Wilco Vom Country zum künstlerischen Verbund

Auch auf ihrem fünfte Album beweist die US-Band Wilco, dass sie musikalisch nie auf der Stelle treten. Anstelle des einstigen Alternative-Country ist ein abstraktes Geflecht von Stilen getreten.

Wilcos Musik ist geheimnisvoll, bezwingend, aufregend, fesselnd und - um ehrlich zu sein - oft genug einfach seltsam. Das 2002 veröffentlichte Erfolgsalbum "Yankee Hotel Foxtrott" war auf eine selbstbewusste Weise seltsam. Der soeben veröffentlichte Nachfolger "A Ghost Is Born" ist nun eher zuversichtlich seltsam.

In den vergangenen Jahren ist Wilco gewachsen - von einer gewöhnlichen, alternativen Countrycombo hin zu einem mehr künstlerischen, experimentellen Verbund. Das hat die Band zwischenzeitlich fast zerrissen. Doch war bei den Aufnahmen zum neuen Werk das Gröbste bereits überstanden, wie Bandleader Jeff Tweedy berichtet: "Alle haben diesmal mehr eingebracht und auch besser zusammengearbeitet. Es gab quasi eine gemeinsame Vorstellung von dem, was wir tun wollten."

Migräne und Tabletten-Abhändigkeit

Überschattet wurde die Produktion aber von Tweedys schlechtem Gesundheitszustand: Er leidet seit langem unter Migräne, die aus einer Panik-Störung resultiert. Von den benötigten Schmerzmitteln wurde er abhängig; diese Sucht bekämpfte er im Frühjahr einen Monat lang stationär in einer Klinik. Die Aufnahmen kosteten deshalb viel Kraft: "Ich hab mich so körperlich und emotional so scheußlich gefühlt, es war wie ein Blutbad für mich."

Blick nach innen

Das spiegele sich auch in den Songs, meint Tweedy. "Viele Dinge, die mir später geholfen haben, mich besser zu fühlen, kamen quasi aus meinem Unterbewusstsein. Ich glaube, Musik hilft einem, solche Dinge im Leben zu identifizieren." Während das "Yankee"-Album nach draußen auf die Welt blickte und kommunizieren wollte, blickt "Ghost" mehr nach innen, wie er resümiert. "Oft geht es um die Schwierigkeit, sich selbst kennen zu lernen und mit sich selbst wohl zu fühlen."

Fremde Bilderwelten

Auf Anhieb verständlich wird dies etwa im Song "Handshake Drugs". Doch oft geht es weniger eindeutig zu, Tweedys Texte bewegen sich dann weitab in fremden Bilderwelten: "A fixed bayonet through the great southwest to forget her". Ob der Hörer dabei die selben Assoziationen hat wie er, kümmert Tweedy nicht. "Es geht nur so: der Hörer kommt, und sucht in den Texten einen passenden Container, in den er sich versenken mag."

Der freie Wille, den Lärm abzustellen

Alles andere als vordergründig ist auch Wilcos Humor, wie der Song "Less Than You Think" belegt. Der schöne, konventionelle Song währt drei Minuten und geht dann in ein 12-minütiges Dröhnen und Summen über, das die Geduld der Zuhörer auf eine harte Probe stellt. Der Song handelt vom freien Willen und ist zum Teil ein Insider-Witz: Die Band wollte zum einen, dass das mit Abstand längste Stück "Less Than You Think" heißt. Und zum anderen wollte Wilco die Fans herausfordern, wie Tweedy freimütig berichtet. "Es ist unsere Art, die Hörer zu ermutigen, ihren freien Willen auszuüben - also aufzustehen und den Lärm abzustellen."

In einer Rezension wurde Wilcos Schaffen mit "auf brillante Weise lästig" beschrieben - mit diesem Etikett kann Tweedy gut leben, denn es klingt in seinen Ohren positiv, wie er ironisch lächelnd sagt. "Für sich allein genommen würde keiner der beiden Begriffe unsere Platte ausreichend beschreiben, finde ich."

David Bauder

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