"Und wenn Sie sagen: 'Auszahlen!', dann sagen Sie mir Bescheid. Und dann werde ich dafür Sorge tragen, dass das Geld in bar hier herkommt."
Über Monate treffen sich in einer Arztpraxis zwei Apotheker, ein Pharmahändler und ein Onkologe. Es geht um einen Treuhandvertrag im Ausland und um Auszahlung in Cash. Es geht um ein geheimes Darlehen, um Vertuschung und darum, wie man mit Medikamenten gegen Krebs noch mehr Geld verdienen kann.
Deals und Absprachen in der Branche der weißen Kittel finden im Verborgenen statt, normalerweise. Doch diesmal sind Journalisten vom stern und vom ARD-Magazin "Panorama" dabei. Mitten in Hamburg verfolgen sie ein Kammerspiel der Korruption. Die Darsteller allerdings sind keine Schauspieler. Sie wissen nur nicht, dass sie gefilmt werden – und dass die Falttür zum Vorraum nie ganz verschlossen ist.
In diesen Wochen könnte Deutschland ein neues "Anti-Korruptionsgesetz" für das Gesundheitswesen bekommen. Die Recherchen von stern und "Panorama“ zeigen, wie nötig es ist.
Der Tatort
Eine Arztpraxis, Hamburg, Dezember 2015. Die Sessel sind braun oder beige, sechs insgesamt, man kann sich darin zurücklehnen, eine Fußstütze klappt dann hoch. Zu jedem Sessel gehört ein Metallständer auf Rollen. Für die Infusionen.Hier, im Erdgeschoss, 25 Quadratmeter, PVC-Boden, sitzen sonst Krebskranke mit Kanülen im Unterarm und kämpfen gegen den Tod. Mit Chemotherapien. In der Ecke surrt leise der Kühlschrank für die Medikamente, auf dem Glastisch kleine Weihnachtsmänner aus Schokolade. Patienten haben sie am Morgen übrig gelassen.
Für die Patienten ist es ein Ort der Hoffnung. Drei Männer jedoch, die mit dem Kampf gegen den Krebs viel Geld verdienen, machten das Zimmer in den vergangenen Monaten zum Tatort.
Die Protagonisten
Der Pharmahändler heißt Rolf-Dieter Lampey und ist 68 Jahre alt.
Pharmahändler Rolf-Dieter Lampey: Mit 68 Jahren ist er noch im Geschäft.
Lampey ist in seiner Branche eine Legende. Gegen ihn liefen vor einigen Jahren umfangreiche Ermittlungen. Die Akte ist dick. Er hatte im großen Stil Krebsmittel aus Ägypten importiert und an Apotheken in ganz Deutschland verkauft. Hausdurchsuchung reihte sich damals an Hausdurchsuchung.
Es ging um verschiedene Delikte damals, der Staatsanwalt schlug einen Strafbefehl mit einer Zahlung von 600.000 Euro vor. Doch das Verfahren zog sich, Vorwürfe verjährten. Lampey vertraute auf unterschiedliche Rechtsanwälte und zahlte nach eigenen Angaben Anwaltshonorare von insgesamt drei Millionen Euro. Nach Jahren erhielt Lampey eine einjährige Bewährungsstrafe wegen Verstoßes gegen das Patentrecht, die vor Kurzem ablief.
Der ältere Apotheker ist Mitte 40.
Er besitzt mehrere Apotheken im Osten Niedersachsens und ist an einem Ärztezentrum zur Versorgung von Kassenpatienten beteiligt. Der ältere Apotheker redet viel in den Gesprächen im Therapieraum, mehr als sein Kollege.
Der jüngere Apotheker, Anfang 40, betreibt seine Unternehmungen in einer Großstadt in Norddeutschland.
Er besitzt ebenfalls mehrere Apotheken und eine Versandapotheke. Wie sein Kollege befindet er sich auf Expansionskurs. Seine Versandapotheke zählt bereits heute zu den zehn größten in Deutschland. Der jüngere Apotheker versorgt auch den Fußball-Bundesligisten seiner Stadt mit "Apothekerbedarf".
