Seit Jahren wohnt eine Idee in mir und zahlt keine Miete. Die Idee, dass ich immer mitten im Paradies wohnen muss. Wo ich nur die Treppe runter laufe und dann in meiner Lieblingsbar sitze, zwischen Lieblingscafé und Lieblingspark. Überall bunte Balkonpflanzen und Springbrunnen mit Butterbier, niemand hat Verstopfung und so was wie Trump gibt es dort nicht.
Zehn Jahre habe ich das gedacht und die Hälfte dieser zehn Jahre damit verbracht, das Geld dafür aufzutreiben. Ich weiß, das klingt wahnsinnig 2018 und First World Problem und postmodern. Aber so viel zu arbeiten, nur um dort zu wohnen, wo es schön ist – dafür fliegen wir doch wirklich nicht im Universum herum. Dann kam dieses Video:Ganz banal eigentlich, aber mich hat es tief getroffen. Also, ja, warum nicht? Warum eigentlich nicht dort leben, wo es scheinbar weniger sexy ist, aber man dort ein besseres Leben hat. Wenn man es genau nimmt, brauche ich keine vier Eisdielen um die Ecke. Ich brauche keine schönen Altbauwände und zugige Fenster. Ich brauche keine Parkplatzsuche und keine Miniwohnung für 600 Flocken. Ich brauche nicht alle Restaurants der Welt in meiner Straße und auch keine drölfzehn Dönerstände.
Was ich brauche, ist nicht viel
Ich brauche keine Kreissägen und keine Baustellen, die mir ins Gesicht schreien ES GAB MAL EINE ZEIT OHNE DASSSS HIER STELL DIR VOR WIE GEIL DAS WAAAAAR. Ich brauche keine Post vom Bürgeramt, die mir mitteilt, dass jetzt in meinem Haus acht Wohnungen grundsaniert werden. Ich brauche keine Airbnb-Rollkoffer auf der Straße. Keine letzte S-Bahn, vor allem nicht in Berlin. Ich brauche keinen Kiez, in dem sogar die Vögel denken, 3 Uhr früh sei Balzzeit. Wirklich nicht. Warum machen wir das? Ich glaube, es ist ein bisschen wie mit dem Kaugummikauen. Da weiß auch niemand, warum wir das machen – und irgendwie denken alle, es wäre cool.Ist der Stadtrand nicht die bessere Kombination aus Natur, Stadt und gutem Leben? Was ich brauche, ist nicht viel. Ich brauche eine bezahlbare Wohnung mit genug Platz zum Denken und ohne WG-Putzplan. Ich brauche eine Bar, die "Endstation" oder so heißt und noch eine Dartscheibe hat und eine Jukebox – eine Bar, in der niemand Pale Ale kennt. Wenn doch mal einer fragt, zeigen alle auf den Typ am Tresen, der seit drei Tagen seinen Hocker nicht verlassen hat.
Ich brauche ein Maisfeld, in das ich im Sommer mit meinem Rad fahren kann, um dort Indie-Gitarrenvideos aufzunehmen. Oder ein ruhiges Flussufer mit einer Weide. Und ich brauche meine Freunde. Stellt euch vor, wie schön und einfach alles wäre, zusammen dort draußen am Stadtrand. Alle in der gleichen Straße! Es gibt kein "das ist mir zu weit, lass uns in zwei Wochen nochmal auf nen Kaffee verabreden". Nein, einer kommt immer vorbei. Einer hat immer einen Garten, wo wir in der Sonne sitzen. Einer hat immer ein Loft für große Dinner. Einer hat immer ein Cabrio, in dem wir an den See fahren und einer ein Dach, auf dem man Pizza essen kann. Mehr brauchen wir doch nicht.
Es ist hier doch nur so cool, weil weil wir hier leben
Gute Leute machen doch gute Orte, nicht andersrum. Es ist hier doch nur so cool, weil weil wir hier leben, oder? Kommt, wir überlassen den Kleinen die Innenstadt mit den hotten Brillengeschäften und den mediterranen Feinkostläden. Die wollen noch was erleben. Ich will nichts erleben. Ich will Maisfeld. Und ein pinkes Babybecken auf dem Dach mit Palme und einer gelben Gummibanane. Am Ende ist es doch wirklich scheißegal, wo wir sind. Berlin, Kopenhagen, Ouagadougou. Neukölln, St.Pauli oder Giesing. Hauptsache, wir sind dort zusammen. Eine Bar findet sich schon, auch in der schlimmsten Hölle, und wenn nicht, machen wir einfach eine auf.
