Erotikmessen Männer von der Venus

  • von Björn Erichsen
Die Erotikbranche boomt und mit ihr die Erotikmessen, die landauf, landab stattfinden. stern.de hat das vorwiegend männliche Publikum über die "Venus" begleitet.

Erster von drei Teilen

Endlich 18, heute ist der große Tag. Michael P. aus Berlin-Mitte hat die Hürde zur Volljährigkeit genommen. Endlich Auto fahren, endlich Hochprozentiges im Supermarkt erwerben, endlich Erwachsenenunterhaltung, ganz legal. Zusammen mit seinem Freund Daniel L. aus Schöneberg will er diesen Anlass auf der "Venus", Deutschlands größte Messe für Sex und Erotik, gebührend feiern. Mit der U-Bahn geht es zu den Messehallen unterm Funkturm. Es sind nur noch wenige Meter.

Hinter dem geöffneten Bullauge des Kassenhäuschens sitzt eine ältere Dame mit blau gemusterter Strickweste und weißer Bluse. Ihre Arbeit macht sie routiniert. "Nein, der Chirurgen-Kongress ist hier nicht, da müssen sie zum Eingang da drüben. Der Nächste", sagt sie freundlich und bestimmt. Prüfend schaut sie über den Goldrand ihrer Brille auf Michael und Daniel. "Seid ihr wirklich schon 18?" Grinsend hält ihr Michael seinen Ausweis hin. "Hm, ja, alles klar, das macht 24 Euro." Sein Lächeln gefriert, zögernd sammelt er in kleinen Scheinen das Eintrittsgeld zusammmen, dann geht es erwartungsfroh hinein. Die Kassendame sitzt der Flut von Venus-Voyeuren mit wenig Verständnis gegenüber. Sie freut sich schon auf nächste Woche, da ist die "Hochzeitswelt" auf dem Gelände.

Mal essbar, mal nur schwer verdaulich

Warm und weich begrüßt die Venus ihre Gäste: Zwei Blondinen, oben ohne, nur in Slip und hohen Lackstiefeln, stehen als Empfangskomitee bereit. Man muss zweimal hinschauen, um den Anblick zu verarbeiten. Kommen die Besucher doch gerade erst aus der Welt der Angezogenen und Frierenden. Es ist Ende Oktober und kalt in Berlin. Die beiden Evas an der Tür zum Garten Eden drücken jedem, der eintritt, eine lila Plastiktüte in die Hand. Tüte um Tüte überreichen sie, insgesamt werden 25.000 Besucher erwartet. Die greifen dankbar zu, verspricht das Behältnis doch ein wenig Diskretion beim erotischen Einkauf. Für den Heimweg gilt das nicht: "Das geile Lila" steht in großen, gelben Lettern auf der Tüte.

Auch Michael und Daniel haben ihre Tüte erhalten, schlendern nun durch die Hallen, 20.000 Quadratmeter voller Vollerotik. Hier gibt es alles, was Lust verspricht oder wecken soll: Sexspielzeuge in jeder erdenklichen Form und Farbe, Reizwäsche für Frau oder Mann, mal essbar, mal nur schwer verdaulich sowie haufenweise Filme. Und natürlich viel, viel nackte Haut.

Maskuline Rudelbildung

Der Besucherstrom verläuft sich auf dem riesigen Gelände, Gedrängel nur dort, wo der Wettbewerb im Table Dance in seine nächste Runde geht. Zu hämmernden Technobeats tanzt eine schlanke Schönheit auf dem Podest, gleitet grazil an der Stange empor, katzenartig jede ihrer Bewegungen. Unten steht die Masse mit den Fotoapparaten, Männer, die einfach nur starren. Es ist wie bei hungrigen Hunden, denen man das Leckerli direkt vor die Nase hält. Ein dicker Mann mit offenem Hemd und Lederweste schiebt das Rudel von hinten an, will mit seiner Kamera ganz nach vorn. Er schnauft, als er das Hinterteil der Tänzerin ganz dicht vor der Linse hat. Als der Auftritt vorbei ist, leert es sich schnell, nur ein Hauch von Männerschweiß hängt noch in der Luft.

