Illustration: Frank Höhne
Im Leben gibt es nur wenige große Entscheidungen, bei denen es kein Zurück mehr gibt. Jobs kann man kündigen, Wohnorte ändern, Ehen auflösen und Tattoos weglasern lassen. In fast jeder Situation wissen wir, wo sich der nächste Notausgang befindet, falls wir uns trotz aller vorausgegangenen Abwägungen am Ende doch geirrt haben sollten.
Außer beim Kinderkriegen. Ist man einmal Mutter oder Vater geworden, bleibt man das auch. Da gibt es kein Revidieren, kein »Ich hab dann doch gemerkt, dass das irgendwie nicht so mein Ding ist, ich lass das jetzt wieder«. Das geht alles nicht, wenn man einen kleinen Menschen fabriziert hat, der ziemlich lange auf Fürsorge angewiesen ist. Kinderkriegen gehört zu den krassesten und größten Entscheidungen, die man im Leben treffen kann.
Trotzdem tun nun viele junge Eltern so, als hätten sie genau diese Entscheidung nie bewusst getroffen. »Geplant war Mia nicht, aber jetzt, wo sie da ist, können wir unser Glück kaum fassen.« Nach so einem Satz lächeln alle Umstehenden anerkennend und freuen sich, wie das Leben manchmal so spielt. »Ach«, sagen sie dann, »den richtigen Zeitpunkt für ein Kind gibt es doch eh nicht. Man muss das einfach auf sich zukommen lassen.«
Ich freue mich für alle Eltern, die gut mit ihrem angeblich unerwarteten Nachwuchs klarkommen. Allerdings glaube ich den meisten von ihnen nicht, dass die Reproduktion wirklich ungeplant stattfand. Wenn wirklich so viele der Paare, von denen man diesen Satz hört, unerwartet schwanger geworden sind, dann sollte man landesweite Aufklärungskampagnen für junge Erwachsene starten und ihnen noch einmal erklären, wie das mit der Verhütung geht. Ihnen scheint alles, was sie als Teenager im Sexualkundeunterricht gelernt haben, entfallen zu sein. Oder – und das ist wohl die plausiblere Erklärung für all diese Zufallsschwangerschaften – die Paare haben absichtlich verlernt, wie man sicher verhütet.
Als ich vor einigen Jahren meiner Frauenärztin mal erzählte, dass ich immer öfter vergesse, die Pille zu nehmen, antwortete diese: »Sie sind in einer festen Beziehung und seit drei Jahren im Job? Da wird’s gerade ein bisschen fad, oder? Da könnte jetzt auch ruhig mal was Neues passieren?« Meine Pillenschludrigkeit sei typisch für meine Lebensphase, meinte die Ärztin: »Unbewusster Kinderwunsch.« Und spricht man ein wenig länger mit den unverhofften, planlosen Eltern, kommt auch oft heraus: Pille vergessen, aber trotzdem auf anderweitige Verhütung verzichtet, Kondom gerissen, aber den Stress mit der Pille danach gespart. Lauter Dinge, die man nicht tut, wenn ein Kind eine ziemliche Katastrophe für die Lebensplanung bedeuten würde.
Es ist natürlich etwas Schönes, wenn zwei Menschen so gefestigt sind, dass sie entspannt sagen können: Wenn es passiert, kriegen wir das hin. Aber diese Art der Verhütungsschlamperei ist auch ganz schön feige. Man gibt die Verantwortung für die bewusste Entscheidung für ein Kind ab, weil man glaubt, der Zufall, das Schicksal oder irgendeine andere anonyme Macht könnten das besser entscheiden als man selbst. Man muss sich vor niemandem für den Zeitpunkt rechtfertigen, auch nicht vor sich selbst, und entschuldigt sich präventiv, falls es Probleme geben sollte: War ja nicht geplant.
Der öffentliche Druck auf eine eigentlich so private Sache wie Familienplanung wird immer größer. Von allen Seiten wird man zurzeit mit dem Thema beschossen. Der Papst sagte kürzlich, kinderlose Paare seien Egoisten. Gleichzeitig erscheinen dauernd neue Bücher wie Malte Weldings »Seid fruchtbar und beschwert euch!«, die die Familienfeindlichkeit der deutschen Gesellschaft anprangern. Und als es um die Frage ging, ob junge Frauen ihre Eizellen einfrieren lassen, um eine Schwangerschaft hinauszögern und Karriere machen zu können, fanden das auch viele empörend. Die Kinderfrage ist zum Politikum geworden. Den Ausweg sucht man nun in der Romantisierung. Wie in der Prä-Pillen-Ära soll ein Kind als Geschenk des Universums ins Leben treten, Halleluja Empfängnis.
Menschen, die den passenden Zeitpunkt genauer planen wollen, wird dann Optimierungs- und Selbstverwirklichungswahn vorgeworfen. Die Zufallsschwangerschaft gilt als großes Geschenk wie die Liebe auf den ersten Blick, das geplante Kind liegt auf dem Romantiklevel einer arrangierten Ehe. Aber das ist Unsinn. Wer sich erwachsen genug für Kinder fühlt, sollte auch in der Lage sein, sich nicht selbst etwas vormachen. Jede in Kauf genommene Verhütungspanne ist eine bewusste Entscheidung – und zwar eine sehr schöne und mutige, zu der man stolz stehen sollte.
Dieser Text ist in der Ausgabe 04/15 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben seit September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App.