Wir sind oversexed, aber underfucked – das ist nun wirklich nichts Neues. Seit Jahren behaupten immer neue Studien, dass Millennials so wenig Sex haben wie seit Jahrzehnten keine Generation vor ihnen. So weit, so gähn.
Aber der aktuelle "Freizeit-Monitor 2019", der zurzeit diskutiert wird, macht schon ein bisschen betroffen, berichtet er doch von sexueller Unlust quer durch die deutschen Betten: Nur 52 Prozent der Bundesbürger haben wenigstens einmal pro Monat Sex, fünf Jahre zuvor waren es noch 56 Prozent.
"Ein sehr medienzugewandtes Medienvolk"
Der Hauptgrund dafür ist akuter Freizeitstress, sagte Studienleiter Ulrich Reinhardt bei der Präsentation der Ergebnisse: "Die Deutschen sind ein sehr medienzugewandtes Volk, das seine Freizeit allerdings oftmals falsch nutzt und nicht das macht, was ihm gut täte oder was es gern will."
Die Beschäftigung mit dem Smartphone sei längst die wichtigste Aktivität, chatten, spielen und surfen inzwischen doppelt so beliebt wie noch vor fünf Jahren. Lieber als mit dem Partner (66 %) verbringen wir unsere Zeit laut "Freizeit-Monitor" mit: fernsehen (94 %), Radio hören (88 %), Musik hören (83 %), telefonieren vom Festnetz (81 %), surfen im Internet (81 %), telefonieren vom Smartphone (73 %).
Das Medienecho darauf fällt unterschiedlich aus: "Danke, Internet", schreibt die "Ärzte-Zeitung" sarkastisch, als läge es nicht an uns, daran etwas zu ändern. "Die Deutschen verlernen das Genießen", meint der NDR. Und "Bento" findet es "gut so", dass wir immer seltener Sex haben – es komme schließlich auf die Qualität an.
Streamingdienste und Social Media statt Sex
Mag sein. Fakt ist aber: "Sexuelle Lustlosigkeit ist ein Standardthema in meiner Praxis“, sagt die Münchner Sexual- und Paartherapeutin Heike Melzer in der "Ärzte-Zeitung", und das ist traurig. "Der Aufwand, mit einem Partner Sex zu haben, ist mittlerweile schon zu anstrengend", so Melzer weiter. Es gehe aus der Retorte der Pornografie oder mit leistungsstarken Sex-Toys um vieles einfacher.
Anders gesagt: Es ist ein Armutszeugnis, was wir alles lieber machen als miteinander zu schlafen.
Wenn wir wirklich Streamingdienste und Social Media vorziehen, weil sie "weniger anstrengend" sind, dann haben wir auch nichts anderes verdient als unsere toten Hosen. Wenn wir nicht mehr zu schätzen wissen, wie entspannend und inspirierend Sex sein kann, müssen wir uns nicht über die grassierende Shitstorm-Wut und den aggressiven Umgang im Netz (und in der echten Welt) wundern.
Und wenn wir nicht endlich lernen, wie unaufgeklärt und lächerlich unsere Suche nach "gutem" bzw. "perfektem" Sex ist, dann werden wir an diesem Zustand auch nichts ändern, selbst wenn wir wollten. "Schlechter oder kleiner Sex ist immer noch besser als gar kein Sex", sagt Paartherapeutin Andrea Bräu in der "B. Z." – was auch immer genau "kleiner Sex" sein soll.
Von ambitionierten Zielen und Druck
Sexualität, erst recht in der Partnerschaft, braucht Zeit zur Entwicklung. Aber nur Übung macht den Meister, und wer sich nicht einmal die Zeit nimmt, hat irgendwann logischerweise gar keine Lust mehr.
Man muss sich ja nicht gleich ein so ambitioniertes Ziel setzen wie die Bloggerin Brittany Gibbons, die vor einigen Jahren über zwölf Monate mindestens einmal am Tag mit ihrem Mann Sex haben wollte – und schon bald merkte, wie gut der tägliche Sex ihrer Beziehung auch außerhalb des Schlafzimmers tat. Anderen Paaren könnte eine solche Abmachung aber auch lusthemmenden Druck machen.
Und überhaupt ist das sexuelle Verlangen natürlich ein sehr individuelles. Manche verzichten gerne völlig, andere brauchen es dreimal täglich. Wem es reicht, nur einmal im Monat mit seinem Partner zu schlafen, der soll ruhig weiter mit seinem Smartphone spielen. Schade wäre nur, wenn er einfach nicht wüsste, was er verpasst.