Michael Patrick Kelly, Ihr sechstes Studioalbum hat den Titel "Traces", was auf Deutsch Spuren heißt. Welche Menschen haben in Ihrem Leben Spuren hinterlassen?
Diese Frage habe ich mir tatsächlich erst durch die Arbeit am neuen Album gestellt. Natürlich haben mich vor allem meine Eltern geprägt: durch ihre Gene und die Erziehung, die man mitbekommt. Das ist eine tiefe, unauslöschliche Spur. Danach kommen Menschen, die ich mir im Verlauf meines Weges selbst ausgesucht habe: Freunde, die bleiben. Davon habe ich insgesamt fünf, zwei davon kenne ich seit über 25 Jahren.
Welche menschliche Begegnung war für Sie in der Vergangenheit besonders schön oder unvergesslich?
Davon gibt es fast zu viele, um sich für eine zu entscheiden. Aber in Köln hatte ich vor Jahren mal ein sehr intensives Gespräch mit Hella von Sinnen, die mich sehr inspiriert hat und die im Verlauf auch das Lebensmotto eines indigenen Stammes zitierte: "Am Ende zählt nicht, wie viele dich geliebt haben, sondern wie viele du geliebt hast."
Was hat dieser Gedanke in Ihnen ausgelöst?
Große Nachdenklichkeit! Eine Hospizarbeiterin erzählte mir später etwas Ähnliches: Die meisten Menschen bereuen am Ende nicht, zu viel gearbeitet zu haben, sondern zu wenig Zeit mit den Menschen verbracht zu haben, die sie lieben. Diese Sätze begleiten mich bis heute.
Auf "Traces" ist auch der Song "Symphony of Peace" mit Opernsänger Jonas Kaufmann. Seit Jahren engagieren Sie sich für Frieden und Nachhaltigkeit. Leider ist die Welt weiterhin zerrissen. Was macht Ihnen trotzdem Hoffnung?
Die Menschen, die ebenso unbeirrt und engagiert in der ersten Reihe für Frieden kämpfen. Ich denke da zum Beispiel an eine Siedlung zwischen Jerusalem und Tel Aviv, in der jüdische und palästinensische Familien friedlich zusammenleben und ihre Kinder gemeinsam zur Schule schicken. Das ist gelebte Toleranz.
Gibt es auch Prominente, die Sie an eine gute Zukunft glauben lassen?
Die jüngst verstorbene Tierforscherin Jane Goodall hat mir einmal gesagt: "Schau in deinem direkten Umfeld, was du tun kannst." Das ist für mich eines meiner Leitmotive!
Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken: Welche Phasen haben Sie am meisten verändert oder geprägt?
Es gibt bislang drei große Lebenskapitel: Meine Kindheit mit der Familie, die Klosterzeit und meine Jahre als Solokünstler. Ich bin unendlich dankbar dafür, dass ich heute eine Ehe habe, die mein absoluter Safe Space ist – ein Ort, an dem ich einfach nur Mensch sein kann. Kein Künstler, kein Performer, kein Star – sondern einfach nur ich, mit all meinen Macken und Makeln.
In den Neunzigerjahren waren Sie ein großes Teenager-Idol. Haben Sie sich in dieser Zeit auch mal ein stinknormales Leben ohne Star-Rummel gewünscht?
Oh ja. Weil ich nie in einer festen Schule war, bin ich irgendwann einfach mal in eine hineingegangen, um zu sehen, wie das so ist. Durch die vielen Reisen war es schwer, Freundschaften zu pflegen. Der Druck, so früh auf Bühnen zu stehen, leisten und gefallen zu müssen, war groß. Aber ich bin dankbar, dass ich die Zeit trotzdem halbwegs heil überstanden habe, heute mental gesund bin und mit Selbstreflexion leben kann. Viele Kinderstars haben irgendwann den Halt im Leben verloren. Zum Glück habe ich nie Drogen genommen. Ansonsten wäre das bei mir wahrscheinlich schlecht geendet.
Was hat Sie damals geerdet?
Es gab Zeiten, in denen ich tatsächlich die Bodenhaftung verloren hatte, und vieles für zu selbstverständlich genommen habe. Das passiert schon mal, wenn dir dieses Gefühl ständig von allen Seiten vermittelt wird, dass du als "Star" außerhalb der Reihe stehst. Mein Vater hat mich geerdet, indem er mich keine Autogramme geben ließ, als ich noch keine 18 Jahre alt war, und kaum Interviews. Wir haben früher lange Zeit auf der Straße gespielt, dabei auch Anfeindungen, Angriffe und sogar körperliche Gewalt durch fremde Menschen erlebt. Da lernst du schnell, was wirklich zählt.
Wie haben Sie diese Situationen erlebt?
Das war schon heftig! Wobei ich noch ein Kind war und das alles noch nicht richtig einordnen konnte. Einmal kamen Hunderte Jugendliche und bewarfen unser Hausboot in Köln mit großen Steinen. Das war für uns eine lebensgefährliche Situation. Aber solche Erfahrungen haben mich gelehrt, wie wichtig Respekt und Empathie sind.