Und dann ist da der Onkologe, der sich seit Jahrzehnten um Krebspatienten kümmert: Dr. Ulrich Fritz aus Reinbek bei Hamburg, Sozialdemokrat, engagiert auch in der Evangelischen Kirche.
Krebsmittel – eine Branche im Griff der Korruption
Der Pharmahändler und die beiden Apotheker sind an den falschen Arzt geraten. Der Onkologe Ulrich Fritz stand bereits mit dem stern in Kontakt, als sich Rolf-Dieter Lampey bei ihm meldete. Fritz ging dann nur zum Schein auf die Geschäfte ein.
Die schmutzigen Tricks seiner Branche sind dem Arzt seit Jahren bekannt. Er sagt: "Meine Kollegen müssen höllisch aufpassen."

Für krumme Deals, Korruption und Bestechung ist die Krebsbranche wie gemacht. Schon mehrfach hat der stern über die Machenschaften berichtet. Der Deal aus dem Hamburger Infusionsraum zeigt nun exemplarisch, wie bestimmte Akteure hemmungslos versuchen, mit todkranken Patienten Kasse zu machen.
Dem deutschen Gesundheitswesen entsteht durch Bestechung, Betrug und andere kriminelle Methoden jährlich ein Schaden von sechs, manche sagen auch von 20 Milliarden Euro. In jedem Fall sind es gewaltige Summen, die für Krankenhäuser und für Forschung fehlen, für die Versorgung von Menschen.
Für den Schaden, den die Betrüger verursachen, kommen letztlich die Beitragszahler der Krankenkassen auf. Gerade erst haben die gesetzlichen Kassen die Beiträge erhöht. Sie beschäftigen auch eigene Ermittlerteams. Es ist der Versuch, wenigstens einen Teil des Geldes zurückzubekommen.
Manche Krankenkassenermittler arbeiten auf Erfolgsbasis. Besonders gerne suchen sie: bei Onkologen, bei Apothekern, die auf Zytostatika spezialisiert sind, und bei den entsprechenden Pharmahändlern.
Dass die Krebsmittel-Branche so anfällig für Korruption ist, hat gleich mehrere Gründe:
Erster Grund – eine Ausnahme: Allein die Onkologen entscheiden, welche Apotheke das Geschäft mit der Zubereitung der teuren Krebs-Medikamente macht. Die Fachärzte müssen ihren Patienten das Rezept nämlich nicht wie andere Mediziner aushändigen – sie leiten es direkt zur Apotheke weiter.
Zweiter Grund – gewaltige Gewinnmargen: Die Krebsmittel selbst, die sogenannten Zytostatika, ermöglichen riesige Gewinnspannen. Manche sprechen von "Pharmagold", denn: Die Medikamente werden für jeden Patienten individuell hergestellt. Sie sind teuer und meist über längere Zeit einzunehmen. Mit Rabatten lassen sie sich preiswerter herstellen, die Krankenkassen aber zahlen feste Preise.
Dritter Grund – immer mehr Krebskranke: Neue Studien zeigen, dass bald jeder zweite Deutsche im Alter Krebs haben könnte. Schon jetzt erkranken in Deutschland jedes Jahr eine halbe Million Menschen daran. Wer sein Geld mit dem Kampf gegen diese tückische Krankheit verdient, arbeitet – so zynisch das auch klingt – in einer Boombranche. Mit Krebsmitteln werden jedes Jahr mehr als drei Milliarden Euro umgesetzt.Um die lukrativen Aufträge zu ergattern, machen viele Apotheker Onkologen zu ihren Geschäftspartnern: Mal kassiert der Arzt auf der Basis eines "Beratervertrags“ für Leistungen, die er in Wahrheit nie erbracht hat. Mal stellt der Apotheker dem Arzt einen kostenlosen Fahrservice zur Verfügung. Mal vermieten Apotheker Onkologen Praxisräume zu extrem niedrigen Mieten.
