Harvey Weinstein muss wegen Sexualverbrechen weitere 16 Jahre in Haft. Das entschied ein Gericht in Los Angeles Anfang dieser Woche. Der einstige Filmmogul sitzt bereits im Gefängnis – wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung. Die Liste der Frauen, die Opfer von Weinsteins Übergriffen wurden, ist lang. Auch Evgeniya Chernyshova steht darauf.
Die 43-Jährige war die erste von insgesamt 44 Zeuginnen, die im Prozess gegen Weinstein aussagten. Während die meisten der Betroffenen lieber anonym bleiben, hat Chernyshova nun in einem erstaunlich persönlichem Interview mit ihrem Anwalt über ihre Erfahrungen mit Weinstein gesprochen, wie das Magazin "Hollywoodreporter" berichtet.
Treffen während der Oscars 2013
Demnach sei die Nachricht über die Verurteilung von Weinstein eine echte Erleichterung für die Mutter von drei Kindern gewesen. Es war die Spitze des Eisberges, der sich seit 2017 immer weiter aufgebaut hatte. Damals war Chernyshova als Model und Schauspielerin tätig und erstattete Anzeige gegen den ehemaligen Produzenten – seinerzeit noch anonym. Sie war seither bekannt als "Jane Doe 1".
Grund für die Anzeige waren die Ereignisse während der zweiten Oscar-Woche im Jahr 2013. Nachdem sich Harvey Weinstein und Chernyshova auf einer Veranstaltung kurz getroffen hatten, ging sie allein auf ihr Hotelzimmer. Dort tauschte sie das Kleid vom roten Teppich gegen einen Bademantel – und wollte den Abend ruhig ausklingen lassen. Harvey Weinstein hatte aber offenbar andere Pläne.
"Hier ist Harvey. Wir müssen reden."
Er rief über die Rezeption in Chernyshovas Zimmer an und sagte: "Hier ist Harvey, wir müssen reden." Die Schauspielerin war verwirrt und sagte ihm, sie könnten sich am nächsten Tag unterhalten. Wenige Minuten später habe es dann aber an ihrer Zimmertür geklopft. Sie erinnert sich noch genau an seine Worte, wie sie im Interview berichte: "Er sagte, 'Hey, ich bin's, Harvey Weinstein. Öffne die Tür. Wir müssen uns unterhalten. Ich werde dich nicht ficken, ich muss nur mit dir reden'."
Nach kurzem Überlegen und aus Unsicherheit, wie sie heute sagt, öffnete sie die Tür. Ein Schritt, den sie bis heute bereue. Weinstein habe sich dann auf einen Stuhl gesetzt und angefangen, auf sie einzureden. "Mir wurde schnell klar, dass irgendwas nicht stimmte", erinnert sich das ehemalige Model. Also erzählte sie vehement von ihrem Mann und ihren Kindern. Sie wollte signalisieren, dass sie nicht verfügbar ist.
Die Schauspielerin erinnert sich daran, wie Weinstein irgendwann seine Hose öffnete. Wie sie versucht habe, sich zu wehren, aber keine Chance hatte: "Er vergewaltigte mich erst im Schlafzimmer, dann schleppte er mich ins Bad und machte dort weiter", sagt sie. Danach habe er sich angezogen und sei gegangen. "Ich fühlte mich sehr sehr dreckig und dachte, ich müsste sterben."
Depressionen und Suchtprobleme
Auf die Vergewaltigung folgten Depressionen, Suchtprobleme und Selbsthass. Erst ein Gespräch mit ihrer damals 16-jährigen Tochter über einen sexuellen Übergriff im Jahr 2017 brachte eine Veränderung. Beide schlossen einen Pakt: Sie wollten die Taten melden und nicht länger schweigen. Also ging Chernyshova zur Polizei und zeigte Weinstein an. Es dauerte nicht lange, bis klar wurde: Sie war bei weitem nicht die einzige Betroffene. Der Rest ist Geschichte. Für Chernyshova ist es eine mit Happy End.
Heute betreibt sie ein erfolgreiches Blumengeschäft in Beverly Hills und hat mit den Ereignissen von vor zehn Jahren abgeschlossen. Aber warum bricht sie genau jetzt ihr Schweigen und tritt aus der Anonymität heraus? "Wenn ich mich weiter verstecke, kann ich nichts tun", sagt sie in dem tränenreichen Interview. Und Chernyshova möchte so viele Frauen wie möglich vor der Erfahrung bewahren, die sie mit Weinstein durchleben musste.