- 4 von 5 Punkten
- Der Fall "Im toten Winkel" dreht sich um häusliche Pflege. Kein einfaches, aber extrem wichtiges Thema.
Worum geht's?
Der 85-jährige Horst Claasen erstickt seine Frau mit einem Kissen im eigenen Ehebett. Senta Claasen litt an Alzheimer und wurde jahrelang von ihrem Mann zu Hause gepflegt. Nach seiner Tat schluckt der Rentner eine Überdosis Tabletten und will sich selbst das Leben nehmen. Zuvor ruft er jedoch die Polizei und bittet darum, dass die Leichen abgeholt werden. "Ich möchte nicht, dass sich die Nachbarn von uns belästigt fühlen. Tote riechen doch oder?" sagt Claasen. Der alte Mann kann gerettet werden. Die Hauptkommissare Inga Lürsen und Nils Stedefreund wollen herausfinden, warum Horst Claasen seine Frau getötet hat. Im Zuge ihrer Ermittlungen treffen Lürsen und Stedefreund auf den Gutachter Carsten Kühne vom Medizinischen Dienst. Er besucht Menschen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen, und entscheidet über den Grad der Pflegestufe. Dabei stößt Kühne auf viel Ablehnung, Wut und Frustration - und wird eines morgens tot aufgefunden.
Warum lohnt sich dieser "Tatort"?
Der Fall "Im toten Winkel" ist kein Krimi im klassischen Sinne, bei dem es zu Beginn eine Leiche gibt und dann nach dem Täter gefahndet wird. Vielmehr geht es um ein gesellschaftliches Tabuthema: die häusliche Pflege. Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland steigt stetig. Gleichzeitig entscheiden sich immer mehr Menschen - freiwillig oder gezwungenermaßen - ihre Angehörigen zu Hause zu pflegen. Der Film zeigt ziemlich deutlich an welche physischen, psychischen und finanziellen Grenzen viele Familienmitglieder dabei stoßen und macht auf Missstände im Pflegesystem aufmerksam.
Was nervt?
Der Fall konzentriert sich auf die Angehörigen und ihre Herausforderungen mit dem Thema häusliche Pflege. Das Schicksal der Erkrankten oder auch die extrem stressige und unterbezahlte Arbeit vieler Pflegekräfte bleibt völlig außen vor. Zudem ist es klischeehaft, dass alle gezeigten Pflegekräfte mit mangelnder Ausbildung Frauen mit osteuropäischem Akzent sind. Selbst die Leiterin des Pflegedienstes ist eine Russin, die gebrochen Deutsch spricht.
Die Kommissare?
Nachdem zuletzt oft Hauptkommissar Stedefreund und seine Liebelei mit BKA-Spezialistin Linda Selb im Mittelpunkt stand, konzentriert sich diese "Tatort"-Folge wieder mehr auf Hauptkommissarin Lürsen. Die Ermittlerin zeigt in gewisser Weise Verständnis für die Tat des alten Herrn Claasen. "Schon mal was vom sozialverträglichem Frühableben gehört?", sagt sie in einer Szene zu Stedefreund und ihrer Tochter Helen, die die Mordkommission leitet. Der Gedanke, wie es mit den Eltern im Alter weitergehen soll, beschäftigt Lürsen und ihre Tochter bis zum Ende der Episode.
Ein- oder Ausschalten?
Einschalten. Dass sich Drehbuchautorin Katrin Bühlig traut, das Thema häusliche Pflege zur besten Sendezeit in einem "Tatort" umzusetzen, ist mutig und sollte honoriert werden.