Ein Onkologe allein kann bei einem Apotheker für einen Jahresumsatz von rund sechs Millionen Euro sorgen, rechnet der Arzt Ulrich Fritz vor. Das macht Ärzte wie ihn so begehrt bei Apothekern – und bei Pharmahändlern, die ihrerseits die Apotheker mit Wirkstoffen beliefern. Manchmal halten auch die Krebsärzte bei Apothekern die Hand auf.

Die Treffen
Anonym über Österreich
Deal I: Das Kick-back-Modell
Teilnehmer:
- Rolf-Dieter Lampey (Pharmahändler)
- Dr. Ulrich Fritz (Onkologe)
Rolf-Dieter Lampey trägt ein schwarzes Jackett und schmale Lederschuhe mit Doppelschnalle. Das rosa Hemd ist weit geöffnet, das graue Haar zurückgegelt. Der Pharmahändler erklärt dem Arzt Ulrich Fritz, wie mit Immunglobulinen Extra-Geld zu verdienen sei. Diese Antikörper-Präparate für Krebspatienten sind extrem teuer.
Lampey sagt, er arbeite da mit einer Firma zusammen:
"Dort gibt es die Möglichkeit, Sie finanziell an Bord zu nehmen und von den Verschreibungen zu profitieren."
Extra-Honorare für Rezepte kassieren – genau das darf ein Arzt nicht. Es ist rechtswidrig. Lampey beruhigt Fritz:
"Sie werden mit Namen nicht geführt – ich hab so einen Vertrag dabei, kann ich Ihnen mal zeigen – und kausal am Umsatz beteiligt."
Ulrich Fritz hört sich Lampeys Angebot an. Dann fragt er nach. Es gehe ihm um Sicherheit, sagt der Arzt, die Staatsanwaltschaft sei ja wachsam.
"Außen vor", stellt Lampey klar, die Staatsanwaltschaft sei "außen vor. Ich zeig' das mal. So sieht so ein Ding aus, relativ simpel".
Lampey öffnet seinen Metallkoffer und holt ein Papier hervor, "Treuhandvereinbarung" steht darauf.
Es geht um die Verschleierung verdeckter Provisionen, die Lampey ihm anbietet und die man in der Wirtschaft Kick-back-Zahlungen nennt. Das Geld für Fritz soll auf ein anonymes Nummernkonto einer Treuhandgesellschaft im Ausland fließen. Konkret soll Ulrich Fritz an dieser Briefkastenfirma beteiligt werden, die im Handelsregister in Feldkirch eingetragen ist, im Westen Österreichs. Sein Name würde dort nicht auftauchen.
Lampey erklärt weiter:
"Das machen die schon lange, sehr anonym. Sehr anonym. Ich rede als Geschäftsmann ganz offen. Also, ich würde, pass auf, Folgendes sagen: Das Ding gucken Sie sich an. Wenn Sie es unterschreiben wollen, rufen Sie mich an, dann komme ich kurz vorbei. Ich nehm' das bei uns ins Register rein, Sie haben damit nichts zu tun. Kontoeröffnung geht ganz automatisch."
Lampey steht auf. Es geht um Geld, das macht er auch in der Körpersprache am Ende seines Termins noch einmal deutlich.
Angst vor dem Staatsanwalt
Deal II: Geld gegen Rezepte
Teilnehmer:
- Rolf-Dieter Lampey (Pharmahändler)
- Dr. Ulrich Fritz (Onkologe)
- Der jüngere Apotheker
- Der ältere Apotheker
Sie machen zunächst ein paar Scherze, Smalltalk, vielleicht aus Verlegenheit. Dann nehmen sie auf den Sesseln im Therapieraum Platz. Pharmahändler Lampey hat zwei Apotheker mitgebracht. Neben dem Geschäft mit dem Kick-back-Modell will er mit den beiden zusammen einen zweiten Deal einfädeln. Bald wird klar, was die beiden Apotheker antreibt: Sie wittern die Chance auf ein großes Geschäft. Durch den Arzt wollen sie an die lukrativen Rezepte über Krebsmittel kommen. Sie sind bereit, ihm dafür Geld zu zahlen.
