Brauchtum Der Kampf der Kuh-Königinnen

Zwei Kühe nehmen Maß, mustern sich, dann stürmen sie aufeinander los, bis ihre Köpfe aufeinander krachen. Der im Wallis seit 1922 ausgetragene Ringkuhkampf hat mit einer Corrida nicht das Geringste gemein. Für die Züchter geht es um Ruhm und Ehre.

Die Wolken hängen tief über den Walliser Alpen, der Frühling lässt auf sich warten, und der Wind pfeift durch das Tal. Trotzdem herrscht Volksfeststimmung im Schweizer Dorf Aproz. Es ist ein besonderer Tag. Heute wird die Königin der Königinnen gekürt - "La Reine des Reines" heißt die Siegerin im kantonalen Ringkuhkampf, der jedes Jahr im Mai vor tausenden Zuschauern ausgefochten wird.

Eher kleine, gedrungene schwarze Kühe stehen entlang einer alleeartigen Straße angepflockt. Manchmal geht ihr Fell bis ins Rostbraune, immer aber sind sie einfarbig, tragen beeindruckende Hörner und eine immense Glocke um den Hals. Sie gehören zur Rasse der Eringer, die genügsam und trittsicher ist, auch in schroffem Gelände. Das ist wichtig, wenn sie im Sommer auf den Almen über 2000 Meter Höhe weiden. Nur besonders gute Milchkühe sind sie nicht.

Mit den Römern über die Alpen

"Früher war das die Kuh der armen Leute", sagt Züchter David Moulin. "Sie war einfach günstig im Unterhalt." Man sagt den Eringern nach, sie seien schon mit den Römern über die Alpen gekommen. Sicher ist, dass sie schon seit langen Zeiten und fast ausschließlich im Wallis gehalten werden. Und ebenso sicher ist, dass sie große Kämpferinnen sind. "Das liegt ihnen im Blut", meint Moulin, der selbst schon eine Königin im Stall hatte.

Schon am frühen Morgen sind die Bauern mit ihren Tieren in Aproz angekommen, die Kühe wurden gewogen, nach Gewicht und Alter in Kategorien eingeteilt und bekamen mit weißer Farbe ihre Startnummer auf den Rücken gemalt. Jetzt warten sie, 173 an der Zahl, leise schnaubend oder mit den Hufen scharrend darauf, in die Arena geführt zu werden. Niemand, der ihnen hier über das Fell gestrichen oder die Ohren gekrault hat, kann vermuten, welches Temperament sie entwickeln, wenn sie sich dort gegenüber stehen. Eine Eringer-Kuh ist keine gewöhnliche Kuh.

"Arena schließen! Treiber Tiere losbinden! Besitzer die Arena verlassen!", heißt es vor jedem Kampf. Etwa ein Dutzend der breiten, muskulösen Tiere stehen in dem mit einem dicken Strick eingezäunten Rund bereit. Die "Rabatteure" genannten Treiber, die man an ihrem blauen Kittel, den Bergschuhen und einem schlichten Stock erkennt, halten sich aus dem Kampfgeschehen weitgehend heraus. Am Ende dieses Durchgangs stehen sich noch Kuh "Moreine" mit der Nummer 4 und "Sauvage" mit der Nummer 16 gegenüber.

Köpfe krachen aufeinander

Die beiden Kühe nehmen Maß, mustern sich, dann stürmen sie aufeinander los. Die Erde des aufgewühlten Untergrundes spritzt nach allen Seiten. Ihre Köpfe krachen aufeinander. Und dann herrscht - Ruhe. Regungslos, Stirn gegen Stirn und wie aus Stein gemeißelt verharren die beiden Kühe, die Hörner ineinander verkeilt. Keine gibt nach, jede stemmt sich mit annähernd 700 Kilo gegen die andere. Minutenlang scheint die Szenerie wie eingefroren. Plötzlich geht ein Ruck durch die beiden Leiber, die Hörner entwirren sich und der Kampf beginnt von Neuem.

Am Ende erweist sich "Sauvage" als die Hartnäckigere und wird unter dem Jubel der Zuschauer vom Platz geführt. Verletzt wurde keines der Tiere. Niemand stachelte sie an. Wer drei Mal die Auseinandersetzung meidet, hat ohnehin verloren.

Unter den 12 000 Zuschauern, die es sich auf den Rängen am Fuße des Berges mit einem Gläschen Fendant-Wein bequem gemacht haben, sind kaum Touristen. Walliser sitzen hier, denen man durchaus noch ein hartes Leben in den Bergen ansieht. Mondäner Chic fehlt, auch wenn der Schweizer Bundespräsident Joseph Deiss unter den Gästen ist und der Siegerkuh heute ihre Siegerglocke umhängen wird.

Nur Ruhm und Ehre statt Preisgeld

Am vergangenen Sonntag hieß die Königin der Königinnen "Saphir". Die Kuh mit der Nummer 30 bringt 711 Kilo auf die Wage. Züchter Jean-Francois Moulin aus Leytron im Unterwallis hat zunächst nichts von diesem Sieg. Preisgelder gibt es nicht, nur Ruhm und Ehre. Und die Gewissheit, dass die Nachkommen dieser Kuh begehrt sein werden.

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Heinz-Peter Dietrich/DPA

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