Die Italienerin, die wegen ihrer roten Haare den Spitznamen 'La Pantera Rossa' trägt, begann ihre Karriere als Schlagersängerin und machte sich in den achtziger Jahren in Deutschland als Brecht-Interpretin einen Namen STERN: Milva wird sechzig, die selbsternannte 'letzte Diva', kommt ins Rentenalter. Ist jetzt Zeit zum Aufhören?
MILVA: Sie sollten meinen Terminkalender sehen: randvoll bis ins nächste Jahr. Tourneen, neue CD-Einspielungen, Theater, wie jetzt in Palermo, wo ich in Astor Piazzollas Oper 'La Maria de Buenos Aires' zu sehen bin.
STERN: Anfang der 90er Jahre hatten Sie schon mal Ihren Abschied von der Bühne angekündigt. Schwere Depressionen, hieß es.
MILVA: Von wegen Abschied. Das haben mittelmäßige Schreiberlinge verbreitet, vor allem in Deutschland. Ich habe meine künstlerische Arbeit niemals unterbrochen, trotz der Depressionen.
STERN: War die Versuchung nicht groß, wie andere Depressive unter die Bettdecke abzutauchen?
MILVA: Weiß Gott. Während der Arbeitspausen saß ich meist hier auf dem Sofa in meiner Mailänder Wohnung. Ich fühlte mich so elend, daß ich mich am liebsten darunter verkrochen hätte: Ich wollte unsichtbar werden, mich auflösen.
STERN: Ihre Psychotherapeuten scheinen ganze Arbeit geleistet zu haben, so gelöst, wie Sie heute wirken.
MILVA: Ich habe das allein geschafft. Depression ist nämlich vor allem eine mentale Angelegenheit: Ich habe mich gefragt, warum es mir so elend ging. Als ich die Frage geklärt hatte, fühlte ich mich besser.
STERN: Dafür haben Sie öffentlich das Hohelied auf das Antidepressivum Prozac an-gestimmt.
MILVA: Ich hatte davon gelesen und dann per Telefon einen renommierten Neurologen um das Rezept gebeten. Ich mußte damals auf Belgien-Tournee und war ziemlich am Ende. 'Probieren Sie's!' sagte der Professore, 'eine Tablette am Tag. Und kommen Sie nach der Tour zur Untersuchung!' Das war dann nicht mehr nötig.
STERN: Sie haben Ihre Krankheit nie zu verbergen versucht, fast offensiv zum Thema gemacht. Teil Ihrer Selbsttherapie?
MILVA: Mag sein. Wenn ich eine Geschlechtskrankheit gehabt hätte, wäre ich sicher verschwiegener gewesen. Aber eine Depression, die man früher verschämt 'nervösen Erschöpfungszustand' nannte, ist nun mal eine Krankheit, die man heilen muß. Wie ein gebrochenes Bein.
STERN: Für Ihre gebrochene Seele gab es neben Prozac mentale Selbsthilfe. Welche?
MILVA: Ganz einfach die Erkenntnis, daß es keinen vernünftigen Grund gab, so furchtbar zu leiden. Ein Mann hatte mich verlassen. Damals war ich 50. Diese Situation erlebte ich wie einen Trauerfall - als ob dieser Mann gestorben wäre.
STERN: Plötzlich war auch 'La Pantera Rossa'in die Jahre ge- kommen. Wäre das allein nicht Grund für eine satte Depression gewesen?
MILVA: Ich finde, daß ich ganz gut klarkomme mit dem Altern. Damit hatte meine Trauer über das Verlassenwerden ganz gewiß nichts zu tun, obwohl dieser Mann bald zehn Jahre jünger war als ich. Ich finde mich heute ohnehin viel schöner als mit 30.
STERN: Leiden Sie unter Einsamkeit?
MILVA: Sicher könnte ich nie mehr mit einem Mann zusammenleben. Dazu habe ich viel zu lange selbstbestimmt gelebt, und diese dauernde Nähe würde mich ermüden. Aber ich gebe zu, daß ich nicht frei bin von gewissen Bedürfnissen und erotischen Träumen.
STERN: Taugen Ihre betont sinn-lichen Bühnenauftritte und die Huldigungen Ihres Publikums als Liebesersatz?
MILVA: Es gibt schon Momente während meiner Konzerte, in denen ich eine totale Befriedigung aller Sinne erlebe. So stelle ich mir einen echten Orgasmus vor. Denn wenn überhaupt, dann habe ich ihn nur auf der Bühne erlebt.