Wer sich auf Netflix die Miniserie "Rentierbaby" angesehen hat, wird danach vermutlich erstmal schlucken müssen: Die Show erzählt die ebenso schockierende wie berührende Geschichte eines Comedians, der jahrelang Opfer einer Stalkerin wurde. Dass es überhaupt dazu kommen konnte, liegt auch am sexuellen Missbrauch, den er erlebte und der ihn traumatisiert zurück ließ. Das Besondere: Diese Geschichte ist wahr.
Der Schotte Richard Gadd hat seine persönlichen Erlebnisse in "Rentierbaby" verarbeitet, er machte seine Stalking-Erfahrung zum ersten Mal 2019 auf dem bekannten Fringe Festival in Edinburgh in Form einer Ein-Mann-Show öffentlich. Das Theaterstück wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, schaffte es sogar auf Londoner Bühnen - immer mit Gadd alias Donny Dunn in der Hauptrolle. Auch für die Netflix-Version spielt er sich selbst, seine Stalkerin, genannt Martha, wird in der Show von der englischen Schauspielerin Jessica Gunning verkörpert.
Martha taucht eines Tages in dem Pub auf, in dem Donny arbeitet und wirkt so bemitleidenswert elend, dass Donny ihr spontan eine Tasse Tee ausgibt. Ein verhängnisvoller Fehler, denn danach weicht ihm die psychisch kranke Frau jahrelang nicht mehr von der Seite, bombardiert ihn mit Emails und Sprachnachrichten, bedroht ihn und seine Familie.
"Rentierbaby" auf Netflix: Komplex, düster, berührend
Das alles ist so passiert, auch wenn die Martha im Drehbuch so gut wie möglich anonymisiert wurde. Eine weitere Änderung: Die Geschichte über den sexuellen Missbrauch hatte Gadd bereits 2016 im Theaterstück "Monkey See Monkey Do" thematisiert, wurde dafür ebenfalls ausgezeichnet. "Rentierbaby" auf Netflix ist nun eine Mischung aus beidem. "Es ist alles hundertprozentig wahr, was die Gefühle angeht, wenn das Sinn ergibt. Alles stammt aus Situationen, die ich erlebt habe und von echten Menschen, die ich getroffen habe. Aber aus rechtlichen und künstlerischen Gründen konnte es nicht ganz exakt der Wahrheit entsprechen", sagte Gaad in einem Interview kürzlich über den Wahrheitsgehalt der Serie.
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Es sei schwer gewesen, noch einmal in die schlimmste Zeit seines Lebens einzutauchen, natürlich habe das etwas mit ihm gemacht. Doch er kann auch Positives daran erkennen. "Wenn ich darauf zurückblicke, war das Sprechen über den sexuellen Missbrauch, den ich erleben musste, hilfreicher als jede Therapie", sagt Gaad. Vielleicht ist das der Grund, warum der 34-Jährige sich so ehrlich und schamlos porträtiert. Denn die Faszination der Serie macht auch aus, dass der Blick auf Martha oft empathisch ist und Gadd zugibt, eine Teilschuld zu tragen. Stellenweise ermutigte er Martha weiter, fühlte sich geschmeichelt, obwohl er wusste, dass sie krank ist und gefährlich sein kann. Es dauerte Monate, bevor er der Polizei überhaupt von der Sache berichtete, geschweige denn die ganze Wahrheit sagte.
Zum Teil der Geschichte gehört nun auch, dass Fans der Serie sich im Netz auf die Suche nach der echten Martha und dem echten Vergewaltiger Gadds machten. Die Spekulationen wurden so wild, dass es auch Drohungen gegenüber Menschen aus Gadds Umfeld gab - und dieser explizit darum bitten musste, damit aufzuhören. Und damit hat "Rentierbaby" erneut gezeigt, wie komplex Dinge wie Traumata und Stalking sein können.
Quellen: "Variety", "GQ Magazine"