Als ich meinen heutigen Partner im ersten Uni-Semester kennenlernte, war ich gerade auf einem Weltverbesserungstrip. Ich hatte nach dem Abi ein "Freiwilliges Ökologisches Jahr" eingelegt und verschiedene abgelegene Winkel der Welt mit dem Rucksack und staunenden Augen bereist. Mitgenommen hatte ich nicht nur verschiedene Tattoos, sondern ein neues, freigeistiges Wertebild. Neben Achtsamkeits-Workshops und Podiumsdisskussionen, die damals schon zum Boykott von Autos in der Innenstadt aufriefen, hatte ich auch eine politische Faszination für das Thema Ernährung entdeckt.
Ich beschloss, Vegetarierin zu werden
Auf meiner letzten Station im thailändischen Ko Pha-ngan beschloss ich endgültig, Vegetarierin zu werden. Mit dem ganzen Elan eines Menschen, der sich soeben ein neues Ziel gesetzt hat, startete ich vier Wochen nach meinem Entschluss ins Studium. Es wartete nicht nur das Curriculum der Sozialwissenschaften, sondern auch die Liebe auf mich. Bei der Ersti-Party im Oktober knutschten mein jetziger Freund und ich zum ersten Mal in der Ecke. An Silvester war schon glasklar, dass wir beide uns den Neujahrskuss geben werden.
Zu den vielen Dingen, die dazu führten, dass wir uns verknallten, gehörte auch eine geteilte Freude an Diskussionen über die richtige Art, dieses Leben so nachhaltig und freudvoll wie möglich zu verbringen. In den ersten zwei Jahren studierten wir nicht nur das gleiche. Wir wählten auch die gleiche Partei, gingen zu den gleichen Demos, schlugen uns auf Studentenpartys auf die gleiche Seite - und aßen das gleiche. Als wir uns trafen, waren wir zwei feurige Vertreter des Vegetarismus. Er war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon seit drei Jahren Vegetarier, ich erst seit vier Wochen. Ich hielt noch in etwa vier weitere Wochen konsequent durch und fiel danach in eine schuldbewusste Unregelmäßigkeit betrunkenen Fleischkonsums. Als wir unser Einjähriges feierten, war ich eigentlich nur noch Vegetariern, wenn er dabei war.
Mit ihm gibt es Tofu, mit meinen Kollegen Steak
Nun könnte man meinen, es gäbe schlimmere Geständnisse. Und ja, in den ersten zwei Jahren hätte es bestimmt die ein oder andere Beichtgelegenheit gegeben. Aber zum einen war ich jung und sehr verliebt, eine Kombi, in der man vor dem anderen unbedingt als cool und als "Perfect Match" gelesen werden möchte. Zum anderen finde ich bis heute, dass vegetarisch zu leben die moralische hochwertigere Option ist.
Während unser restlicher Aktivismus im Laufe der Jahre abnahm, wurde seine Haltung zu Ernährungsfragen immer definierter. Er lebt mittlerweile vegan. Ein Schritt, zu dem er mich zwar nie aufgefordert hat. Aber ein bisschen Missionsgeist schwingt hier und da doch mit. Der Grund, warum nie aufgeflogen ist, dass ich ohne ihn ziemlich fleischeslustig bin, ist eine glückliche Zusammenkunft von Zufällen: Zum einen lebe ich in einer WG mit einer Fleischesserin, die eingeweiht ist. Mein Kühlschrank kann mich also schonmal nicht verraten. Ansonsten haben wir mittlerweile sehr unterschiedliche Berufe und unterschiedliche Freundeskreise. Wenn wir mit seinen Leuten unterwegs sind gibt es Tofu, wenn ich mit meinen Kollegen essen gehe gibt es Steak. Wenn meine Blase mit seiner kollidiert, warne ich meine Freunde vor. Auch wenn hier und da mal ein kleiner Unfall passiert, bisher hat sich noch jeder von ihnen im richtigen Moment korrigiert.
Das einzige Problem: Wir wollen eventuell im nächsten Jahr zusammenziehen. Entweder ich muss es ihm jetzt doch mal gestehen – oder einen neuen vegetarischen Versuch starten, bei dem es mir dann wirklich ernst sein muss.

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