Dessous-Label Superheldin in Spitzenhöschen

Von Ulrike Blieffert
Das britische Dessous-Label Agent Provocateur sorgt nicht nur für Aufregung im Schlafzimmer, sondern provoziert mit seinen Botschaften auch erotikscheue Politiker. Das Erfolgsgeheimnis der Lingerie-Marke: Der Weg zum Unterleib führt immer übers Köpfchen.

Man kann es mit "großer Erregung" umschreiben, was die Eröffnung des ersten "Agent Provocateur"-Shops in London auslöste. Das Schaufenster des Dessous-Ladens in Soho gewährte einen lustvollen Blick in sonst geheime Fantasien. Mancher Engländer fühlte sich im Zentrum seines Anstandsempfindens getroffen. Plötzlich konnten die Kinder auf der Straße sehen, was sonst nur hinter den verhängten Scheiben von Sex-Shops angeboten wird: Reizwäsche. Was besonders reizte, war die schamlose Selbstverständlichkeit mit der sich die Firma präsentierte. Die sündige Ware - vorgeführt von sich willig räkelnden Puppen oder auch mal einer Stripperin aus Fleisch und Blut - war nicht nur geil, sondern erfüllte auch höchste Ansprüche an Material und Design. Qualitätsprodukte also, denen vielleicht das Gütesiegel "By appointment to Her Majesty the Queen" zuteil geworden wäre, wenn nicht...

Wenn nicht Sex immer noch so ein Tabuthema wäre. Wer etwas anderes als Kochwäsche trägt, macht sich verdächtig. Agent Provocateur leistet hier seit nunmehr 14 Jahren Entwicklungshilfe, indem es beweist, dass eine Frau mit Unterleib auch Köpfchen haben kann - und umgekehrt. Denn dusselige Sexobjekte sind die Werbegesichter der Firma allesamt nicht. Keine Geringere als Kylie Minogue ritt 2001 einen Elektrobullen, um zu zeigen, dass Agent Provocateur die erotischste Wäsche überhaupt verkauft. Der Beweis folgte auf dem Fuße: Im britischen Fernsehen durfte der Spot nicht ausgestrahlt werden - dafür verbreitete er sich virusartig im Internet.

Aschenputtel trägt schwarzen Tüll

So wie Kylie Minogue warb auch Kate Moss für Agent Provocateur. Mit ihnen verkaufte die Firma erfolgreich das Image von der Superheldin in Spitzenhöschen: Frauen, die überall nur das Beste wollen, auch unten drunter. Was die Inszenierung von Weiblichkeit angeht, hat Label-Gründer Joseph Corré einiges von seiner Mutter gelernt. Auch wenn Designerin Vivienne Westwood bekanntermaßen nur selten Unterwäsche trägt, haben die Dessous viel von der dramatischen Kraft ihrer Kleider. Schon die verheißungsvollen Namen der Modelle machen Lust auf Rollenspiele. Was zum Beispiel trägt "Cendrillon", also Aschenputtel, unter dem staubigen Kittel? Die Antwort ist pechschwarz und aus Tüll - dazu Pasties, das sind neckische Aufkleber für die Brustwarzen. Wie gemacht für eine Hollywood-Diva ist das Modell "Nikita": Auf den ersten Blick beinahe altmodisch, überrascht das leuchtend grüne Satin-Ensemble mit einem verführerischen Dekolleté - im Schritt.

Es geht um mehr als Sex

Agent Provocateur verkauft keine Trends, sondern nostalgische Fantasien von weiblicher Macht. Die Firma drückt den Frauen die Peitsche - mit strassbesetztem Knauf - in die Hand und sie dürfen sein, wer immer sie wollen. Der Erfolg ist grandios: Die Dessous werden inzwischen in 65 Ländern verkauft, im Londoner Laden drücken sich Stars wie Nicole Kidman, Christina Aguilera und Carmen Electra die Klinke in die Hand.

Das größte Geschäft aber beschert dem Unternehmen die Frau von nebenan. Die 1999 lancierte Internetseite des Labels wird monatlich 43 Millionen Mal angeklickt. Jede Frau kann sexy sein, selbst Schwangere werden nicht ausgeschlossen - die Botschaft ist angekommen und deshalb muss Agent Provocateur auch nicht mehr ganz so doll auf die Pauke hauen. Die Firma zeigt auch hier Köpfchen: Statt Sexbombe Kylie wirbt jetzt beispielsweise Schauspielerin Maggie Gyllenhaal für das Label. Die ist nicht ganz so aufreizend, dafür intelligent. Man merkt: Es geht um mehr als Sex.

Provokante Grüße nach Washington

Dass Erotik und Engagement jetzt ein Paar sind, ist eine Errungenschaft des Labels. Ein "Agent Provocateur" ist per Definition ein V-Mann, jemand, der eine Tat provoziert, um den Verdächtigen dann in flagranti zu erwischen. Diese Rolle nimmt die Firma nicht nur im Bett sehr ernst, sondern sieht sich auch als Provokateur in der Politik. Sowie Joseph Corré im Schlafzimmer das Licht angemacht und die Bettdecke zurückgeschlagen hat, macht er auch vor Guantanamo und George W. nicht halt: Wer foltert wird selbst zur Strafe von Stripperin Dita Von Teese mit einer Zange in die Brustwarzen gezwickt. Natürlich nur im Video und natürlich ist der US-Präsident darin nur ein Doppelgänger. Gesehen haben das jetzt trotzdem alle. Es rächt sich immer, wenn man den Sex unterschätzt, Mister President.

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