GESPERRT! Yves Saint Laurent "Yves Saint Laurent war die Antwort auf alle modischen Fragen"

Von Wolfgang Joop
Der eine ein Star der Pariser Laufstege, der andere ein kleiner Lohnzeichner aus Deutschland. Anfang der Siebziger lernte WOLFGANG JOOP den französischen Couturier kennen. Eine sentimentale Erinnerung.

Es war einer dieser gigantischen Momente, die ich nie vergessen werde: Ich stand mit meiner damaligen Ehefrau Karin vor dem Intercontinental Hotel in Paris, in wenigen Minuten sollte die Haute-Couture-Show von Yves Saint Laurent beginnen. Wir bebten innerlich, denn er war unser großes Idol, unser Fashion Messias. Leider hatten wir keine Einladung zu seiner Modenschau - wohin hätte sie auch geschickt werden sollen? Ein Hotel konnten wir uns zu der Zeit nicht leisten. Es war 1976 und ich noch ein kleiner Modezeichner, der seine Illustrationen an Zeitungen verkaufte, manchmal für weniger als 30 Mark. Aber wir liebten die Mode dieses französischen Revolutionärs, aßen wochenlang nichts, nur um in seine ultraschmalen Entwürfe zu passen.

An diesem Tag, an dem Yves seine "Ballets Russes"-Kollektion zeigen sollte, hatten wir uns mit dem Besten aufgerüscht, was unser Low-Budget-Kleiderschrank zu der Zeit hergab: Karin trug einen Silberfuchsmantel aus den dreißiger Jahren, den wir beim Hamburger Auktionshaus Schlüter ersteigert hatten, dazu dunkelroten Lippenstift in ihrem blassen Filmstar- Gesicht. Ich hatte ein Sakko im Gary-Cooper- Stil an, an den Ellenbogen geflickt, dazu die Originalhose mit den vier Fältchen. Wie alle Kreativen hatte Yves stets einen Blick für Menschen, die seine Stimmung, seinen Mut, seine Lust illustrierten, und genau das müssen wir ausgestrahlt haben. Nachdem er kurz vor Showbeginn in seinem kleinen, schwarzen VW Käfer vorgefahren war, blickte er in die Menge und zog Karin und mich am Handgelenk hinter sich her in den goldenen Ballsaal. Da saß ich dann neben Diana Ross, die auf nackter Haut nichts als einen dunkelblauen Yves-Saint-Laurent-Nadelstreifenanzug trug. Sie war unfassbar sexy. Diese Art sich zu kleiden war revolutionär, es gab überhaupt gar keine andere Option mehr. Genau so wollte man aussehen.

Andere Modedesigner mögen wunderbare, hoch komplizierte und in ihrer Konzeption einzigartige Entwürfe hingelegt haben - egal: Die Clique, zu der man Anfang der Siebziger gehören wollte, trug Yves Saint Laurent. Er war die Antwort auf alle modischen Fragen. Was Christian Dior, bei dem Saint Laurent seine ersten Schaffensjahre verbrachte, an Restaurationsarbeiten am französischen Frauenbild geleistet haben mochte - Yves nahm es ihm wieder weg. Alles, was er auf den Laufsteg brachte, war unerhört, eine Provokation: der Hosenanzug für die Frau, Transparenz in den Stoffen, das Hemdblusenkleid, der Trenchcoat - männliche Mode, zugeschnitten auf ein neues Frauenbild.

Ausdruck an Individualität

Diese Einstellung sorgte selbst in den freizügigen Siebzigern für Skandale. Als Yves seine erste Boutique in New York eröffnete und dabei Andy Warhol kennenlernte, übertrug er fasziniert den Drag-Queen-Look des Studio 54 in seine Kollektionen: breite Schultern, hohe Plateauschuhe, falscher Schmuck - die Pariser Gesellschaft war entsetzt. Doch Yves näherte sich der Mode stets mit der Neugier eines Kindes, völlig frei von Sentimentalitäten und Ressentiments. Er arbeitete meist zurückgezogen und mit wenig Kontakt zu seiner Außenwelt und sog doch alle Einflüsse aus der Jugendkultur in sich auf. Eine Journalistin, die seine frivolen Entwürfe als allzu vulgär empfand, schrieb damals nach einer Show: "Es herrscht wieder Krieg!"

