Der Mitbegründer der subversiven Dichterszene am Ost-Berliner Prenzlauer Berg wurde 1991 von Wolf Biermann als 'Sascha Arschloch' bezeichnet und als Stasi-Spitzel enttarnt STERN: Wann hat Sie das letzte Mal jemand 'Sascha Arschloch' genannt?
ANDERSON: Lange her. Da wollte einer zeigen, daß er informiert ist.
STERN: Gelingen Ihnen seit 1991 noch lyrische Zeilen?
ANDERSON: Das ist kein Problem. Meine Lyrik ist nicht abgenabelt. Im Gegenteil. Von jedem Gedicht, das ich veröffentliche, weiß ich wenigstens noch den Grund.
STERN: Stasi-Spitzeleien in lyrischen Versen?
ANDERSON: Das Thema im Gedicht, vielleicht? Obwohl es nicht gerade meine favorisierte Begrifflichkeit ist. Die Wirklichkeit hat andere Normen als die Sprache. Das sieht man am Gesprochenen. Davon bleibt im Gedicht nur die Ebene des Desasters.
STERN: Wie viele Bändchen haben Sie seit der Wende veröffentlicht?
ANDERSON: Vier. Das letzte ist eine erweiterte Neuauflage von 'jeder satellit hat einen killersatelliten'.
STERN: Welche Auflage?
ANDERSON: In der Regel 1000 Exemplare. Die haben dann zehn Jahre Zeit, abzulagern.
STERN: Können Sie davon leben?
ANDERSON: Zum Glück kann man von Lyrik nicht leben. Und so soll es auch bleiben. Ich arbeite als Herausgeber und Layouter für verschiedene Verlage. Außerdem schreibe ich wieder Texte für Rockbands.
STERN: Sie waren seit 1975 Spitzel der Stasi, haben mehrere hundert Berichte geliefert. Trotzdem haben Sie zunächst versucht, alles abzustreiten...
ANDERSON: . . . das war ein Versuch, öffentlich Idiotie zu demonstrieren. Aber eigentlich ging es darum, einen Zusammenbruch zu verhindern. Auch Idiotie.
STERN: Sind Sie danach auf Ihre bespitzelten Freunde zugegangen?
ANDERSON: Nein, so einfach ist das nicht. Gerade ich gehe nicht irgendwo hin und sage: Guten Tag, ich hätte da ein paar Antworten, die alles erklären.
STERN: Fehlte Ihnen der Mut, oder waren die anderen schneller?
ANDERSON: Weder noch. Es war mal wieder Gründerzeit nach der Wende. Die ideale Bedingung fürs Verdrängen. Es ist nicht einfach, ohne Selbstzweifel und auch noch intelligent aus der Wirklichkeit auszusteigen.
STERN: Wie haben Sie Ihren Freunden den Verrat erklärt?
ANDERSON: Ich habe bis heute kaum Erklärungen, schon gar keine öffentlichen. So unterschiedlich, wie die Gründe sind, daß ich zur Staatssicherheit kam und blieb, so differenziert wird wohl auch der Weg aus dem Trichter heraus sein. Gläubigkeit, Voyeurismus, das Spiel mit der eigenen Existenz?
STERN: Ist das nicht pervers: am Abend Vortänzer in der subkulturellen Szene und am nächsten Tag beim Führungsoffizier?
ANDERSON: Das 'Wir' auf der einen Seite und die Überheblichkeit auf der anderen. Der Stasi gegenüber. Das ist vielleicht noch viel schlimmer, im nachhinein. Der Knast hat, zumindest mir damals, die Illusionen aus den Gedärmen getrieben.
STERN: Welches Wort haben Sie dafür - Verrat?
ANDERSON: Verrat ist das richtige Wort. Die Kunstszene hat das partiell anders gesehen, aber die Opposition hatte sicher nichts zu lachen. Es war ja auch Verrat an einem Ich, das ich immer noch ablehne.
STERN: Was hat von der Dichterkolonie im Berliner Prenzlauer Berg überlebt?
ANDERSON: Alles. Es sind alle noch da, nur älter.
STERN: Und abends trifft man sich im 'Torpedokäfer' - der Kneipe für unangepaßte Dichter.
ANDERSON: So ist es. Ich habe meine Geheimnisse verloren und werde nicht mehr erkannt. Heute geht es nicht darum, ein Gedicht zu schreiben, sondern darum, es zu vermeiden.