Wenn Queen Elizabeth II. um 19 Uhr in Berlin-Tegel landet, beginnt ihr fünfter Staatsbesuch in Deutschland. In Erinnerung geblieben ist vor allem ihr erster, der als "Jahrhundertbesuch" in die Geschichte einging. In diesem Zusammenhang entstand eine Legende, die so originell ist, dass sie bis heute erzählt wird. Ganze elf Tage blieb die Queen damals, die vielen Deutschen als eine Märchenkönigin erschien. Selbst der "Spiegel" bekam Schnappatmung und schwärmte von der "reichsten Frau der Welt", die zum längsten und teuersten Staatsbesuch der bundesdeutschen Geschichte komme. Bundespräsident Heinrich Lübke fühlte sich im Namen aller Deutschen geschmeichelt: "Ihren Besuch, Majestät, verstehen wir auch als ein Zeichen wachsenden Vertrauens zu unserem Volk."
Die Königin hatte sich ein strammes Programm vorgenommen. Sie legte insgesamt 3000 Kilometer zurück, besuchte in der Zeit acht Bundesländer und mehr als 20 Städte. Am 24. Mai 1965 stand das Schiller-Nationalmuseum in Marbach am Neckar auf dem Programm. Aber interessierte sich Elizabeth II. wirklich so sehr für den Dichter, der mit Maria Stuart die große Rivalin ihrer Vorläuferin Elizabeth I für die Bühne verewigte? Möglicherweise liegt in dieser Frage der Ursprung der Legende, die damals entstand und die sich bis heute hartnäckig gehalten hat.
Eine Erfindung der "B.Z."
Denn die Queen war und ist eine große Pferdenärrin. Und es gibt in Baden-Württemberg ein zweites Marbach, 75 Kilometer von der Schillerstadt entfernt. Und dieses Marbach beheimatet ein berühmtes Gestüt. Es waren wohl Redakteure der Berliner Boulevardzeitung "B.Z.", die auf den genialen Gedanken kamen, beim Besuch von Marbach könne es sich um eine Verwechslung gehandelt haben und der Queen unterstellten, eigentlich an den Pferden interessiert gewesen zu sein. Einen Tag später, am 25. Mai 1965, erschien in der "B.Z." ein Artikel, der die Legende in die Welt setzte: "Die Königin besuchte Marbach, den Geburtsort Schillers. Marbach hatte sie besuchen wollen. Es war sogar ihr ausdrücklicher Wunsch an das deutsche Protokoll gewesen. Aber ein 75 Kilometer vom Schiller-Marbach entfernt liegendes Marbach, das wegen seines Gestüts bekannt ist." In ebendiesem Artikel legten die Redakteure der Queen die berühmten Worte in den Mund: "Where are the horses?" - "Wo sind die Pferde?".
Die Geschichte ist einfach so gut, dass sie seither kolportiert und immer wieder gedruckt wird, viele Menschen halten sie bis heute für wahr. Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden. Schon der große Regisseur John Ford wusste: "When the legend becomes fact, print the legend." - "Wenn die Legende zur Wahrheit wird, druck die Legende!".