Derlei Praxis soll das geplante "Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen" künftig unterbinden. Der ältere Apotheker ist darüber ziemlich verärgert:
"20 Jahre wurde das nicht infrage gestellt. Jetzt auf einmal wird alles infrage gestellt."
Ulrich Fritz berichtet den Besuchern, dass er in einer früheren Praxis, die er im Hamburger Stadtteil Bergedorf führte, im Monat 600 bis 700 Rezepte über Krebsmittel verordnet habe. "Das ist schon was", kommentiert Lampey. Der ältere Apotheker nickt anerkennend.
In Bergedorf will Fritz nun auch die neue Praxis eröffnen. Und die beiden Apotheker wollen finanziell mitmischen, ihren Umsatz mit der Herstellung all der Krebsmittel erhöhen, die Fritz verschreibt. Sie bieten Fritz eine Art Anschubfinanzierung. Von 250.000 Euro ist die Rede.
Doch der ältere Apotheker sorgt sich um die "Rückvollziehbarkeit". Die gelte es zu vermeiden. Ist das Geschäft nachvollziehbar, droht ja das neue Anti-Korruptionsgesetz. Der Apotheker erklärt dem Onkologen deshalb seine Idee, wie Rückvollziehbarkeit verhindert werden könnte:
"Wenn ich Ihnen ein Darlehen geben würde, hätte ich ja erst mal gar keinen wirtschaftlichen Nutzen und keine wirtschaftliche Beziehung zu Ihnen. Mein Kollege könnte dann die Zytostatika-Versorgung übernehmen."
Wichtig ist dem älteren Apotheker, dass der Deal geheim bleibt:
"Es hat ja keiner Interesse dran, dass da irgendjemand genau reinguckt und die Staatsanwaltschaft dann sagt: 'Wo kommt denn das Geld her?' Wenn die Presse erst mal voll dabei ist, dann gewinnt das 'ne Dynamik, die keiner mehr kontrollieren kann."
Ulrich Fritz verlässt nun für einige Minuten den Raum. So entsteht eine Art Halbzeitpause – die Besucher sind unter sich. Lampey ist begeistert, spricht von einer "großen Nummer". Der ältere Apotheker sieht das ähnlich:
"Großartig eigentlich, eine super Chance. Dass man das Ding versenken kann, da bin ich fest von überzeugt. Man kann das bringen."
"Bis sich die 250.000 amortisiert haben, muss er lange arbeiten", wirft Lampey ein. "Er ist ja noch jung", sagt der ältere Apotheker. Er sieht in dem Onkologen offenbar einen Goldesel in den besten Jahren.
Nachbesprechung: Als die Apotheker weg sind, kehrt Lampey noch mal zu Ulrich Fritz zurück.
Der Pharmahändler Lampey allerdings hat damit klargemacht, dass das Darlehen sich amortisieren soll – also nicht zurückgezahlt werden muss. Die Apotheker widersprechen ihm nicht.
Lampey und die beiden Apotheker würden sich melden, so geht die Runde schließlich auseinander. Man kann das Trio dann noch in einem Café in der Nähe beim intensiven Gespräch sehen.
Später kehrt Lampey noch einmal allein zurück zu Ulrich Fritz. Der Pharmahändler will den Termin jetzt auch mit dem Arzt nachbesprechen. Er preist Fritz die beiden Apotheker an: "Das sind sehr große Player, und ich hab festgestellt: sehr angenehme Player." Und Lampey äußert sich auch zum Anti-Korruptionsgesetz:
"Das bringt demjenigen, der gibt, und demjenigen, der nimmt, strafrechtliche Probleme."
Das ist in der Tat so.
Ein Vertrag für den Safe
Deal I: Das Kick-back-Modell
Teilnehmer:
- Rolf-Dieter Lampey (Pharmahändler)
- Dr. Ulrich Fritz (Onkologe)
Während Rolf-Dieter Lampey draußen einen Parkplatz sucht, behandelt Ulrich Fritz in der Praxis noch eine ältere Frau. Sie bekommt eine Chemotherapie. Ihr Mann sitzt daneben, hält ihre Hand.