Eine Kollektion von Yves Saint Laurent, die ganze Art der Inszenierung, seine Models, all das war ein Ausdruck an Individualität, wie die Modewelt sie bis dato nicht gekannt hatte. Als hätte man die Mitglieder von Warhols Factory auf den Laufsteg gescheucht, gab es alle Farben, Nationalitäten, so viel Atmosphäre, dass jeder Zuschauerin beim Anblick ein Stein vom Herzen fiel - mitten in die Handtasche hinein.

Yves Saint Laurent hat Moderegeln neu definiert, und seine große Leistung bestand darin, das ultimativ Simple auf den Laufsteg zu bringen. Ein paar seiner Zeitgenossen mögen es mir übel nehmen, aber nur er war derjenige, der Gültiges schuf. Miuccia Prada hat es Jahre später gut auf den Punkt gebracht: "Das Interessante an der Mode ist, dass auf einmal alle eine Sprache sprechen. Einer sagt das erste Wort, und die Welt spricht den Satz zu Ende." Yves Saint Laurent gab diese Stichworte. Er hatte eine modische Omnipräsenz, die es sonst nur in der Musik gibt. Die Öffentlichkeit suchte nach Schlagzeilen, er gab sie ihnen. Er vereinbarte das scheinbar Unvereinbare miteinander - und es wirkte logisch und leicht.

Sehr früh hatte er verstanden, dass man nicht mit der Haute Couture, sondern mit Pret-à-Porter Geschäfte machen konnte, und rettete sich und seine Firma mit serieller Produktion über die schwierigen Anfangsjahre. Er brachte Jeans auf den Laufsteg, übertrug Materialien des täglichen Lebens in seine Kollektion, ja sogar Armeestoffe waren plötzlich tragbar.

"Eine zarte schöpferische Seele, die von uns ging"

Ich erinnere mich noch an ein Safari-Jackett, das ich Anfang der Siebziger unbedingt besitzen wollte. Ich habe auf nichts anderes mehr gespart, bis ich mir diese Jacke kaufen konnte. Dabei passte sie mir noch nicht einmal richtig: an den Ärmeln zu kurz, die Taille saß quasi auf den Rippen, aber man konnte einfach nicht mehr leben ohne diese Jacke. Gianni Versace besaß die gleiche. Wir saßen damals oft zusammen im Café Flore in Paris und zeichneten - ich an meinen Magazin-Illustrationen, er für das Haus Callaghan, für das er zu der Zeit arbeitete. Zur coolen Gang um Yves Saint Laurent gehörten wir bedauerlicherweise beide nicht - auch wenn Yves meine Zeichnungen schätzte. Ich habe ihn aus der Entfernung bewundert, er war da und ist bis heute geblieben. In meinen Gedanken, als Vorbild und Inspiration bei meinen eigenen Entwürfen. Yves ist noch immer mein Fashion-Messias, weil er geschickt wie kein Zweiter war. Er hat Kontraste gesetzt und gleichsam ineinander aufgelöst. Er verband das Männliche mit dem Weiblich-Frivolen, das Alltäglich- Sportive mit dem Revuehaften. Gypsy, Folklore, Mondrian oder die Mongolen - Saint Laurent bediente sich bei allem und schuf aus alten Bildern aufregend neue.

"The fashion planet is a planet of disappearance" hat Alicia Drake in ihrem Buch "The Beautiful Fall" geschrieben, in dem man zwischen den Zeilen Yves Saint Laurents Leben nachlesen kann. Es sind viele aufgetaucht und viele wieder verschwunden in der Modewelt. Ich weiß, Yves Saint Laurent wird bleiben. Er ist über die letzten 40 Jahre zu einer Konstanten geworden, auch wenn wir uns dessen gar nicht bewusst sind. Er hat bis heute gültige Dinge für die Mode geschaffen, so wie das Bauhaus für die Architektur.

Eine "lebende Legende" hat man ihn zu Lebzeiten genannt. Doch während der letzten Jahre war er nur noch Legende. Gestorben ist Yves Saint Laurent schon viel früher. Ein Mensch, der gegen massive Widerstände gekämpft hat, vor allem in sich selbst. Begleitet von selbstzerstörerischen Zweifeln und Ängsten, hat er seine Umwelt tyrannisiert und gleichzeitig beschenkt. Ein zarte schöpferische Seele, die von uns ging, in dem Moment, wo er seine letzte Kollektion auf dem Laufsteg zeigte. Ich werde ihn und seine Entwürfe - bis hin zur der schlecht sitzenden Safari-Jacke - wie Kunstwerke bewahren. Gerade in einer Zeit, wo zwar alles teuer ist, aber kaum noch etwas Wert hat.

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