Es fing 1995 mit einem spontanen Vorschlag an: "Lasst uns unseren eigenen Sender gründen". Die Idee kam von dem damals 28-jährigen Bart de Graaff, Moderator eines TV-Jugendprogramms bei einer der öffentlich-rechtlichen Anstalten in den Niederlanden. Seine Redaktionsmitglieder waren direkt Feuer und Flamme. "Erst dann haben wir Macht. Dann kommen wir Jugendlichen im Fernsehen erst richtig zum Zuge".
Ein paar Wochen später gründeten Bart und seine Kumpane tatsächlich Bart's News Network (BNN) In den Niederlanden bekommt man Sendezeit im Radio und Fernsehen, wenn man einen Verein hinter sich hat, der wenigstens 150.000 Mitglieder aufweisen kann und noch bestimmte Auflagen erfüllt. So sollte man eine gewisse gesellschaftliche und kulturelle Strömung im Volk vertreten. Weil Jugendliche bei den traditionellen TV-Programmen damals kaum berücksichtigt wurden, genehmigte der zuständige Staatssekretär den Antrag von BNN. Ein paar hunderttausend Fans unterstützten Bart, der selbst Boss der neuen Anstalt wurde und somit zum Liebling seines Publikums.
1,40 Meter großer TV-Papst
Bart de Graaff, kaum 1,40 Meter groß, chronisch krank wegen seines Nierenleidens, entwickelte sich schnell zum TV-Papst, der ganz genau wusste, was seine Anhänger auf dem Bildschirm sehen wollten. "Nicht diese stupiden, langatmigen Soaps, nicht die überflüssigen Gespräche, die 100. Talkshow, die üblichen langweiligen Nachrichten", erzählte er. Bei ihm ging's schneller zu, frecher, blöder, manchmal total daneben, weil Bart und seine Truppe dann und wann brutal unsichtbare "ethische" Grenzen überschritten. Gut für fette Schlagzeilen. Genau das war sein Ziel; Aufmerksamkeit erregen, schockieren, seinen Zeitgenossen die andere Seite eines Problems oder Nachricht zeigen.
Die Konkurrenz reagierte anfänglich skeptisch, ungläubig, musste aber zusehen, wie "das kleine schmächtige Kerlchen" als moderner Narr, "der kleinste Mann mit dem größten Maul" seine Zuschauer bezauberte, oft mit Einsatz vieler bildhübscher Mädels. Nach dem Motto: Spaß muss sein. Sex auch. Doch stets mit einem ernsthaften Unterton, denn Bart wollte gleichzeitig informieren, helfen, immer im direkten Kontakt und mit der Sprache der Straße - rauh, roh, provokant, wie eben Jungen und Mädchen heutzutage reden. So machte er einen Film "Rent a Friend", über Menschen, die einen Unbekannten als Freund anheuern, um ihre Einsamkeit zu vertreiben. Bart verknüpfte Humor mit dem Ernst des Alltags von Teenagern in Not - und half ihnen aus der Misere.
Und genau das ist inzwischen zur Tradition bei BNN geworden: Menschen einerseits auf den Arm nehmen, auf dem falschen Fuß erwischen, sie aber zwischendurch in den Spiegel der Wahrheit schauen lassen und mit den wirklichen Dingen des Lebens konfrontieren.
Die "Große Spender Show"
Vor fünf Jahren ist Bart gestorben. Er hatte selbst auf eine Nieren-spende gehofft. Sie kam jedoch nicht mehr rechtzeitig. Der soziale, kämpferische Lilliputaner bekam eine Bauchfellentzündung. Er starb am 25. Mai 2002, 35 Jahre alt. Genau diese Tragödie spielt eine große Rolle bei dem umstrittenen TV-Programm, die "Große Spender Show", die BNN Freitagabend im niederländischen 1. Programm präsentieren wird. In der Reality-Show werden sich drei kranke Menschen um die Niere einer todkranken Frau bewerben. Die Zuschauer stimmen per SMS ab, wer für sie der "würdigste Spender" ist. Das letzte Wort hat aber die Spenderin, sie entscheidet am Ende, welcher Kandidat ihre Niere bekommt. Die Sendung löste in aller Welt eine massive Welle von Protesten, Entsetzen und Verwirrung aus. Die feine FAZ warf mit Dreck: die Idee stinkt so, dass sie nur aus Holland kommen kann.
