Wilco "Sich in Musik verlieren"

Von Yasmina Foudhaili
Das Geheimnis von Wilco liegt in der Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden. Mit jedem Album brach Mastermind Jeff Tweedy in neue musikalische Gefilde auf - nach Alternative-Country, Breitwand-Pop und Krautrock schlagen Wilco mit "Sky Blue Sky" ein neues musikalisches Kapitel auf.

Spannungen in der Band und gesundheitliche Probleme gehören endgültig der Vergangenheit an: Drei Jahre nach seinem Drogenentzug und zwei Jahre nachdem er das Rauchen aufgegeben hat, veröffentlicht Jeff Tweedy mit seiner Band Wilco ein Album, das von bekannter Schönheit und doch ganz anders ist.

Tweedy liebt immer noch poetische Metaphorik, aber "Sky Blue Sky" verlangte nach mehr Verletzlichkeit und Offenheit. Mit jedem neuen Album streifen sie ihre alte Hülle ab und erscheinen in neuem Glanz und Klanggewand. Nachdem das Vorgängeralbum "A Ghost Is Born" minutenlanges Fiepen, schroffe Gitarren und dekonstruierte Songs enthielt, sind Wilco jetzt zugänglicher und ruhiger, aber nicht weniger packend. "Mir ist wichtig, dass es sich nach etwas anfühlt, dass auch ich erleben könnte", sagt Tweedy im Gespräch mit stern.de. "Nach einer Weile verliere ich mich in dem, was ich tue - und darin liegt für mich die Schönheit des Schaffens. Sich verlieren in der Musik."

"Das ist Popmusik"

Wilco scheint für viele eine herausfordernde Band zu sein, aber das stößt auf Tweedys Unverständnis. "In allen Songs ist immer melodisches Element, immer ein songorientiertes Denken. Bei jedem Album habe ich gedacht, das ist Popmusik." Warum "Sky Blue Sky" trotzdem für Überraschungen sorgte? "Es ist schnörkellos und gerade heraus. Die Leute haben mit großen, ausladenen Soundstrukturen gerechnet, aber die gibt es nicht."

Tourdaten:

24.05.2007: Kesselhaus / Berlin
25.05.2007: Große Freiheit / Hamburg
26.05.2007: Alter Schlachthof / Dresden
28.05.2007: Longhorn / Stuttgart

Tweedy balanciert stets zwischen den Extremen. "Ich mag Folk- und Countrymusik als Songschreiber, weil die Musik sehr simple aufgebaut ist. Es braucht nicht viel Drumherum, die Songs sind sehr pur und zart. Instrumente sind noch nicht mal nötig. An Rock- oder Punkmusik mag ich die Dynamik, das Zusammenspiel der Instrumente und die Zügellosigkeit, mit der sie gespielt wird." Mal tendiert er stärker in die eine, mal in die andere Richtung, aber er braucht beide als Ausgangspunkt.

"Songs schreiben ist mein Job"

Man will Jeff Tweedy sofort ein Übermaß an Kreativität und ein bestechendes Gefühl für Melodien attestieren, aber er selbst ist zu bescheiden, die Anerkennung seiner Arbeit anzunehmen. "Ich weiß nicht von wem dieses Zitat stammt, aber es macht jetzt mehr Sinn als zuvor: 'Junge Autoren warten auf die Inspiration, der Rest von uns fängt einfach mit der Arbeit an'. Songs schreiben ist mein Job. Es ist ein Job, den ich sehr liebe, aber es ist nur ein Job."

Er liebt ihn dieser Tage mehr als zuvor. Das erste Mal in der Bandgeschichte hat Jeff Tweedy das Gefühl, dass Wilco angekommen sind. Die Band aus Chicago wird auf diesem Album endgültig zu einer Band und löst sich von dem Konstrukt, das Jeff Tweedy anführt und wieder und wieder neu besetzt. Wilco sind jetzt sechs sehr unterschiedliche, auf ihrem Gebiet virtuose Musiker, die ihre Fragmente sehr bedacht und zärtlich zusammenführen. "Fruchtbar" nennt Jeff Tweedy das immer wieder. "Wir arbeiten zusammen. Es ist nicht so, dass ich ins Studio komme, Zettel verteile und allen sage, wie sie welchen Part spielen sollen. Ich bin kein Diktator." Den Songs liegt ein Gedicht von Tweedy zugrunde und eine Melodie, die er mit ein paar simplen Akkorden auf der Akustikgitarre dazu spielt. "Wir fangen an, den Song akustisch zu spielen und nach und nach kommen mehr Instrumente dazu und wir definieren eine Richtung. Wenn wir der Meinung sind, dass wir diesen Stand der Dinge dokumentieren sollten, drücken wir auf "record".

Wilco sind auf Deutschlandtour

Zu was Wilco fähig sind, wird im vollem Ausmaß deutlich, wenn sie sich aus ihrem Studio raus trauen und live spielen. Gitarrist Nels Cline und Schlagzeuger Glenn Kotche, die an ihre körperliche Grenzen gehen, um den Songs das Maximum an Leben einzuspielen. Jeff Tweedy, der kauziger Kerl, der sein komödiantisches Talent präsentiert und einen ganzen Saal zum Brüllen bringt. Wer seine Band experimentell und besonders nennt, erntet von Jeff Tweedy zwar Kopfschütteln, aber mit diesen Gedanken werden dieser Tage viele Zuschauer, die Wilco auf ihrer laufenden Deutschlandtour sehen, nach Hause gehen.

Was Wilco, diese komplexe Band, ausmacht? Darauf hat Jeff Tweedy eine Antwort: "Wilco kann alles sein." Das macht für ihn die Schönheit dieser Band aus.

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