- 4 von 5 Punkten
- Im Kieler "Tatort" geht's um Frauenhass und seine vielen Facetten – ein aktuelles und wichtiges Thema, das Borowski und Sahin ruhig, aber eindringlich angehen
Worum geht's?
In der Nähe eines Kieler Clubs wird die misshandelte Leiche einer jungen Frau aufgefunden. Die Videoüberwachung des Clubs liefert Klaus Borowski (Axel Milberg) und Mila Sahin (Almila Bagriacik) ziemlich bald einen Verdächtigen: Mario Lohse (Joseph Bundschuh). Der verschüchtert wirkende Außenseiter schaut sich regelmäßig im Internetforum des sogenannten Pick-up-Artists Hank Massmann (Arnd Klawitter) frauenverachtende Videos an. Und auch auf Ermittlerin Sahin reagiert er aggressiv. In unmittelbarer Nähe des Tatortes entdeckt Borowski außerdem eine in den weichen Boden getrampelte "14" , ein Erkennungssymbol amerikanischer Neonazis. Schon bald wird klar, dass noch mehr Frauen in Gefahr sind.
Warum lohnt sich dieser "Tatort"?
Der "Tatort" widmet sich der wachsenden "Incel"-Bewegung. Die Abkürzung steht für "Involuntary Celibacy" , also unfreiwilliges Zölibat. Es geht um sexuell frustrierte Hetero-Männer, die sich in Online-Foren in Gewaltfantasien gegen Frauen steigern und Verschwörungstheorien teilen. Frauenhass ist der gemeinsame Nenner, der sie zusammenbringt, oft vermischt sich die Bewegung mit der rechtsradikalen Szene. Der Krimi schafft es, den Weg der Radikalisierung der Männer aufzuzeigen und macht gleichzeitig die vielen Facetten von alltäglichem Sexismus spürbar. Besonders positiv fällt auf, dass dieser "Tatort" auf krasse Gewaltszenen verzichtet, und stattdessen die Geschichte ruhig, dafür aber umso eindringlicher erzählt.
Was stört?
Es ist ein bisschen schade, dass für den Hauptverdächtigen der klassische Prototyp eines Amokläufers bemüht wird: Lohse ist ein typischer Versager, der unter einer strengen Chefin und psychischen Problemen leidet, nach Anerkennung lechzt und weiß, wie man seine Spuren im Darknet verwischt. Dabei sind die Anhänger der "Incel"-Bewegung längst nicht alle unzurechnungsfähige Nerds. Da eher das Thema im Vordergrund steht und nicht der Fall selbst, entwickelt sich auch kein klassischer Krimi-Spannungsbogen. Außerdem werden die Dialoge wie so häufig beim Kieler-"Tatort"-Team manchmal etwas hölzern vorgetragen.
Die Kommissar:innen?
Borowski, der Feminist: Der Kommissar darf in diesem Krimi fast der einzige Mann sein, der keine Frauen hasst. Interessant sind vor allem die Szenen, in denen er sich unter die Anhänger des "Pick-up-Artists" mischt, von angeblichen Eheproblemen erzählt und so schnell den Fuß in der Tür hat. Seine Kollegin Sahin steht stellvertretend für alle Frauen. Auch sie ist im Alltag mit Sexismus konfrontiert, sei es noch so beiläufig (ein Kollege nennt sie abfällig "Liebste") oder tatsächlich übergriffig. Als Zuschauer bewundert man sie einfach irgendwann dafür, dass sie trotz der geballten Ungerechtigkeiten cool bleibt.

Ein- oder ausschalten?
Unbedingt einschalten, denn das Thema ist allgegenwärtig. Spätestens seit den rechtsradikalen Anschlägen in Halle und Hanau sollte die "Incel"-Bewegung und vor allem der antifeministische Tätertyp auch hierzulande bekannt sein. Ein Bewusstsein dafür zu schaffen, ist wichtig, denn in Deutschland wird noch immer jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder von ihrem Ex getötet. Dennoch sind Femizide, die Tötung von Frauen wegen ihres Geschlechts, noch kein eigener Straftatbestand. Die Hass-Foren im Netz bleiben auch straffrei, obwohl sie zur steigenden Gewalt beitragen. Wer einen Blick in die Abgründe der Frauenhass-Bewegung werfen möchte, bekommt in diesem "Tatort" das ganze Elend zu sehen.
Die "Tatort"-Folge "Borowski und die Angst der weißen Männer" wurde erstmals am 7. März 2021 ausgestrahlt. Die ARD wiederholt den Fall am Sonntag, 13. August 2023 um 20.15 Uhr.