Vor ein paar Wochen saß ich mit vier Freundinnen an einem Bahnsteig und wartete auf den Zug. Nach einem ganzen Tag in der prallen Sonne hockten wir erschöpft auf dem Boden und scrollten gedankenverloren in unseren Handys rum, als plötzlich eine meiner Freundinnen ihre Augen aufreißt, schockiert erst auf ihr Handy und dann in die Runde schaut, ein lautes "IIIIIEEH" ruft und uns energisch ihren Bildschirm vor die Nase hält. Was ist daraufhin sehen? Nacktbilder. Penisbilder – um genau zu sein. Sehr unvorteilhafte Bilder von einem erigierten Penis, die ein Fremder per AirDrop auf das Handy meiner Freundin schicken möchte. Wir sind in dem Moment so perplex, dass wir gar nicht so genau wissen, wie wir reagieren sollen. Wir schauen uns ein bisschen zaghaft um – derjenige, der die Fotos verschickt, muss schließlich in unmittelbarer Nähe sein, beobachtet uns wahrscheinlich und amüsiert sich über unsere teils angeekelten, teils erschrockenen Gesichtsausdrücke.
Soweit so widerlich. Was ich da noch nicht wusste: Das Phänomen nennt sich "Cyber Flashing" und kommt gar nicht mal so selten vor.
Mit AirDrop braucht man keine Handynummer, um Dick Pics zu teilen
Seit 2011 gibt es auf iOS-Geräten die Funktion AirDrop. Der Dienst ermöglicht dem Nutzer, Fotos, Videos, Dokumente oder Dateien mit anderen Apple-Geräten zu teilen und zu empfangen. Fotos werden in besserer Qualität verschickt als beispielsweise über WhatsApp, und man kann an jedes Gerät, das AirDrop aktiviert hat und sich in einem Umkreis von etwa neun Metern befindet, Bilder verschicken. Alles ziemlich praktisch, wie ich finde. Ich nutze AirDrop regelmäßig und habe bis zu dem Tag am Bahnsteig nicht geahnt, dass die Funktion auch missbraucht wird, um unaufgefordert Penisbilder von sich selbst an fremde Menschen zu verschicken – vielleicht ein bisschen naiv von mir. Als ich danach gegoogelt habe, was uns da eigentlich passiert ist, musste ich feststellen, dass das Phänomen so weit verbreitet ist, dass es sogar einen Namen hat: Cyber Flashing nämlich. Denn auch, wenn man bestätigen muss, um die Fotos zu empfangen, wird einem vorher eine Vorschau der Inhalte angezeigt. Auf dem Bildschirm blitzt also beispielsweise das Nacktbild auf, das man eigentlich gar nicht sehen möchte – Exhibitionismus in digitaler Variante.
Wie kann man sich vor Cyber Flashing schützen?
Was viele nicht wissen: AirDrop ist meistens automatisch am iPhone aktiviert und für jedes andere Apple-Gerät in der Nähe sichtbar. So haben wildfremde Menschen freie Bahn, um unaufgefordert Fotos mit dir zu teilen. Davor kann man sich aber schützen:
Am häufigsten werden unaufgeforderte Dick Pics in Bus und Bahn verschickt
Besonders in Großbritannien wurde schon häufiger über Cyber-Flashing-Fälle berichtet. Konkrete Zahlen darüber, wie häufig Frauen ungebeten Penisfotos bekommen, gibt es allerdings nicht – denn die wenigsten gehen damit zur Polizei. In einem Artikel der "HuffPost UK" erzählen 70 Frauen (von denen 90 Prozent das Ereignis nicht gemeldet haben), wo sie unaufgefordert Dick Pics bekamen: im Hörsaal, im Restaurant, am Flughafen, in der Bibliothek und – das scheint besonders weit verbreitet zu sein – in Zügen, Bussen und U-Bahnen. Die meisten bekamen die Fotos über AirDrop. Was ich im Gegensatz zu Dick Pics über Instagram, Facebook oder Snapchat gruseliger finde: Die Person, die einem die Fotos schickt, ist maximal neun Meter von einem entfernt. Man fühlt sich dadurch beobachtet, der anderen Person ausgesetzt und irgendwie ungeschützt – so ging es zumindest meinen Freundinnen und mir am Bahnsteig, und viele der 70 Frauen hatten ein ähnliches Gefühl: "Das hat mich wirklich verletzt", sagte die 28-jährige Jess, die sich gestört und der Situation ausgesetzt fühlte, als sie mitten am Tag in einem Restaurant Dick Pics von einem Fremden bekam. "Ich fühlte mich ausgeliefert, schließlich konnte ich am helllichten Tag ohne Vorwarnung irgendwas zugeschickt bekommen."
Das nächste Mal gehe ich zur Polizei
Manchmal ist man in bestimmten Situationen überfordert und weiß erst später – wenn man sich nochmal in Ruhe Gedanken gemacht hat –, was man alles hätte tun oder sagen sollen. Als ich mich nach dem Ereignis am Bahnsteig damit befasste, was uns passiert war, wurde mir bewusst, dass wir es zu sehr auf die leichte Schulter genommen hatten. Hätte sich jemand am Bahnsteig entblößt und uns seinen Penis gezeigt, hätten wir schließlich auch anders reagiert als uns ein wenig erschrocken umzuschauen. Nur, weil das Ganze digital geschah, sollte man es nicht ignorieren. Ich hoffe nicht, dass so etwas nochmal passiert, aber wenn doch, dann werde ich es der Polizei melden.