Stilles Album "Sleepify" Wie eine US-Band Spotify um 20.000 US-Dollar narrte

  • von Jens Wiesner
Zehn Songs gibt es auf "Sleepify", dem neuen Album der US-Band Vulfpeck. Doch zu hören ist - nichts. Ein genialer Marketingcoup, mit dem die Jungs aus LA eine Gratistour für ihre Fans finanzieren.

Etwas monoton ist das Album schon. Böse Zungen könnten sogar behaupten, alle Lieder auf "Sleepify", der neuen Platte der US-Band Vulfpeck, klängen gleich. Gelogen wäre das nicht. Denn wer einmal in die 30-Sekünder mit herrlich eingängigen Titeln wie "Z", "Zzzz" oder "Zzzzzzzz" hineinhört, dem schlägt das absoluten Nichts entgegen: Alle Tracks sind stumm.

Man könnte es eine unglaubliche Frechheit nennen, was die Musiker vor einem Monat beim Musikstreamingsdienst Spotify hochgeladen haben. Oder man zieht seinen Hut vor dem Ideenreichtum der Band. Denn "Sleepify" ist nicht nur Spielerei, kein bloßes Kunstprojekt, um auf die Mittellosigkeit vieler Musiker und die geringen Einnahmemöglichkeiten via Streams hinzuweisen. Stattdessen haben Vulfpeck bewiesen, dass sich mit Stille allein Geld verdienen lässt. Über 20.000 US-Dollar sind nach eigenen Angaben bisher zusammengekommen. Mit dem Geld wollen die Musiker eine Gratistournee für ihre Fans organisieren.

Kleinvieh macht Mäuse

Möglich wird dies durch die Art und Weise, wie Spotify seine Künstler entlohnt. Pro gehörtem Song geht ein bestimmter Betrag an den jeweiligen Musiker, im Fall von Vulfpeck ein halber Cent. Man braucht kein Mathegenie zu sein, um zu kapieren, dass sich dieses Modell nur für die wirklich bekannten Künstler rechnet. Doch wer hatte bislang schon von Vulfpeck, dieser schrammeligen Jazzfunk-Combo aus Los Angeles gehört? Dementsprechend gerieten auch die Kleckerbeträge, die die Band über Spotify einsammelte. Bis ihnen die verrückte Idee mit dem stillen Album kam.

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"Wir leben in einer Zeit, in der es einfacher ist, Leute für einen kreativen PR-Stunt für ein Album zu begeistern als für die Musik", erklärte jüngst Bandmitglied Jack Stratton im Interview mit dem New Yorker Radiosender WNYC. Die Idee: Spotify-User sollen das "ruhigste Album, das je aufgenommen wurde" über Nacht auf Dauerschleife stellen und sanft zu der Nicht-Musik einschlummern. Am nächsten Morgen sind Vulfpeck um vier US-Dollar reicher. "Im Schlaf Geld zu verdienen ist so ein bizarres Konzept, dass es sicher mehr Reiz hat als irgendein Song von uns", glaubt Stratton.

Nihilistischer Stinkefinger oder clevere PR?

Er sollte recht behalten: Vier Millionen Mal wurden die "Sleepify"-Songs seit ihrer Veröffentlichung bereits angehört - auch weil viele Musikfreunde sich diebisch darüber freuten, dass eine winzige Band dem großen Streamingportal ein Schnippchen schlägt. "Mit Stille, die als Loop daherkommt, wird einerseits die permanente Lärmbelästigung durch aktuelle Popmusik als Karikatur ihrer selbst thematisiert. Andererseits wird das Geschäftsmodell von Spotify ad absurdum geführt", bewertete ein Nutzer namens Ändy die Aktion im Szene-Weblog Spreeblick.

Und Spotify? In der Pressestelle des Streamingdienstes gibt man sich sportlich und macht gute Miene zum stillen Spiel. Weder verstoße die Aktion gegen die Geschäftsbedingungen, noch plane man, das Album aus dem Programm des Dienstes zu entfernen. "Wir fanden die Aktion originell, waren uns aber schnell einig, dass wir die vorherigen Alben der Band lieber mochten", erklärte eine Mitarbeiterin des Spotify Presse-Teams gegenüber stern.de. Auf die hausinterne Playlist habe es "Sleepify" aber trotzdem nicht geschafft. Zudem scheine ihr die Platte "sehr stark von den Werken von John Cage beeinflusst" zu sein. Der Avantgarde-Komponist Cage hatte 1952 das Musikstück 4'33'' verfasst, bei dessen Aufführung kein einziger Ton gespielt wird.

David gegen Goliath-Geschichte

Diese Anspielung hat Jack Stratton schon häufiger gehört. Doch er ist sich sicher: "Unsere Stille ist ruhiger als Cages Stück." Denn während bei Aufnahmen von 4'33'' immer auch Hintergrundgeräusche wie unterdrücktes Husten im Publikum zu hören sind, handele es sich bei den "Sleepify"-Songs um "digitale Dateien voller Nullen".

Auf ihrer Tour wollen Vulfpeck aber auf eine allzu ausführliche Live-Performance ihrer erfolgreichsten Platte verzichten und stattdessen auf ihre alten, dem Konzept des Tons etwas stärker zugeneigten Lieder zurückgreifen. "Wir werden unsere Fans aber darum bitten, 'Sleepify' auf ihren Handys anzumachen", erklärte Stratton augenzwinkernd gegenüber WNYC. "Auf der Bühne zerschneiden wir dann Pennies in zwei Hälften - als Performancekunst"

Schweigen ist...

Bis die endgültigen Tourdaten stehen, ist vielleicht auch Strattons größter Traum in Erfüllung gegangen: die goldene Schallplatte für "Sleepify". Dazu allerdings müssten die Songs des Albums 15 Millionen Mal angehört werden - und die Tracks zwei bis zehn zusätzlich als Remixe des ersten Lieds "Z" gewertet werden. Sicher, die Hürde ist hoch. Aber wer hätte vor einem Monat schon daran geglaubt, dass sich mit einem Album ohne Ton 20.000 Dollar und mehr verdienen lassen? Warten wir also ab. Die Zeit wird zeigen, ob das alte Sprichwort stimmt - und Schweigen tatsächlich Gold ist...

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