Liebe Frust Neues

Liebe: Frust Neues

Ich rege mich oft auf. Das war schon immer so, wird mit dem Alter aber noch schlimmer. In dreißig bis vierzig Jahren werde ich eine von diesen Frauen sein, die den ganzen Tag mit einem Kissen unter den Ellenbogen am geöffneten Fenster steht, um Passanten zu beschimpfen.

Bis es so weit ist, nutze ich lieber das Fenster der jüngeren Generation zum Schimpfen: das Blog. In dieser Woche habe ich mich über noch mehr Dinge aufgeregt als sonst, was vielleicht daran liegen könnte, dass ich den Jetlag von meiner letzten NEON-Recherchereise (Teaser: Kuba!) nicht richtig los werde und es nicht schaffe, abends zu einer Uhrzeit einzuschlafen, die es mir ermöglichen würde, morgens zu Arbeitsbeginn ausgeruht im Büro zu erscheinen.

Damit dieser Text nicht noch weiter zerfasert, komme ich nun zu meinem Haupt-Hasspunkt dieser Woche: Silvesterfestplanungen. Jedes Jahr wieder scheiße. An Silvester merkt man, wer die wahren Freunde sind. Zumindest merke ich das gerade.

Mein Freund und ich versuchen nämlich gerade, eine Silvesterparty zu planen. Wir finden es eigentlich voll nett und altruistisch von uns, dass wir dieses Jahr mal unsere Wohnung zur Verfügung stellen für diesen Abend, an dem alle etwas unternehmen müssen, von dem aber alle immer total gestresst sind. Kein normaler Mensch hat an Silvester Lust, in einen Club mit überhöhten Sondereintrittspreisen und einem seltsamen Publikum, das aussieht, als sei es aus Freakhausen angereist, zu gehen; kein normaler Mensch findet es außerdem reizvoll, bei draußen Eiseskälte zwischen dichtgedrängten Massen mit Billigsekt-Fahne, Partyhütchen und Sprengkörpern vor einem städtischen Wahrzeichen herumzustehen. Zuhause zu bleiben und zu tun, als wäre nix, funktioniert auch nicht, dafür ist das Draußen zu laut und zu penetrant.

Irgendetwas muss man also machen am letzten Abend des Jahres. Im Idealfall umgibt man sich mit Menschen, die man mag, an einem okayen Ort, an dem man nicht von Sprengkörpern getroffen wird, und amüsiert sich. Das war das Angebot, das mein Freund und ich in diesem Jahr machen wollten.

Natürlich wussten wir, dass es schwierig wird. Bevor wir uns mit unserer Partyplanung zu weit aufs dünne Eis wagen, wollten wir erstmal vorrecherchieren, wie die Bedingungen so sind. Wir gründeten eine Facebook-Gruppe, in der wir unsere potentiellen Gäste danach fragten, ob sie Zeit und Lust hätten, mit uns zu feiern. Noch keine Einladung, sondern eine Anfrage.

Das Ergebnis war deprimierend. Wir haben über 60 Leute zu dieser Gruppe eingeladen. Nach einer Woche haben drei Menschen zugesagt, neun abgesagt, fünf kommen vielleicht, der Rest: schweigt. Bevor jetzt jemand auf die Idee kommt, das könnte an uns als Gastgebern liegen: Nein. Normalerweise wollen durchaus Leute zu unseren Partys kommen. Wir sind gesellig und gastfreundlich, unsere Wohnung ist groß und feiertauglich, man darf drinnen rauchen und laut Musik anmachen und die Babys können mitgebracht und im ruhig nach hinten liegenden Schlafzimmer abgelegt werden. Unser Kühlschrank hat Platz genug für viel kaltes Bier, wir bereiten Snacks vor und wohnen in zentraler Lage. Bei unserer letzten Party im März war es voll, laut, spät und schön.

Es liegt an diesem Dreckssilvester. Dieser Tag kehrt die schlechten Seiten der Menschen hervor.

Die Absager lassen sich in zwei Gruppen aufteilen: Menschen mit anderweitigen Plänen und Menschen mit Kindern. Die mit den anderweitigen Pläne teilen mit, dass sie sich leider schon für einen anderen Ort entschieden haben, ach schade, nächstes Jahr vielleicht, feiert schön, bis bald! Die mit den Kindern brechen in hysterisches Lachen aus, wenn sie von unseren Plänen erfahren, mit dem Baby an diesem Tag in der Großstadt bleiben, seid ihr irre, wir flüchten in ein Hotel aufs Land oder bleiben gleich bei den Großeltern im Harz, da wird das Kind nur wie sonst alle drei Stunden und nicht alle dreißig Minuten wach. Eine Freundin mit zwei Kindern schreibt: »Vielleicht in ein paar Jahren wieder. Vergesst uns nicht!« Na gut. Auch wenn man das vielleicht (noch) nicht versteht, muss man da Verständnis haben.

Was aber jetzt echt mal wirklich unfassbar krass nervt: die Schweigenden. Denn die Schweigenden schweigen nicht, weil sie keine Lust oder keine Zeit oder keine Nerven haben, zu unserer potentiellen Party zu kommen – sie schweigen, weil sie sich nicht festlegen wollen. Oh, F. und Judith machen eine Silvesterparty, das ist keine so schlechte Option, dass man sie gleich ausschließen möchte, aber wir warten trotzdem nochmal ab, ob nicht noch was viel Geileres um die Ecke kommt. Diese zaudernden Silvesterparty-Gäste sind wie Leute, die fünf Affären parallel laufen lassen, weil man ja nie weiß, welche sich gut entwickeln könnte. Sie sind wie Leute, die sich nach langem Überlegen im italienischen Restaurant für Pasta entscheiden und dann ihrer Begleitung trotzdem die halbe Pizza wegfuttern, weil Pizza natürlich auch geil ist. Sie sind wie Leute, die Zimmer in drei verschiedenen WGs zusagen und sich dann erst eine Woche vor Einzug verbindlich für eines entscheiden. Solche Leute sind doch nicht nett.

Natürlich sind die Vergleiche etwas übertrieben, keiner meiner Freunde würde sich so verhalten, weil sonst wären sie ja nicht meine Freunde. Aber an Silvester scheint diese Zauderei, diese Hinhalterei, dieses »alle Optionen offen halten« gesellschaftlich legitimiert zu sein. Jedes Jahr wieder geht dieser Eiertanz los, bis am Ende, so am 29.12., schließlich doch alle panisch werden, wie beim Spiel »Reise nach Jerusalem«, wenn die Musik ausgeht und plötzlich alle verzweifelt versuchen, noch einen freien Stuhl zu finden.

An Silvester sind plötzlich alle das Klischee der »Generation Maybe«, Multioptionsgesellschaft und so. Eins, zwei oder drei – bald ist die letzte Chance vorbei. Und ob ihr dann wirklich richtig steht, wisst ihr erst, wenn am Morgen danach das Licht angeht.