Underage Parties in England Drin ist, wer jung ist

Von Verena Stöckigt
Die Engländer setzen Maßstäbe auf dem Gebiet der Partykultur. Der neueste Trend: Underage Parties. Wer volljährig ist, muss draußen bleiben. Etablierte Indierockbands reißen sich um einen Auftritt vor dem Feiernachwuchs. In Deutschland dagegen wollen die Kids von Underage Clubs nichts wissen.

Nach Britpop und New Rave zettelt die Insel die nächste Partyrevolution an, und die Feier-Avantgarde wird immer jünger! In so genannten Underage Clubs trifft sich neuerdings die "Unter 18"-Generation und feiert so energetisch, dass selbst Nachtschwärmer im Studentenalter überlegen, ihre Ausweise zu fälschen, um Teil der geschlossenen Gesellschaft zu werden. Die Türpolitik bei Underage Parties ist streng: Nur wer zwischen 14 und 18 Jahre alt ist, darf dabei sein, wenn im Coronet Theatre und dem Victoria Park die Stars der Indierock-Szene zu Taschengeldpreisen die Bühne entern.

Sam Kilcoyne - der Rächer aller Teenager

Verantwortlich für die jüngsten Auswüchse des Jugendwahns ist ein inzwischen 15 Jahre alter Schüler aus London. Er war es leid, seine Lieblingsband The Horrors niemals live erleben zu können, weil man ihn an der Tür abwies. Anstatt seinen Kummer in Alkopops zu ertränken, beschließt Sam Kilcoyne seine Idole einfach selbst zu buchen. Er eignet sich die Grundzüge des Eventmanagements an, luchst dem Vater - selbst ein Musiker - seine Branchenkontakte ab und organisiert 2006 die erste Underage Party, bei der sowohl Nachwuchsbands, als auch etablierte Gruppen exklusiv für ihre minderjährigen Fans auftreten. Obwohl Kilcoyne seine Altergenossen an einem Nachmittag ins Londoner Coronet Theatre bestellt und an der Bar die Cola ohne Rum ausgeschenkt wird, rennt ihm die pubertierende Partyhorde die Tür ein. Aus dem einmaligen Ereignis wird schnell eine Partyreihe. Im August 2007 erreicht die Hysterie um die Underage Scene ihren Höhepunkt, als sich im Victoria Park 5000 Röhrenjeans-Kids zum ersten Festival "for 14-18 olds only" zusammenfinden.

Gerne hätten die Reporter Künstler wie Jack Peñate, Cajun Dance Party und Patrick Wolf über das Phänomen Underage ausgefragt, doch die MySpace-Generation duldet keine Oldies. Wer über 18 ist, der muss sich das Treiben durch den Bauzaun ansehen. Das gilt auch für Journalisten. Die Sonntagszeitung "The Observer" reagiert mit der Entsendung von Teenagerreportern, die schließlich eine komplette Sonderbeilage über die Jugendbewegung gestalten.

Sam Kilcoyne bloggt inzwischen auf der Website der britischen Zeitung und auch die Plattenindustrie streckt die Finger nach dem Nachwuchs aus. Mute Records (Moby, Depeche Mode) gründete das Tochterlabel "Mute Irregulars", auf dem Kinderbands wie Tiny Masters of Today oder XX Teens ihre Singles veröffentlichen. Als Berater holte man sich natürlich Kilcoyne ins Haus.

Underage Clubs? In Deutschland undenkbar

Während in England die Jugend außer Rand und Band ist, floppt das Projekt Underage auf dem Festland. Als der sonst so rappelvolle Münchner Club The Atomic Café an einem Septembernachmittag zur Party lädt, gucken gerade mal 50 Kids vorbei. 30 davon sind Freunde der gebuchten Nachwuchsband, die an diesem Tag allzu gerne zu Ikonen der deutschen Underage-Kultur geworden wäre.

Nach Einschätzung von Christian Heine, Geschäftsführer des Atomic Café, lässt sich das mangelnde Interesse vor allem darauf zurückführen, dass die englische Underage-Bewegung von Jugendlichen selbst initiiert wurde. "In Deutschland fehlt die treibende Kraft aus der entsprechenden Altersgruppe", stellt der Clubbetreiber fest. "Wenn Erwachsene die Initiative ergreifen, lehnen das die Kids ab." Auch die Tatsache, dass bei Underage Parties Alkohol- und Zigarettenkonsum verboten ist, schreckt laut Heine viele Teenager ab. In Deutschland scheint es also zwischen Flatrate-Saufen und Tokio Hotel Hysterie nicht viel zu geben. Wo verstecken sich die kreativen Adoleszenten, die Gleichaltrige in einem Maß für Musik begeistern könnten, dass diese merken, dass ein Rausch auch ohne Alkohol möglich ist? "Es existieren einfach zu wenig Bands, deren Mitglieder unter 18 Jahre alt sind", klagt Christian Heine.

"Wer die Jugend verstehen will, der muss sich mit ihr ändern."

Diesem Klagen möchte Kulturstaatsminister Bernd Neumann lieber heute als morgen ein Ende setzen. Der "Anwalt der Kultur" - wie er sich selbst gern nennt - gründete Anfang 2007 die "Initiative Musik". Durch sie möchte er die Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur in Deutschland verbessern. Nachwuchsförderung, Integration und Exportförderung sind die drei Schwerpunkte der Initiative, für die die Bundesregierung eine Million Euro bewilligt hat und die von der Musikwirtschaft mit 300.000 Euro bezuschusst wird.

Schon die umständliche Formulierung der Ziele und die monatelange Problemanalyse machen das Projekt für junge Leute unglaubwürdig und vor allem: "uncool". Um das kreative Potenzial der Jugendlichen zu entdecken und zu fördern, bedarf es mehr als ein Koffer voller Geld. Begeisterungsfähigkeit zum Beispiel.

Der Anführer der britischen Underage-Bewegung Sam Kilcoyne bringt den Generationenkonflikt auf den Punkt: "Teenager waren noch nie so wichtig wie heute, aber es geht über die Vorstellung Erwachsener hinaus, dass sich die Zeiten immer rascher ändern und dass man sich mit den Kids verändern müssen, wenn man sie verstehen will."

Sich an den Wandel der Zeit anzupassen, damit hat Englands jüngster Partyveranstalter kein Problem. Schon jetzt macht sich Kilcoyne Gedanken, wer sein Erbe antreten kann, wenn er sich im nächsten Jahr aus dem Geschäft zurückzieht. Schließlich soll die Underage-Bewegung jung und dynamisch bleiben und nicht mit ihm erwachsen werden.

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