Unabhängiger Ausschuss soll Brandkatastrophe von Hongkong untersuchen

Blumen in der Nähe des Unglücksorts
Blumen in der Nähe des Unglücksorts
© AFP
Nach der Brandkatastrophe in Hongkong mit mehr als 150 Todesopfern hat Regierungschef John Lee eine Untersuchung des Unglücks durch einen "unabhängigen Ausschuss" angekündigt. Die Leitung der Kommission solle ein Richter übernehmen, sagte Lee am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Zugleich verteidigte er das Vorgehen der Behörden gegen Menschen, deren Kritik im Zusammenhang mit dem Großbrand als "Aufwiegelung" bewertet wurde.

Der unabhängige Untersuchungsausschuss solle "eine umfassende und tiefgreifende Prüfung" vornehmen, um Praktiken in der Baubranche zu ändern und "ähnliche Tragödien in der Zukunft" zu verhindern, sagte Lee. Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP führte er aus, die Behörden hätten im Zusammenhang mit dem Großbrand einige Fehlleistungen festgestellt. Daher müsse es Reformen in den Bereichen Bau, Instandhaltung, Sicherheit und Aufsicht geben und "die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden". 

Der Großbrand war am Mittwoch vergangener Woche im Wohnkomplex Wang Fuk Court im nördlichen Stadtteil Tai Po ausgebrochen. Das Feuer wütete über 40 Stunden lang in sieben der acht Hochhausblöcke der Wohnanlage, die insgesamt fast 2000 Wohneinheiten umfasst. Bislang wurden 156 Todesopfer gefunden. 30 Menschen wurden am Dienstag noch vermisst.

Die Ermittlungen ergaben, dass ein Teil der Schutznetze, die bei der Renovierung der Hochhäuser genutzt wurden, nicht den Feuerschutzstandards entsprachen. Außerdem waren die Hochhäuser für die Renovierungsarbeiten mit Bambusgerüsten eingerüstet worden.

In der chinesischen Sonderverwaltungszone und ehemaligen britischen Kronkolonie ist es politische Praxis, für aufwendige Überprüfungsverfahren Untersuchungsausschüsse einzusetzen, die in der Regel von einem Richter geleitet werden. Wegen der Brandkatastrophe haben die Polizei und die Anti-Korruptionsbehörde bereits gemeinsame Ermittlungen eingeleitet, die zu 15 Festnahmen wegen Tötungsvorwürfen führten.

"Die verantwortlichen Schuldigen haben versucht, nicht den Standards entsprechenden Schutznetze mit ordentlichen Netzen zu mischen, um die Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden zu täuschen", sagte Lee. Die Beschuldigten bezeichnete der Hongkonger Regierungschef als "böse".

Die Brandkatastrophe hatte bei den Hongkongern nicht nur Trauer und Bestürzung ausgelöst, sondern auch Fragen nach der Verantwortung für das Unglück. Medienberichten zufolge wurden mehrere Menschen, die offen eine Untersuchung forderten, wegen Aufwiegelung festgenommen. Unter ihnen ist der 24-jährige Student Miles Kwan, der für eine Petition zur Untersuchung von Missständen geworben hatte.

Auch der frühere Bezirksstadtrat Kenneth Cheung und ein weiterer Beschuldigter wurden Medienberichten zufolge von der Polizei abgeführt. Cheung erklärte später auf Facebook, er sei gegen Kaution wieder freigekommen.

Regierungschef Lee antwortete auf eine Frage von AFP nach diesen Festnahmen, er werde "keinerlei Vergehen tolerieren, insbesondere Vergehen, die die Tragödie ausnutzen, mit der wir es jetzt zu tun haben". Zudem wies er Mutmaßungen zurück, die für Sonntag geplanten Hongkonger Legislativratswahlen würden wegen des Großbrands verschoben. 

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erklärte, die Brandkatastrophe habe "ernsthafte Bedenken" ausgelöst. Es sei nun "wichtig, diejenigen, die nach Antworten zu dem tragischen Feuer suchen, nicht als Kriminelle zu behandeln", mahnte die HRW-Asien-Direktorin Elaine Pearson. 

Eine von Vertretern der Zivilgesellschaft für Dienstag anberaumte Pressekonferenz zu der Brandkatastrophe wurde allerdings kurzfristig abgesagt. Örtlichen Medien zufolge waren Initiator Bruce Liu und andere von der nationalen Sicherheitspolizei "zu einem Treffen eingeladen" worden. Später wurde Liu beim Verlassen einer Polizeiwache gesehen.

In einem U-Bahn-Tunnel in der Nähe des Unglücksorts wurden derweil viele Botschaften der Betroffenheit in Form bunter Klebezettel hinterlassen. Derartige sogenannte Lennon Walls waren auch in der Hochphase der Pro-Demokratie-Proteste in Hongkong 2019 entstanden. Als AFP-Reporter am Dienstagnachmittag (Ortszeit) zu der improvisierten Gedenkstätte zurückkehrten, waren die Klebezettel entfernt. Allerdings waren neue auf Wänden, Pfählen und Bänken aufgetaucht. 

AFP