Manchmal, wenn die Pandemie es wieder zulässt, möchte der Mensch halt was Neues und lässt an sich arbeiten. Etwa durch einen Frisör. Wenn die eigene Community das Ergebnis dann sieht, gibt es meist Lob oder auch mal Tadel ("Was macht dein Friseur eigentlich beruflich?"). Ob Glatze, Dauerwelle, Undercut oder pretty in pink - die Verwandlung wird zum Thema. Meist nur kurz – und das Ganze verwächst sich dann ja auch wieder.
Schwieriger wird es, wenn man auf einmal ein neues Gesicht hat. Vor allem, wenn die erste Begegnung zum Schreckmoment wird. Das kommt zurzeit häufiger vor. Denn im Lockdown, so hört man aus Fachkreisen, boomen Schönheitsoperationen. Straffen, zurren, begradigen, vergrößern, verkleinern. Augen, Nasen. Brüste, Wangen und Hälse werden runderneuert, gebotoxt, festgetackert und scheinbar verjüngt. Die Pandemie ist der ideale Deckmantel, unter dem man "was machen lassen kann". Weil keine/r mehr unter Leute geht, kann man sich prima zuhause erholen und das neue Gesicht in der guten Stube abheilen lassen. Und wenn man doch mal raus muss, schützt einen die Maske vor allzu neugierigen Blicken.
Was ist denn mit diesem Gesicht passiert?
Aber irgendwann ist dann doch der Tag der Wahrheit. Es kommt zu unheimlichen Begegnungen der dritten Art. Besonders schwer haben es Prominente. Das Thema ist ein bisschen heikel. Niemand soll hier an den Pranger gestellt oder diffamiert werden. Bodyshaming will ja keiner. Aber wenn auf einmal Moderator*innen, Schauspieler*innen oder andere Personen des öffentlichen Lebens so ganz anders aussehen als bisher, erschrickt mancher eben doch und fragt sich: Was hat der oder die bloß mit ihrem Gesicht gemacht?
Was stört uns am Unterhalter mit Eingriff? Das Ungewohnte? Das Andersartige? Sind wir neidisch, dass wir selbst die Kohle für das ästhetische Auswuchten nicht haben? Mitnichten. Es ist die Kränkung, dass uns etwas genommen wird. Das Vertraute. Das Familiengefühl. Wir wollen mit den Stars aus Funk und Fernsehen, unseren öffentlichen Lieben, gemeinsam alt werden. Wie in einer guten Ehe. Da legt sich ja auch keiner mal eben unters Messer und sagt dem Partner beim Abendbrot: "Guck mal. Hab ein neues Gesicht!"
Das geliftete Gesicht verstört, statt zu begeistern
Der Traum, das Altern zu besiegen, ist so alt wie die Menschheit. Realisiert wird er sonst nur in Mythen und Märchen, in denen es von Jungbrunnen, Teufelspakten und geheimen Ritualen nur so wimmelt. Auch Oscar Wilde hat dieses Thema in seinem einzigen Roman "Das Bildnis des Dorian Gray" verarbeitet. Gray besitzt ein magisches Porträt, das statt seiner altert und in das sich die Spuren seiner Sünden einbrennen. Durch einen teuflischen Pakt altert also nicht mehr der Mensch, sondern ein Bild. Das Altern wird ausgelagert.
Heute versuchen zahlungskräftige Menschen mit Hilfe moderner operativer und medikamentöser Techniken, diesen Effekt zu erreichen. Mit einem meist paradoxen Ergebnis: Erst das geliftete, gebotoxte oder operierte Gesicht verstört und irritiert den Betrachter - und macht das Thema Altern virulent. Die Botschaft der prominenten Dorian-Gray-Epigonen ist: Ich will den Verfall nicht – ich halte ihn auf.

Aber das dann Maskenhafte ihres zweiten Gesichtes weist wie ein übergroßer Claim auf eben diesen Verfall hin, der verborgen werden soll. Das krampfhafte Vermeiden erzeugt das Befremden. Ein Hauch künstlicher Mensch weht uns entgegen. Das Unnatürliche wird zum Unheimlichen, der vertraute Promi zur Mutante. Zum fremden Wesen, das unbekannte Mächte verändert haben.
Wir Normalos sind wie Bio-Obst – unbehandelt, naturbelassen, manchmal auch schon ein wenig vertrocknet. Man hält sich durch Sport und gesunde Ernährung frisch – der Rest ist Schicksal und der Lauf der Dinge. Wer den aufhalten will und das offen zeigt, verlässt die Bio-Gemeinschaft und zeigt sich als Wesen mit Zusatzstoffen. Gespritzte Ware halt. Aber ein Gutes hat der operative Jugendwahn in der deutschen Fernseh- und Unterhaltungsbranche ja trotzdem: Man gibt endlich neuen Gesichtern eine Chance.