Der erste Eindruck: Man spricht wieder Deutsch, auch an den unzähligen italienischen Ständen der diesjährigen Möbelmesse in Mailand. Das war nicht immer so in den vergangenen Jahren, als die Möbelmacher unverhohlen auf den boomenden russischen und asiatischen Markt setzten. Der Aufschwung dort ist aber jäh zu Ende gegangen, und so besinnt man sich wieder auf die alten Geschäftspartner, die braven Deutschen, die wenigstens pünktlich ihre Rechnungen bezahlen.
Auch für die deutschen Hersteller ist wieder Platz frei geworden. Der Grund: der Platzhirsch, die Poltrona Frau-Gruppe, hat dieses Jahr auf die Messeteilnahme verzichtet. Zu dieser Gruppe zählen u.a. die Unternehmen Cassina, Cappellini und eben Poltrona Frau. Ein Luxus-Konglomerat, dem langsam das Geld ausgeht. Die Standgebühren von angeblich drei Millionen Euro hat man sich da lieber gespart. So haben sich große Lücken in den Ausstellungshallen aufgetan, die deutsche Firmen wie Thonet gerne besetzen - auch wenn die erst sechs Wochen vor Messebeginn von ihrem Glück erfahren haben. Die Laune bei vielen ist also schon mal bestens.
An Neuheiten wird gespart
Der zweite Eindruck: Alle halten sich zurück mit Neuheiten und setzen lieber auf Krisenmöbel. Viele Dinge aus dem vergangenen Jahr werden einfach neu ausgestellt - so etwas war man eigentlich nur von der Kölner Möbelmesse gewohnt. Oder die Firmenmanager sind mal in die Archive gestiegen und haben festgestellt, dass dort eine hübsche Anzahl von Entwürfen schlummert, die man eigentlich noch mal neu auflegen könnte. So etwa bei dem deutschen Hersteller Walter Knoll. Oder auch bei Cassina, die in ihrem Laden in der Innenstadt einen Sessel vorstellen, der in den späten 50er Jahren mal als modern galt, sein Name: Tre Pezzi, runde Polsterstücke auf Drahtgestell. Heute wirkt er wie ein aufgebügelter alter Onkel.
Bei Vitra, seit Jahren einem verlässlichen Lieferanten von guten Ideen und gewagten Entwürfen, hört man: "Die Neuigkeit ist, dass wir die Sachen, die wir hier zeigen, auch liefern können." Viele Stücke, vor allem die Sofas, die Krisenmöbel schlechthin, sind in Weiß gehalten, als "Gegengewicht zu den dunklen Wolken unserer Zeit", wie es bei Vitra mit leiser Ironie heißt.
Ja, man beschränkt sich: Auch die Vielzahl an neuen Stühlen, vor allem solchen aus Kunststoff, ist ein Signal, dass man sich aufs Wesentliche konzentriert, und was ist bei Möbeln schon wesentlicher als ein Stuhl? Doch nicht immer gelingt der Stuhl: Die einzige Vitra-Neuheit, das Modell "Vegetal" von den französischen Designer-Brüdern Ronan und Erwan Bouroullec, soll sich zwar ranken wie ein Pflanze, sieht aber eher aus wie eine Riesenkröte. "Trotzdem werden alle wieder schreiben, was für ein großer Wurf da gelungen ist", lästert ein deutscher Designer. Wir schreiben das nicht.
Viel gutes Holz bei deutschen Herstellern
Der deutsche Hersteller Nils Holger Moormann vom Chiemsee hat den frei gewordenen Messeplatz literweise nicht genutzt. Bei ihm drängen sich die Neuigkeiten auf kleinster Fläche: So herrscht immer Andrang. Neu ist bei Moormann, nach einer Dürrezeit, in diesem Jahr nahezu alles: etwa ein Holz-Garderobenständer, in dessen seitliche Schlitze Kleiderbügel gesteckt sind. Ein Hut-, Jacke- und Schuhständer, in dessen Betonfuß die Abdrücke von grob sohligen Stiefeln getreten sind. Sein eigener Entwurf, ein Ensemble von Gartenbank und Gartentisch namens "Kampenwand", deren Stücke jeweils durch ein gespanntes Kletterseil gehalten werden, nennt er "einen von vielen Blitzen", die regelmäßig bei ihm im Kopf einschlagen. "Wie gut, dass ich mittlerweile Mitarbeiter habe, die meine Blitze aufnehmen und umsetzen." Viel gutes Holz also bei Moormann.
Zurück zum Holz heißt es auch bei der hessischen Firma E15, die vor einigen Jahren die Eiche zurück ins moderne deutsche Heim gebracht haben, etwa mit dem Hocker "Backenzahn" und dem Esstisch "Bigfoot". In den vergangenen Jahren experimentierte E15 eher mit orientalisch inspirierten Möbeln und Stoffen. Der Münchner Entwerfer Stefan Diez hat nun einen ebenso massiven wie filigranen Holzstuhl aus dünnen Platten für die gebaut. Diez gibt sich zurückhaltend: "Ist halt ein Stuhl. Handwerklich interessant und sauber gemacht." Man sollte nicht so viel Aufhebens darum machen.
Eine gute Haltung, mit der man in Mailand, wo ständig um irgendwas Aufhebens gemacht wird, nicht weit kommt. Hat Diez aber auch nicht nötig, er gilt längst als einer der wichtigsten zeitgenössischen deutschen Designer, auch wenn sein Barhocker für Thonet zu sehr an den Barhocker erinnert, den sein Lehrmeister Konstantin Grcic vor einigen Jahren für die südtiroler Firma Plank entwarf.
Italiener in der Kreativstarre
Die großen Italiener scheinen in eine Art Kreativstarre gefallen zu sein, so wie ein Laubfrosch, wenn der Winter kommt. Bei Bonaldo, Zanotta, Minotti, Molteni, Cassina und etlichen anderen reiht sich Sofa an Sofa. In Braun, Grau und Schwarz. Wer das Haus aus Angst vor der nächsten Horrorbotschaft nicht mehr verlassen will, sollte es sich zumindest beim Einigeln bequem machen. Sogar Moroso, sonst ständiger Lieferant von Glanztaten, scheint der Mut verlassen zu haben, auch hier: Sofalandschaften, immerhin mit drolligen Stickereien im Bezug. Für die feminine Seite in uns.
Eines der wenigen Sofas, die anders sind, findet sich bei Ligne Roset. Der junge französische Designer Philippe Nigro hat es entworfen: "Confluences" ist zusammengefügt aus Einzelteilen, die sich in Höhe, Breite, Tiefe und Farbe unterscheiden. So kommt Bewegung in das Sitzmöbel. "Ein künstlerisches Stück im Wohnbereich", nennt der Designer es, der übrigens einen differenzierten Eindruck hat vom Krisenjahr: "2009 ist kein schlechtes Jahr für Kreativität", sagt er, "denn Kreativität hilft dabei, auf bessere Zeiten zu warten."
Den absolute Tiefpunkt eines sehr mittelmäßigen Möbeljahrgangs hat die Firma Diesel abgeliefert. Das Jeanslabel macht nun auch Möbel. In Zusammenarbeit mit dem Leuchtenhersteller Foscarini sind Lampen entstanden, die "ironisch" sein sollen, wie der Jeansmogul Renzo Rosso verkündet. Heraus gekommen sind Lampen mit Stoffschirmen und Lampen mit Nietenständern und Lampen hinter Vogelkäfig-Gitter. Ein Witz, über den nur der Patriarch, der ihn an der Familientafel erzählt, lauthals lachen kann. Der Rest schweigt betreten.