Nino Skrotzki, Sie sind Sänger und Gitarrist von Virginia Jetzt!, Thomas Dörschel, Sie schreiben die Songs, spielen Gitarre und Keyboarder. Sie haben ihr Hobby zum Beruf gemacht und gerade ihr drittes Album "Land unter" bei einer großen Plattenfirma veröffentlicht, können also von der Musik leben. Warum tingeln sie durch die Jugendzentren der Nation, dort, wo sonst die Bands spielen, die von einer Karriere wie der ihren noch träumen?
Nino Skrotzki: Das hat mit dem Motto "wir tun nur, was uns gefällt" zu tun. Wir hatten so eine gewisse Spannungsarmut auf der letzten Tour festgestellt. Es ist toll, wenn man Clubs mit 500 bis 1000 Leuten voll bekommt und die Leute alle Texte mitsingen können. Nach dem 30. Auftritt ist es aber immer dasselbe. Du weißt, wie die Gruppendynamik funktioniert und musst nicht mehr kämpfen. Stadien wäre die eine Variante gewesen, war aber unrealistisch. 'Lasst uns den Boden unter den Füßen finden, uns erden', dachten wir. Also haben wir im September 2006 insgesamt 15 Orte in ganz Deutschland mit 10.000, 20.000 Einwohnern besucht. Die wenigsten kannten uns, es war heiß und eng, die Leute standen einen halben Meter vor uns. Wir bekamen eine unmittelbare Reaktion und mussten um unser Publikum kämpfen. Das haben wir nicht immer geschafft, aber wenn, dann war es toll.
Bittersüße Herzschmerz-Melodien
Selten wird Liebesleid so hintersinnig und treffend in Worte gefasst wie bei der Berliner Band Virginia Jetzt! Textzeilen wie "Bitte bleib nicht, wenn du gehst" (erste Single) sind mit beschwingten Beats und verspielten Klaviermelodien unterlegt. "Mehr als das" groovt in bester Billy-Joel-Manier, Lieder für Tagträumer, die Wehmut besingen und gleichzeitig den Po zum Wackeln bringen. "Land unter" ist funkig, rotzig, aber auch wunderschön, dramatisch, sowohl hochkomplex und als auch eingängig - willkommen in der Ersten Liga des deutschen Pops.
Was haben Sie auf ihrer Jugendzentrum-Tour erlebt?
Nino Skrotzki: Wir haben mit den Kids, mit Alt-Punks, mit Sozialarbeitern, mit Eltern gequatscht. Nach dem Auftritt sind wir oft auf irgendwelchen WG-Partys gelandet, es war unglaublich spannend. Die Leute waren zum Teil sehr aufgeregt. Normalerweise kommt nur die Band aus dem Nachbardorf, die Punk spielen. Die Organisatoren haben sich sehr viel Mühe gegeben, uns alles recht zu machen, dass das Hotel gut ist und das Essen schmeckt.
Thomas Dörschel: Ein sehr schönes Konzert hatten wir in Künzelsau bei Würzburg: Dort waren wir in einem Jugendzentrum, das von 16-, 17-, 18-jährige völlig selbst verwaltet wurde, ohne große Fördermittel. Der 18-Jährige musste die Verträge unterschreiben. Sehr bemerkenswert, das zu sehen. Der Gesellschaft kommt immer mehr die Ehrenamtlichkeit abhanden, darüber gab es ja gerade wieder Diskussionen, ob man steuerliche Anreize schafft. Und dann sieht man diese Jugendlichen, die darauf einfach Bock haben, anderen eine Freude zu bereiten und Partys organisieren - ohne jeglichen Eigennutz.
Partys mit Freunden zu feiern ist ja auch ein Eigennutz.
Nino Skrotzki: Ja, das stimmt schon.
Thomas Dörschel: Es war auf jeden Fall abwechslungsreich. Einen Tag waren wir im blitzblanken Zentrum unter kirchlicher Trägerschaft, eine Künstlerkommune, und am anderen Tag im Punk- und Hardcoreschuppen, in dem alle tätowiert und die Wände beschmiert sind, das war auch cool da, ein super Konzert. An keinem Tag wussten wir, was passieren wird. Jeden Tag haben wir am Ortsschild angehalten, hallo Worpswede, hallo Schmarkhalden und haben geguckt, was passiert. Auf einer normalen Tour ist die Abwicklung total professionell, überall gleich.
Sind sie irgendwo ausgebuht worden?
Thomas Dörschel: Nein, das nicht. Es gab schwierige Konzerte wie ganz am Anfang in Schleswig, dort waren wenig Leute da, und die wenigen sind nicht aus sich herausgekommen. An dem Abend haben wir die Leute nicht geknackt. Man lernt daraus. Auf jeden Fall hat diese Tour in uns wieder den Funken entfacht für eine richtige Tournee. Hätten wir das nicht gemacht, würden wir ziemlich routiniert die nächsten Gigs spielen, und das wäre nicht gut.
Es war also auch eine Art Therapie für Sie?
Nino Skrotzki: Ja, und sie ist nur zu empfehlen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Bands zehn Jahre lang immer in den gleichen Läden spielen. Dass man da nur noch versackt und Bier trinkt, ist klar - wenn wir das schon nach zwei Jahren festgestellt haben.
Wo könnten Sie sich noch vorstellen, aufzutreten?
Thomas Dörschel: Ein Traum wäre das Wacken Open Air. Das ist in Amerika auch ein Begriff, die wissen auch, für was das steht, nämlich Heavy-Metal-Musik. Ansonsten haben wir in Deutschland schon auf fast allen Festivals gespielt, zumindest die, die für unsere Art von Musik in Frage kommen. Man trifft ja auch immer die gleichen Bands. Gerade haben wir das FM4 Openair gespielt, wir dachten, juchhu endlich mal ein Wintergig, aber da kam uns der warme Wind von Orkan "Kyrill" dazwischen.
Die deutsche Sprache beschränkt in der Expansion.
Thomas Dörschel: Ja, aber eine andere Sprache würde uns noch sehr viel mehr beschränken, nämlich in unserer Ausdrucksfähigkeit.
Nino Skrotzki: Das Goethe-Institut hat uns schon zweimal auf Tour geschickt, nach Russland und in die Türkei. Da lernt man das Land von einer ganz anderen Seite kennen, als wenn man als Tourist durchreist. Überraschenderweise passiert das gleiche wie auf deutschen Konzerten. Die Leute fangen an zu knutschen, wenn es um Liebe geht.
Thomas Dörschel: Musik hat eine eigene Sprache, unabhängig vom Text. Es ist total egal, in welcher Sprache du singst. Die Leute spüren, um was es geht. Das ist toll.
Interview: Kathrin Buchner