"Wir betreiben kein Organdumping"
Obwohl sie noch keiner inhaltlich beurteilen konnte, wird die Show auch von anderen als geschmacklos, widerlich, gruselig und verwerflich abgestempelt. "Das stimmt vielleicht", sagt der heutige BNN-Chef Laurens Drillich. Er steht voll zu seinem umstrittenen Schockprodukt. "Das Ergebnis wird jedoch total integer sein. Wissen Sie, was ich verwerflich und skandalös finde? Dass jetzt 1168 Niederländer als Dialysepatienten auf eine Organspende warten müssen. Noch jahrelang. Pro Jahr überleben 200 Menschen die tödliche Warteliste nicht. Sie sterben. Das ist der wirkliche Skandal. Man regt sich über die falschen Dinge auf".
Drillich bestreitet, dass die Live-Sendung auf Sensation abzielt, auf hohe Quoten, die die Werbekasse füllen. "Das Programm wird in guter BNN-Tradition zusammengestellt. Wir wollen keine Billigeffekte auslösen. Kein Organdumping betreiben. Wir machen Reality-TV, wie das Leben halt ist, im wahrsten Sinne, hart aber fair".
Wie Drillich das Konzept seiner Kampagne auf einen Nenner bekommen will, ist die Frage. Denn von den sieben Transplantationszentren, die es in den Niederlanden gibt, zeigt sich keine bereit, eine Operation mit der im Wettbewerb gewonnenen Niere durchzuführen. Dem Sieger muss wahrscheinlich im Ausland geholfen werden, vielleicht in Belgien, in England oder sogar im deutsch-niederländischen Grenzgebiet. Drillich gibt darüber keine Auskunft. "Das ist ein Geheimnis, das wir erst Freitagabend preisgeben".
"Was zählt, ist der Erfolg"
In den Niederlanden sind die Transplantationsregeln so: Eine Niere von einem gerade Verstorbenen wird direkt an Eurotransplant geliefert. Das ist der einzige Weg. Wird die Spende von einem Lebenden gegeben, kann der Donor selbst eine Person als Empfänger anweisen, auch wenn dieser kein direkter Verwandter ist. Wie es aussieht, wählt die 37-jährige, krebskranke Spenderin Lisa einen der drei Bewerber für ihr Organ aus, bevor sie stirbt. Sonst würde die ganze Aktion umsonst gewesen sein. Drillich verneint das. Er hat sein Ziel längst erreicht. "Wir haben das Problem für die kommende Zeit ins Rampenlicht gestellt, zögernde Niederländer aufgerüttelt. Ich erwarte einen Zustrom an neuen Spendern, vor allem von Jugendlichen. Wie anfechtbar unsere unorthodoxe Aufklärungsmethode auch war - was zählt ist der Erfolg. Schade, dass so etwas nur in den Niederlanden möglich ist".
Drillich meint, dass die Gegner erst mal das Ergebnis abwarten sollten, bevor sie Schande schreien. Der TV-Boss ist zufrieden, dass die Haager Regierung "cool" geblieben ist unter der internationalen Entrüstung. "Der Media-Minister hat klar erkannt, dass er nicht eingreifen konnte und durfte. Das sei ein Verstoß gegen das Grundgesetz gewesen. Hier geht es schließlich um Meinungsfreiheit". Traurig findet Drillich, dass die Kontrahenten sich nicht zuerst in die Problematik vertieften und dann erst ein Urteil verkündeten. "Was sie jetzt behaupten, ist leeres Geschwätz".