Was hat Ihnen persönlich geholfen, mit Ihrer eigenen Vergangenheit Frieden zu schließen?
Das ist außer der Nähe sehr guter Menschen vor allem das Songs schreiben. In den Songs kann ich Themen verarbeiten, die ich sonst verdrängen und unterdrücken würde. Es gibt auf dem Album zum Beispiel einen Track über meinen verstorbenen Vater, da geht es um Trauer und Heilung. Oder ein anderer handelt von Suizidprävention, basierend auf einem Gespräch, das ich mit einem amerikanischen Polizisten hatte, der mehr als 200 Menschen auf der Golden Gate Bridge davon abgehalten hat, sich das Leben zu nehmen.
Es gab in Ihrem Leben auch schon einmal eine Zeit, in der Sie in sehr düsteren Gedanken gefangen waren …
Das stimmt! Mit Anfang 20 war ich selbst in einer sehr dunklen Phase, hatte keinen Lebensmut mehr. Mein Glaube und eine Psychotherapie halfen mir, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Ich teile solche Themen aber nicht, um Mitleid zu bekommen, sondern um anderen Mut zu machen. Ich möchte, dass Menschen mit ähnlichen Gedanken erkennen: Du bist nicht allein! Das Album vertont wahre Geschichten, die ermutigend sind und hoffnungsvoll.
Ist mein Eindruck richtig, dass Sie bei Fragen zu Ihrer Karriere bei fast jedem Schritt involviert sind?
Das stimmt, war für mich aber auch ein Lernprozess. Nicht jeder Rat, den ich im Leben bekommen habe, war ehrlich und aufrichtig. Heute kenne ich meine Zahlen, meine Verträge und habe meine klaren Prinzipien. Ich mache nur Dinge mit, wenn sie meiner Gesundheit und meinen Beziehungen nicht schaden, und wenn sie nicht gegen Werte gehen, die mir wichtig sind. Es muss alles einen Sinn ergeben.
2003 haben Sie in Kalkutta mit den Mutter-Theresa-Schwestern gearbeitet. Wie kam es dazu?
Damals lebte ich im Schloss Gymnich – 24/7 Bodyguards, Privatkoch, das pralle Leben! Nach außen schien alles perfekt, aber innerlich war ich leer. Ich habe nach Wahrheit und einem tieferen Sinn gesucht, musste raus ins richtige Leben. Und Kalkutta war das Gegenteil meiner Popstar-Welt: die knallharte Realität! Ich arbeitete in einem Heim, in dem Menschen zwischen Leben und Tod standen. Wenn du dich um jemanden kümmerst, der kaum noch Kraft hat, verändert das alles. Selbstloses Handeln kann heilen. Der Dalai Lama nennt das "den Weg zum Glück". Und ich finde, dass er damit sehr recht hat.
Ein Jahr später haben Sie Ihr Leben dann komplett auf den Kopf gestellt und zwischen 2004 und 2010 in einem Kloster gelebt. Wie hat Sie diese Zeit verändert?
Damals war ich wie ein Computer mit zu vielen Viren und Bugs – überladen, fehlerhaft, unruhig. Im Kloster habe ich zum ersten Mal gelernt, zu reflektieren und habe es mir selbst erlaubt, tief in mich hineinzuhören, Schmerz zuzulassen. Das war wie ein Neustart für die Seele.
Wie war es, unter 75 Männern aus 25 Nationen zu leben?
Gelebte Vielfalt in Harmonie: So viele verschiedene Charaktere, Kulturen, Sprachen – und doch Einheit, Frieden, Respekt. Das hat mir gezeigt, dass Frieden im Kleinen beginnt. Und dass Liebe, auch wenn sie nie perfekt ist, das verbindende Element ist und bleibt.
Haben Sie sich ein Ritual aus den Klosterjahren bewahrt?
Ja, den Tag mit Dankbarkeit zu starten, und das stille Gebet. Früher waren es für mich jeden Morgen zweieinhalb Stunden, heute ist es an den meisten Tagen immerhin noch eine Stunde. Diese Stille gibt mir viel Kraft. Das ist mein Anker für den Tag. Ich gehe auch immer wieder raus in die Natur und genieße es dort; die Farben, die Töne wie das Blätterrauschen oder Geräusche von Tieren. Gerade als Musiker ist Stille für mich extrem wichtig.
Wie lautet Ihr Lebensmotto?
Da fällt mir spontan ein Spruch meines Vaters ein: "Keep your spirit free!" Wenn der äußere und innere Druck zu groß wird, dann sprenge die Ketten. Mache deinen Kopf und dein Herz frei.
Was würden Sie Ihrem 18-jährigen Ich heute sagen?
Mach dir weniger Druck und versuche, alles etwas gelassener zu nehmen. Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben – sondern trotz Angst beherzt zu handeln.