Nach fast fünf Jahren in den Händen der libanesischen Hisbollah kam der ABGESANDTE des Erzbischofs von Canterbury im November 1991 freiZur Person :
ERINNERUNGEN Terry Waite, 61, lebt in London. Der 2-Meter-Hüne ist verheiratet und hat vier Kinder. Heute hält er weltweit Vorträge über Konfliktforschung und seine Erfahrungen in 1763 Tagen Geiselhaft. Monatelang war er, bis auf die Toilettengänge, ununterbrochen an seinen Mitgefangenen Thomas Sutherland angekettet - was zu erheblichem Zoff führte.
Wann haben Sie zuletzt von Ihrer Geiselhaft in Beirut geträumt?
Komisch, dass Sie das fragen: erst letzte Nacht. Dabei habe ich das seit vielen Jahren nicht mehr getan.
Was bereitete Ihnen damals die meiste Angst?
Die Agonie meiner Familie, vor allem meiner vier Kinder. Sie waren alle an der Universität. Ich hatte Sorge, dass mein Schicksal ihr Studium beinflussen könnte. Aber ich habe ihre Kraft unterschätzt. Sie sind damit gut zurechtgekommen, vor allem mit der Hilfe meiner Frau. Die hat einen starken Charakter.
Wie haben Sie die traumatischen Erfahrungen dieser 1763 Tage, die meisten davon in Einzelhaft und bei Dunkelheit, bewältigt?
Als ich rauskam, bekam ich den allerbesten Rat: alles ausführlichst einem objektiven Zuhörer zu erzählen. Denn wenn du die Erinnerungen unterdrückst, jagen sie dich noch lange Zeit.
Ihr Tipp an die Göttinger Familie Wallert, die nach 142 Tagen Gefangenschaft von den Abu-Sayyaf-Rebellen freigelassen wurden?
Ich kenne Jolo gut. Ich habe da vor 20 Jahren Entwicklungsprojekte entwickelt. Mein stärkster Rat wäre: Nehmt euch Zeit zum Wiedereinleben, soviel ihr braucht. Es ist wie mit einem Taucher, der aus einer großen Tiefe an die Oberfläche kommt. Kommt er zu schnell nach oben, nimmt er großen Schaden. Wenn man sich hingegen die Zeit nimmt, die man braucht, ist nach einem Jahr das Schlimmste vorbei. Gut ist auch, über seine Erinnerungen zu schreiben. Das hat mir sehr geholfen.
Auch Ihr zeitweiliger Mitgefangener, der Amerikaner Thomas Sutherland, hat sich seine Erfahrungen von der Seele geschrieben. Dabei kamen Sie nicht gut weg. Er warf Ihnen vor, alle Geiseln rüde dominiert zu haben. Wenn Sie sich nachts umdrehten, hätten Sie Krach gemacht »wie eine Herde durchgegangener Elefanten«. Und bei Ihrem Schnarchen habe »sich das Dach des Verlieses gehoben«.
Schön wär's gewesen. Dann hätten wir ja abhauen können. Ich hatte damals eine lebensbedrohliche Infektion und Wasser in den Lungen. Ich konnte nicht richtig atmen. Aber ich kann seine unfreundlichen Bemerkungen verstehen. Wir beide waren sechs Monate auf engstem Raum aneinander gekettet.
Tag und Nacht?
Immer, bis auf den Klogang. Wir gingen uns irgendwann einfach furchtbar auf den Geist. Er mir zum Beispiel durch sein unterwürfiges Verhalten gegenüber den Geiselnehmern. Ich habe es ihm gesagt, und er hat sich schrecklich aufgeregt. Das war nicht klug von mir. Ich habe daraus gelernt, dass man niemand für seine Überlebenstaktik kritisieren sollte.
Haben Sie noch Kontakt zu ihm?
Er hat mir irgendwann einen entschuldigenden Brief geschrieben und vorgeschlagen, die Vergangenheit zu begraben. Kein Problem für mich.
Und zu anderen Mitgeiseln?
Sehr sogar. Vor allem zu Terry Anderson in den USA. Er war ja noch länger drin als ich.
Der Journalist Anderson kehrte für CNN nach Beirut zurück und traf sogar seine Geiselnehmer. Wäre das auch was für Sie?
Warum nicht? Ich habe kein Problem, sie zu treffen. Die Hisbollah musste damals einfach ihren Job tun. Ich habe ihre Motive verstanden.
Die US-Geiseln haben erst kürzlich aus eingefrorenen iranischen Konten Millionen-Entschädigungen erhalten. Sie gingen leer aus.
Tja, falscher Pass. Das ist gut gelaufen für die Jungs drüben, zumal das Geld ja nicht vom amerikanischen Steuerzahler stammt. Ich spüre keinen Neid.
Wovon leben Sie jetzt?
Ich arbeite nicht mehr für die Anglikanische Kirche und bin jetzt lieber mein eigener Boss. Ich wurde lange genug herumgestoßen. Mein Geld verdiene ich mit Schreiben und Vorträgen über internationalen Terrorismus. Aber wenn mir Terry Anderson ein bisschen was von seinen Millionen rüberschieben will: Ich hätte nichts dagegen.