Als der Pharmahändler auftaucht, hat die Patientin den Raum gerade verlassen. Lampey lässt sich in ihren Sessel fallen. Kurze Zeit später assistiert er Ulrich Fritz beim Ausfüllen des Treuhandvertrags aus Österreich: "Die Anschrift oben, Dr. med., mit allem Drum und Dran.“ Den Vertrag erhalte Fritz per Post zurück. Lampey bittet, das Schriftstück "in einen Safe“ zu legen.
"Die Anschrift oben": Der Pharmahändler Lampey erklärt, wie der Treuhandvertrag auszufüllen ist.
Dann erläutert der Pharmahändler das weitere Vorgehen:
"Sie verdienen an jeder Flasche Immunglobulin. Das wird automatisch gutgeschrieben auf diesem Code-Konto. Den Code gebe ich Ihnen, wenn Sie gegengezeichnet haben. Aber es soll natürlich anonym bleiben, sodass keiner, der hier rumwühlt, irgendetwas mitbekommt. Ja. Verstehen Sie das?“
Von den beiden Apothekern hat Lampey unterdessen gute Nachrichten mitgebracht:
"Finanzierungsmäßig sind die relativ gut drauf. Sie haben mir eben gesagt, dass sie sich in der ersten Woche im Januar gleich melden würden bei Ihnen.“
Lampey reist nun nach Österreich. "Alles andere werden wir schaukeln“, sagt der Pharmahändler und wünscht "schöne Weihnachten“.
Aufgabenverteilung
Deal II: Geld gegen Rezepte
Teilnehmer:
- Rolf-Dieter Lampey (Pharmahändler)
- Dr. Ulrich Fritz (Onkologe)
- Der jüngere Apotheker
- Der ältere Apotheker
- Ein Rechtsanwalt aus Süddeutschland
Die Apotheker haben diesmal einen Anwalt für Medizinrecht aus dem Rhein-Main-Gebiet mitgebracht. Der Jurist kommt als Experte, er hält seit Jahren Vorträge zur "Anti-Korruption im Gesundheitswesen".
Er kennt den Gesetzesentwurf, der in Berlin kursiert. Im Therapieraum schürt er erst einmal die Angst:
"Das Thema Kooperation Apotheker, Arztpraxen, Pharmahersteller ist natürlich jetzt schwierig geworden durch die Initiative des Gesetzgebers. Wir gehen davon aus, dass mittlerweile immer irgendwann irgendjemand draufguckt und fragt. Eine Betriebsprüfung, eine Krankenkasse, ein Wettbewerber, irgendeiner kommt immer um die Ecke und sagt: 'Was ist denn da eigentlich?'"
Der ältere Apotheker gibt sich sofort nachdenklich:
"Jetzt überweise ich Geld in der Größenordnung auf ein Konto, wo Dr. XY drübersteht. Da wird bei meiner Betriebsprüfung so sicher wie das Amen in der Kirche gefragt.“
Der Rechtsanwalt wendet sich daraufhin direkt an den Arzt Ulrich Fritz und macht eine klare Ansage: "Der Darlehensgeber sollte eigentlich mit Ihnen geschäftlich gar nichts zu tun haben.“
Millionendeals mit Krebsmitteln:So sollten sie laufen
Korruption in Zeiten des neuen Anti-Korruptionsgesetzes – die Apotheker und ihr Rechtsanwalt zeigen, wie sie funktionieren soll: Ein Arzt erhält Geld, offiziell als Darlehen bezeichnet. Die Rezepte bekommt aber nicht der Darlehensgeber, sondern eine andere Person. Dass beide miteinander in Beziehung stehen, soll niemand erfahren.
Im Therapieraum fasst der jüngere Apotheker noch einmal zusammen: "Fürs Darlehen“, sagt er und deutet auf seinen Mitstreiter. "Für Bestellungen“, fügt er hinzu und zeigt auf sich selbst.