Die nächsten Opfer sind schnell gefunden. Zwei Strip-Politessen in grüner Lackuniform haben die Aufmerksamkeit der Meute geweckt. Die beiden Mädchen werben für "Cockolada", einen alkoholfreien Fruchtcocktail. Der kommt - und das erst macht ihn venuswürdig - in einer Tube in Penisform daher. Betont lasziv züngeln die beiden Politessen an der Spitze der frivolen Flasche, die Masse johlt und nimmt auch diesen Schnappschuss gerne mit. "Weitere Getränkesorten sind in Vorbereitung", kündigt der Hersteller an, wohl wissend, dass man die Leute hier mit einem Fruchtcocktail kaum locken kann. Während Mann noch überlegt, ob es sein Feierabendbier bald auch aus der Penistube gibt, sind die Mädchen schon wieder ein Stück weiter, umringt vom nächsten Rudel. Am Stand der Firma "Cempel Imports" bestauen Michael und Daniel eine "Weltneuheit": Den Dildo aus poliertem Granit. Echte Handarbeit! "Granit ist ein idealer Wärme- oder Kältespeicher, damit man kann das Vergnügen immer wohltemperieren", erklärt die Messedame. Michael steht noch grübelnd vor dem "Granit Phallus, white galaxy extra big", als sie darüber informiert, dass sich das Spielzeug auch ideal als Raumschmuck eignet. "Von denen da drüben habe ich zwei auf dem Kaminsims stehen, die sind sogar beleuchtet", plaudert sie aus dem Nähkästchen echter Dildo-Wohnkultur.

"Ich finde Porno geil"

"Würde ich mir nie kaufen", meint Günter M. aus Potsdam, "alles, was ich zum Sex brauche, trage ich immer bei mir." Günter ist 38, alleinstehend und Schlosser von Beruf. Für die Venus hat er sich extra einen Tag frei genommen. "Auf der Venus geht es immer richtig ab", erzählt er aus Erfahrung, bereits im vierten Jahr kommt er jetzt hierher. Günter ist ein Fleisch gewordenes Klischee: Enge Jeans, das Hemd weit offen, Goldkette, dazu Schnauzbart und Pferdeschwanz. Er gehört jenen Männern, die für einen erotischen Abend die Videothek um die Ecke aufsuchen. "Ich finde Porno geil", gibt er unumwunden zu.

Und damit ist er nicht allein: In Deutschland werden jährlich 350 bis 500 Millionen Euro allein für Verkauf und Verleih von Pornofilmen ausgegeben, schätzen Branchenkenner. Deutschland ist nach den USA der größte Mark für Pornoartikel aller Art, daher auch Anziehungspunkt für Erotikfirmen von allen Kontinenten. Sündige Globalisierung: Weltweit bringt es die Branche nach Schätzungen auf etwa 20 Milliarden Dollar. Tendenz steigend.

Vollerotik auf dem Tapeziertisch

Die großen Produktionsfirmen wie "Vivid" oder "Magma" lassen sich ihren Messeauftritt richtig etwas kosten. Sie präsentieren sich mit großen, bunten Ständen, und haben pünktlich zur Venus ein ganzes Repertoire von neuen Filmen parat. Ihre Darstellerinnen geben Autogramme, so als wären sie echte Stars. Und tatsächlich: Das überwiegend männliche Publikum steht brav an, um ein Poster mit Widmung zu erhaschen.

Neben den Tempel der Branchengrößen buhlen auch viele kleine Händler um die Gunst der Kunden. Ihnen muss aber ein Tapeziertisch als Auslage für ihre Filme reichen. Als einzige Dekoration steht bei ihnen nur ein alter Fernseher, der die immer gleichen Streifen rauf- und runterspielt. Bei ihnen gibt es vor allem ältere Filme, die die großen Ketten nicht mehr wollen. Doch sie verkaufen günstig, bieten die Hardcore-DVD schon ab fünf Euro an.

"Geiz ist hier ganz besonders geil", kalauert Günter, während er sich durch eine Kiste mit Sonderangeboten wühlt. Filme wie "Anal Intruder" oder "Angel Buns" gleiten durch seine Finger, sorgsam überprüft er stets auch die Rückseite der Hüllen. "Man muss darauf achten, das die Mädchen auf dem Cover auch wirklich in dem Film mitspielen", verrät er kundig. "Manchmal verarschen die einen, und dann sind da nur so hässliche Tussen am Start." Er entscheidet sich schließlich für echte deutsche Wertarbeit: "Die Bäuerin vom Pimmelhof" wandert in seine lila Tüte.

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