Eines vorab: Ich befürworte die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Der Lockdown und die damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen sind richtig und notwendig, um die Infektionslage in den Griff zu bekommen. Dennoch hab ich das alles in den letzten Monaten oft verflucht: das andauernde Hin und Her, die ständigen Kurswechsel, die anhaltende Unsicherheit. Auch im Bewusstsein, dass meine Situation im Vergleich zu anderen sehr komfortabel ist, sehne ich mich gerade nach nichts mehr als nach ein bisschen Normalität.
Zoom-Vorlesungen und Kontaktbeschränkungen
Vor einem halben Jahr entschied ich mich, trotz Pandemie und Kontaktbeschränkungen umzuziehen und einen Master zu beginnen. Damals blickte ich trotz aller Einschränkungen noch relativ optimistisch auf das bald beginnende Studium. Digitale Lehre? Für mich kein Problem, dachte ich. Im Gegenteil: Ich war mehr als froh, dass mir somit wohl unangenehme Erstiwochen-Trinkspiele und überfüllte Hörsäle erspart bleiben würden.
Dann, kurz nach meinem Umzug, kam der zweite Lockdown und wirbelte alle meine Erwartungen durcheinander. Es begann eine endlose Aneinanderreihung gleichförmiger, trister Tage vor dem Laptop. Mein WG-Zimmer wurde zum Epizentrum meines Studierendenlebens. Essen, Arbeiten, Schlafen, mein ganzer Alltag beschränkte sich von da an auf diese 20 Quadratmeter. Meine vier Wände verließ ich höchstens zum Einkaufen oder für den obligatorischen Spaziergang. Bis heute bin ich nur selten über die Grenzen meines Stadtteils hinausgekommen. Mein Semester-Bahnticket liegt noch immer fast ungenutzt auf meinem Schreibtisch.
Leben in virtuellen Realitäten
Meine Screentime hat sich seit Beginn der Pandemie mehr als verdreifacht. Manchmal bin ich sogar ein bisschen stolz, wenn ich wieder mal meinen persönlichen Tagesrekord geknackt habe. Wurde vorher so viel über den problematischen Social-Media-Konsum der Millennials debattiert, ist Online-Sein jetzt zwingende Voraussetzung für ein erfolgreiches Studium. Und so sitze ich jeden Tag in meinem Zimmer, wechsele übergangslos vom Laptop- zum Handy-Bildschirm, ohne so richtig zu wissen, wo das hinführen soll. Mein neues Hobby, mein derzeit einziges Hobby: Internet.
Zwischen Online-Freundschaften und digitaler Alltagsromantik
Doch nicht nur die Uni hat sich auf den digitalen Raum verlagert, auch soziale Kontakte sind aktuell meist virtueller Natur. Die allermeisten meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen habe ich im echten Leben noch nie gesehen. Also nutze ich die Infos, die mir zur Verfügung stehen, um mir ein Bild von meinen Mitstudierenden zu machen. Mittlerweile ist es zu einer meiner absoluten Lieblingsbeschäftigungen geworden, intensiv die kleinen Zimmer-Ausschnitte zu analysieren, die man via Zoom zu sehen bekommt. Wenn ich das neue Christian-Kracht-Buch im Hintergrund eines Kommilitonen erspähe, bin ich für die Zeit einer Vorlesung kurz schockverliebt. Ja: Das ist aktuell das Höchste der Gefühle.
Sobald ich den Laptop zuklappe und das Handy weglege, ist mein Leben im Moment im Pause-Modus. Die Uni rückt in weite Ferne und meine Onlinefreunde verschwinden irgendwo ins digitale Nirwana. Durch die Corona-Pandemie habe ich gelernt, was es bedeutet, einsam in einer Großstadt zu sein. Mehr denn je sehne ich mich aktuell nach sozialem Austausch und echten Begegnungen. Falls diese Pandemie irgendwann ein Ende hat, nehme ich dafür auch gern überfüllte Bahnen und alberne Trinkspiele in Kauf.