"Precious"
2.05 Uhr, Arte
SOZIALDRAMA Eine quälende Stunde dauert es, bis Claireece Jones, von allen nur Precious (Gabourey Sidibe) genannt, endlich explodiert. Bis sich das 16-jährige Mädchen, das so viel Qual und Demütigung erfahren hat, gegen ihre Mutter (Mo'Nique) auflehnt und aus ihrem Elternhaus flüchtet. Die dankt es ihr mit einem Mordversuch. Ein Fernseher fliegt durch das Treppenhaus, verfehlt Precious und den neugeborenen Sohn nur um wenige Zentimeter.
Ganz ehrlich - als "Precious" 2009 im Kino uraufgeführt wurde, hatte ich nicht das geringste Interesse daran, mir den Film anzuschauen. Der Plot klang abgedroschen (Junges Mädchen von ganz unten trifft engagierte Lehrerin und versucht den Absprung), Precious' Lebensgeschichte las sich wie ein Armutsporno. So, als wollte Drehbuchschreiber Geoffrey S. Fletcher das Maximum an Mitleid aus den Zuschauern herausquetschen: Precious wird nicht nur wegen ihrer fast 200 Kilo gehänselt, sondern auch vom eigenen Vater vergewaltigt, bekommt danach ein Kind mit Down-Syndrom, ist zu Beginn des Films wieder schwanger und muss mit einer Mutter zusammenleben, die ihre Tochter abgrundtief hasst und misshandelt. Uff.
Aber dann bekam Mo'Nique den Oscar als beste Nebendarstellerin. Und in den USA wurde heftig darüber diskutiert, ob der Film mit seiner drastischen Darstellung einer völlig am Boden liegenden, Sozialhilfe schnorrenden, afro-amerikanischen Familie böse Klischees aus der Reagan-Ära wieder aus der Mottenkiste holt. Ich wurde neugierig, gab "Precious" eine zweite Chance - und war begeistert. Auch wenn ich den Film an mehreren Stellen fast wieder ausgestellt hätte. Gabourey Sidibe und Mo'Nique spielen ihre Charaktere einfach so erschreckend echt, dass es beinahe unerträglich ist, ihrem Leiden zuzusehen. Aber, bitte, beißen Sie sich durch.
Ein TV-Tipp von Jens Wiesner, freier Autor beim stern
Und das ist an diesem Tag noch sehenswert:
"Rectify"
20.15 Uhr, Arte
SERIE Über die Hälfte seines bisherigen Lebens hat Daniel Holden (Aden Young) den Himmel nicht gesehen. Wegen des angeblichen Mordes an seiner Teenagerfreundin saß er 19 Jahre in der Todeszelle. Bis ein DNA-Test ihn entlastet. Daniel kann zurück in die Freiheit. Zu Hause in Georgia bemühen sich alle um Normalität – die nicht eintreten kann, solange keiner die Wahrheit kennt. - Das sechsteilige, angenehm ruhig und bewegend erzählte Drama schildert Daniels erste Woche in einer Welt, die sich in Freund und Feind teilt. Den Menschen entfremdet, erkennt der Unschuldige nicht, wer zu welchem Lager zählt. Young spielt den stillen Außenseiter herzbewegend und unergründlich. Drei Doppelfolgen. (bis 23.35)
"Happy-go-lucky: Gute Laune ist ansteckend!"
23.45 Uhr, SWR/SR
KOMÖDIE Auch das Londoner Grau kann Lehrerin und Ulknudel Poppy (Silberner Bär: Sally Hawkins) die Laune nicht verderben. – Überraschend Heiteres von Sozialfilmer Mike Leigh. (bis 1.40)
"Das bessere Leben"
22.25 Uhr, 3Sat,
DRAMA Die Pariser Journalistin Anne (Juliette Binoche) interviewt Studentinnen, die als Callgirls arbeiten. Das Hinterfragen der eigenen Haltung erschüttert bald die Grundfesten ihrer bürgerlichen Identität. - Psychogramm mit offenen Fragen, von Binoche souverän getragen. (bis 23.55)