Aftershave Plötzlich verduftet

Von Harald Braun
Hat Mann sich einmal für ein Aftershave entschieden, ist das der Beginn einer festen Beziehung. Was aber, wenn sein Stoff vom Markt genommen wird? Ein Leidensbericht.

Den Duft "Jako" "launchte" Karl Lagerfeld 1997. Das ist ein Satz, der in meinen Ohren so klingt wie: "Neulich besuchte ich mit meinem weißen Pudel eine Mozart- Matinee." Es ist also vermutlich auch ein Satz, der in meiner Welt kaum wahrgenommen worden wäre, wenn ich nicht zu jener Zeit für ein Magazin geschrieben hätte, das sich den Freuden und Nöten junger Frauen widmete. Die dort für die Sektion "Schönheit" eingeteilte Fachkraft drückte mir Lagerfelds neues Aftershave-Produkt "Jako Balm" in die Hand und sagte: "Es passt so gut zu deinem Typ, teste es doch einmal!"

Bevor Sie da einen falschen Eindruck gewinnen: Im Grunde bin ich der Nivea-Typ. Immer schon gewesen. Für mich galt: Produkte für die Körperpflege sollten in erster Linie bezahlbar und im örtlichen "Seifenplatz" erhältlich sein. Nie hätte ich mir vorstellen können, freiwillig eine Parfümerie zu betreten und nach einem bestimmten Duft zu suchen. Doch dann trat Karl Lagerfeld in mein Leben und zeigte mir, wie man mit der Hilfe eines "eigenen" Duftes die Grenzverläufe seiner Persönlichkeit schärft. Denn es ist ja so: Da draußen möchte man doch möglichst wahrgenommen werden als Mensch mit eigener Note, einer Geschichte, vielleicht sogar einem Markenzeichen: Riesenhubers Fliege, Lindenbergs Hut, von mir aus auch Luca Tonis Ohrendreher - Distinktionsmerkmale allesamt, subtile Waffen im Kampf gegen den eigenen Grauwert. Wie schön, dass man sich die eigene Unverwechselbarkeit durch so kleine Dinge bestätigen lassen kann wie etwa eine abseitige Jeans, ein Elektro-Auto oder eben einen Duft von Karl Lagerfeld. In meinem Fall reichte schon dessen Aftershave-Balm, der für mich so etwas wie "gehobene Lebensart" simulierte und dessen olfaktorische Aura in meinen vier Wänden mich im Laufe der Zeit tatsächlich denken ließ: Ich.

Ab 1997 besuchte ich einmal im Quartal eine Parfümerie, ließ mir den Stoff einwickeln und machte, dass ich unerkannt verschwand. Dann kam der Tag, als zum ersten Male eine der perfekt gestylten Douglas-Dominas meine Bitte abwies: "‚Jako After Shave‘ haben wir nicht mehr da. Lief wohl nicht so toll!"

Halsstarrig auf der Suche

Als Krebs gehört Loyalität zu meinen Primärtugenden. Wenn Krebse einmal etwas lieb gewonnen haben - einen Fußballverein, einen Menschen, ein ... tja ... Aftershave -, dann bleiben sie in der Regel dabei. Meine Frau nennt das übrigens nicht loyal, sondern unflexibel, in schlechten Momenten sogar halsstarrig. Möglicherweise hat sie recht. Dachte ich jedenfalls an Tagen, an denen ich nun zunehmend verärgert auf der Suche nach "Jako" durch abgelegene Vorstädte stromerte und irritierte Duft-Dealerinnen in Debatten über ihr Sortiment verwickelte. Als ich entdeckte, dass "Jako" sich in München offenbar länger auf dem Markt hielt, kaufte ich dort die Bestände auf. Doch selbst die bayerischen Hamsterkäufe hielten nur bis Anfang 2007 vor.

Wenn ein schlichter Konsumartikel zur selbstverständlichen Ausstattung eines Menschen gehört und sich dann plötzlich unerlaubt und unwiederbringlich von der Truppe entfernt, führt das zu Irritationen: Was sagt die Unpopularität dieses Produkts über seinen Benutzer? War ich wirklich so geschmacksneutral einem banalen Trend mit der Halbwertszeit eines Klingeltons aufgesessen? Gibt es da draußen wirklich so wenig Menschen, die meinen Geschmack teilen, und ist das nun eine gute oder eine schlechte Nachricht? Mich beschlich dieses Gefühl, das Menschen überkommt, deren Lieblingsschriftsteller als Plagiator überführt wird: eine leichte Scham, etwas Befremden, schließlich ein leiser Zweifel an der eigenen Urteilsfähigkeit. Der Hinweis eines Freundes übrigens, ich möge mir mein "Jako" doch zukünftig einfach im Internet aus den USA bestellen, wo es durchaus noch zu haben sei, kam für mich dann zu spät. Nach meiner kurzen Periode als Teilnehmer an der gehobenen Lebensart - und den damit verbundenen Problemen - weiß ich inzwischen sicherer als je zuvor: Im Grunde bin ich der Nivea-Typ.

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