des deutschen HipHops Ende der Neunziger fast die einzig Verbliebenen im Chart-Geschäft sind?
Dr. Renz: Als es damals bei den anderen richtig losging, waren wir sogar noch ein bisschen in Wartestellung. Hätte auch wieder bergab gehen können, aber wir haben uns an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen.
Sie sind Mitte dreißig, zwei von Ihnen haben Kinder. Denken Sie manchmal übers Aufhören nach?
Björn:
Bei einer Sache, die man mit so viel Liebe macht, fragt man sich bestimmt nicht, wann man damit aufhört.
Dr. Renz:
Ich traue uns außerdem schon zu, dass wir in Würde auf der Bühne altern.
König Boris:
Guck dir die Ärzte an.
Dr. Renz:
Die rappen auch noch immer.
Interview: Johannes Gernert