Krautköpfe - Wirrköpfe? Den Kindern von i-Pod, Deutschland sucht den Superstar und Ich-AG dürften die Töne wie Sphärenklänge aus einer anderen Welt vorkommen, die langhaarige, waldschratige, in Schlabberkaftane gekleidete Menschen vor langer Zeit in der alten Bundesrepublik Deutschland auf seltsamen Instrumenten erzeugt haben. Krautrock heißt das Phänomen, das vor mehr als 30 Jahren aufkam und in der jüngsten Zeit eine beachtliche Renaissance mit zahlreichen Wiederveröffentlichungen erlebt.
Seinen Namen verdankt der Krautrock wohl dem britischen DJ John Peel, der bei der Genrebezeichnung für die seltsamen Klänge vom Kontinent inspiriert wurde von dem Spitznamen, den die Deutschen in Großbritannien wegen ihrer vermeintlichen Liebe für gleichnamiges Gemüse habe.
"The Return Of Ruebezahl"
Die Stücke wabern endlos lange vor sich hin, tragen Titel wie "Mary, Mary, So Contrary" (Can), "The Return Of Ruebezahl" (Amon Düül II) oder einfach "Ah!" (Popol Vuh), die Plattencover schillern so surrealistisch wie die Musik oder sind bewusst ganz simpel gehalten.
Oft wurden diese Bands und Musiker belächelt und in der Raritäten-Schublade abgelegt, vor allem nachdem ab Mitte der 70er die Aufbruchstimmung einer gewissen Ernüchterung Platz machte.
Vorläufer vieler Techno-Musiker
Doch seit sich viele Techno-Musiker in der zweiten Hälfte der 90er auf die Experimentierlust der Krautrocker berufen und man auch hier zu Lande wahrnimmt, welch großen Einfluss diese Musik im Ausland hinterlassen hat, erlebt der Krautrock eine Renaissance.
Genährt wird das Revival auch von diversen Wiederveröffentlichungen alter Platten auf CD: Repertoire veröffentlichte schon 2001 die ersten Amon-Düül-II-Platten wieder, Neu! erfuhren auf Herbert Grönemeyers Groenland-Label eine liebevolle Wiederveröffentlichung, in diesem Jahr startete SPV eine Serie mit Wiederveröffentlichungen des Popol-Vuh-Katalogs.
Wiederauferstehung auf Vinyl
Auch das in den 70ern mit Kultstatus gesegnete Brain-Label feiert bei Universal seine Wiederauferstehung: Klassiker wie Harmonias "Musik von Harmonia", "Steig aus" von Embryo oder Clusters "Cluster II" sind nun wieder im Handel. Das meiste davon sogar auf prächtigen Vinyl-Scheiben.
Passend, denn CDs waren noch lange nicht in Sicht, als Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen in der Bundesrepublik junge Menschen in verschiedensten Bands und Gruppen zusammenkamen. Sie suchten einerseits Anschluss an das angloamerikanische Pop-Geschehen, das sich zunehmend weg vom einfachen Hit zum ambitionierten LP-Werk bewegte; andererseits aber wollte man sich auch emanzipieren gegenüber den Vorbildern und einen eigenen Sound entwickeln.
Lange Haare und in Frage gestellte Autoritäten
"Es gibt da immer einen Zusammenhang", sagt Michael Rother, ein Urgestein des Krautrocks. Er war aktiv bei Kraftwerk, Neu! und Harmonia und ist auch heute noch mit beachtenswerten musikalischen Projekten am Start. "Das geistige und politische Klima in den späten Sechzigern, die politischen Umwälzungen, der Aufbruch zu neuen Ufern, als die Haare immer länger wurden und man die Autoritäten in Frage gestellt hat, das hat mich damals fasziniert und war auf jeden Fall begünstigend für die Entwicklungen in der Musik."
Die Protagonisten des Krautrocks kamen aus den verschiedensten Ecken: Während die Münchner Kommunen Amon Düül I und Amon Düül II am Anfang Dilletantismus zur Kunst erhoben und Embryo sich an afrikanischen und arabischen Musiktraditionen orientierten, spielten bei Can klassisch ausgebildete Musiker zusammen und bei Kraftwerk Techniker, die sich zu Klangforschern entwickelten.
Neuartige Musik
Ihnen gemeinsam war aber wohl das, was Rother heute so beschreibt: "Es war der Wunsch da, eine von anderen Musiken völlig unabhängige Geschichte zu schreiben", sagt er: "Die Inspiration sollte nicht von außen kommen. Das war schon sehr ambitioniert. Aber ob das jetzt wirklich was Epochales wird, darüber haben wir nicht nachgedacht. Man bremst sich selbst aus, wenn man während der Arbeit schon über die Rezeption der Sache, die man gerade macht, nachdenkt."
Wirkungsmächtiges Kapitel in der Musikgeschichte
Doch ist es einigen Deutschen damals gelungen, die Musikgeschichte um ein wirkungsmächtiges Kapitel zu bereichern. Mit Klängen, die mal New Wave vorwegnehmen, mal als Blaupause für Techno gelten, mal in den Heavy Metal hinein wirken und mal für sich eine ganz eigene Welt schaffen. Und von Sex-Pistol Johnny Lydon bis zu den Red Hot Chili Peppers rezipiert wurden und werden.
Nicht nach rechts oder links schauen
Von einer zusammenhängenden Szene konnte man nie sprechen. Während einige der Musiker genau wussten, was sie taten und wohin sie wollten, spielten andere ziellos vor sich hin. Rother erklärt: "Ich habe mich damals kaum um das gekümmert, was rechts und links von uns passiert ist. Das mag jetzt arrogant klingen. Aber wir waren dermaßen fixiert auf unsere eigene Arbeit, und wir haben uns immer gegenseitig angestachelt, da war gar kein Platz für Blicke auf die Seite."
So gibt es heute immer noch oder wieder eine musikalische Welt zu entdecken, bei der Belanglosigkeiten neben genialen Werken stehen, musikalische Feinheiten neben bloßem Lärm, Visionäre neben krautigen Wirrköpfen.
Aktuelle Wiederveröffentlichungen:
Cluster - "Cluster II"
Embryo - "Steig aus"
Guru Guru - "Guru Guru"
Yatha Sidhra - "A Meditation Mass"
Harmonia - "Musik von Harmonia"
Jane "Jane II" (alle Brain/Universal)
Popol Vuh - "Affenstunde"
Popol Vuh - "Aguirre"
Popol Vuh - "Einsjäger & Siebenjäger"
Popol Vuh - "Hirtensymphonie" (alle SPV)
Eloy - "Dawn"
Eloy - "Live"
Eloy - "Ocean" (alle Emi)