Die Parlamentswahl war bereits die siebte in Bulgarien innerhalb von weniger als vier Jahren. Auch bei der vorherigen Wahl im Juni war die Gerb-Partei stärkste Kraft geworden. Allerdings war es ihr danach nicht gelungen, eine stabile Regierung aufrecht zu erhalten.
Auch jetzt gilt es als wahrscheinlich, dass Borissow, der bereits dreimal Ministerpräsident war, keine Koalitionspartner findet, um eine tragfähige Regierungsmehrheit zu bilden. Das Parlament in Sofia ist extrem zersplittert, in der nächsten Legislaturperiode sind in ihm voraussichtlich sieben bis neun Parteien vertreten.
"Die Menschen wollen eine Regierung, Stabilität und Sicherheit", sagte Borissow am Sonntagmorgen bei seiner Stimmabgabe. Damit signalisierte er erneut seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den etablierten Parteien.
Doch der Chef der pro-westlichen Reformpartei PP, Kiril Petkow, hatte dem Gerb-Chef bereits zuvor eine Absage erteilt. Er lehne es ab, sich mit dem angeschlagenen konservativen Politikveteranen in einer Koalition zusammen zu tun, sagte Petkow, der selbst kurzzeitig schon einmal Ministerpräsident des südosteuropäischen Landes war, im Wahlkampf.
Trotz der allgemeinen Wahlmüdigkeit lag die Beteiligung eine Stunde vor Schließung der Wahllokale bei 35 Prozent - und damit leicht über dem Wert vom vorherigen Mal. Bei der vorherigen Wahl hatte die Beteiligung mit nur 34 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit dem Ende des Kommunismus vor 35 Jahren gelegen.
Das ärmste Land der EU kommt politisch nicht zur Ruhe, seit Anti-Korruptions-Proteste im Jahr 2021 die damalige Regierung Borissows zu Fall gebracht hatten. Die politische Instabilität könnte die Bewerbung Bulgariens um den Beitritt zur Eurozone im Jahr 2025 und die Zuteilung von Milliarden Euro durch die EU gefährden.
Von der Dauerkrise profitiert insbesondere die rechtskonservative Partei Wiedergeburt (Wasraschdanje). Sie konnte sich mittlerweile dauerhaft in der politischen Landschaft etablieren. Bulgarien müsse "ein unabhängiges Land bleiben, ohne ausländische Einmischung", sagte Wiedergeburt-Parteichef Kostadin Kostadinow am Sonntag mit Bezug auf die EU und die USA.
Wasraschdanje konnte während des Wahlkampfes auf einige Erfolge verweisen, darunter eine im August vom Parlament mit großer Mehrheit verabschiedete Gesetzesänderung zum Verbot von LGBTQ-Inhalten an Schulen, die auf einem Vorschlag der pro-russischen Partei basierte. Vorbild für das Verbot sind ähnliche LGBTQ-feindliche Regelungen in Russland. Die englische Abkürzung LGBTQ steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender und queer.
Einem Experten zufolge wächst Wasraschdanjes Einfluss "so sehr, dass die Partei zu einem potenziellen Partner für Gerb wird". Borissow habe sich offen für eine Annäherung an die rechte Partei gezeigt, aber eingeräumt, dass seine "Partner in Brüssel und Washington ein solches Szenario nicht zulassen" würden, sagte Dobromir Schiwkow vom Institut Market Links der AFP.
Seit der russischen Invasion in der Ukraine hatte sich Borissow klar gegen Moskau gestellt. Doch ein möglicher Sieg des republikanischen Kandidaten Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl könnte dies nach Ansicht Schiwkows ändern.
Ein Wahlsieg Trumps und dessen "Nachsicht mit den Sünden der Korruption" könnten nach Einschätzung des Experten auch den Weg ebnen für ein Bündnis zwischen Gerb und dem mit Sanktionen der USA und Großbritanniens belegten Ex-Unternehmer Deljan Pejewski. Der 44-jährige Abgeordnete ist Gründer einer Splittergruppe innerhalb der Partei der türkischstämmigen Minderheit in Bulgarien (MRF).