Auszahlung in bar
Deal I: Das Kick-back-Modell
Teilnehmer:
- Dr. Ulrich Fritz (Onkologe)
- Rolf-Dieter Lampey (Pharmahändler)
Lampey zieht einen neuen Treuhand-Vertrag aus dem Koffer. Er erklärt:
"Die konnten Ihre Schrift nicht lesen. Jetzt habe ich das hier noch mal hingeschrieben. Wenn Sie das jetzt hier unterschreiben ... Soll ich vertraulich/privat draufschreiben? Ist das dann kein Problem? Weil, da kriegen Sie Daten mitgeteilt über die Konten und so was.“
Rolf-Dieter Lampey, gestählt durch Hausdurchsuchungen und Ermittlungsverfahren, umtriebig und erfahren. An diesem Tag ist er in Plauderlaune. Wortreich erklärt er die Österreich-Connection:
"Sie kriegen alle acht Wochen einen Stand. Codiert, steht noch nicht mal ihr Name drin. Und das läuft dann so auf. Und wenn Sie sagen: 'Auszahlen!', dann sagen sie mir Bescheid. Wichtig ist, dass das dezent läuft. Dass ihr Name überhaupt auch bei einer Durchsuchung gar nicht im Vordergrund steht. Weil davor haben die alle Angst. Anti-Korruption oder was da auch alles läuft. Und dann werde ich dafür Sorge tragen, dass das Geld in bar hier herkommt. Das mache ich alles. Da habe ich noch drei andere Kunden, wo wir das seit einem Jahr so machen. Da war ich gestern in Hannover, die haben gerade 10.000 in bar bekommen. Einer war noch in der Nähe von Goslar, das waren auch 10.000 Euro. Und das läuft.“
10.000 Euro für einen Arzt, nebenbei und bar auf die Hand. So wirbt Lampey. Der Pharmahändler schildert dem Krebsarzt auch noch, wie die beiden Apotheker den Deal untereinander klar bekommen:
"Die beiden sind miteinander befreundet. Die tauschen auch finanzielle Ressourcen aus, sodass der Herr (…) dann automatisch an dem Gewinn beteiligt ist. Das machen die intern miteinander. Herr (…) hat ja große Angst vor dem Anti-Korruptionsgesetz.“
Fritz fragt, wann denn Lampey selbst von diesem Geschäft mit Chemotherapien profitiere. Es liegt ja nahe, dass die beiden Apotheker die Wirkstoffe für die Zytostatika beim Pharmahändler bestellen, wenn sie die Rezepte von Ulrich Fritz bekommen. Lampeys Antwort ist eindeutig:
"Dann, wenn Sie zuschlagen, dann hätte ich was davon. Sie sind für mich der entscheidende Mann."
Aufgabenverteilung
Deal II: Geld gegen Rezepte
Teilnehmer:
- Dr. Ulrich Fritz (Onkologe)
- Der jüngere Apotheker
- Der ältere Apotheker
Die beiden Besucher sind zu einem Kongress nach Hamburg gekommen, aber den Nachmittag, sagt der ältere, habe man sich gern freigehalten. Sie scheinen sich ohne den Pharmahändler nicht unwohl zu fühlen und wirken, als seien sie mit dem Gang der Dinge zufrieden. Der Ältere sagt zu Ulrich Fritz:
"Jede Woche, wo wir hier herkommen, habe ich das Gefühl, es geht einen Schritt weiter. Ich habe ein gutes Gespür, dass jedes Mal ein bisschen das so eintrifft, wie wir hoffen und denken.“
Der Arzt will nun wissen, wie die beiden Apotheker untereinander abrechnen, ohne dass der Deal auffliegt. Der ältere Apotheker antwortet:
"Der große Vorteil ist, dass wir ein sehr großes Vertrauensverhältnis haben und uns auch seit vielen Jahren kennen.“
Und die interne Verrechnung? Diesmal spricht der jüngere Apotheker:
"Da gibt es verschiedene Wege und Möglichkeiten, wie man das machen kann. Wenn es Sie beruhigt, es ist nicht das erste Geschäft, das wir per Handschlag gemacht haben.“
Fritz verlässt nun kurz den Raum. Die beiden Apotheker nutzen die Gelegenheit und entwerfen einen Zeitplan: Wann können sie damit beginnen, das Geld untereinander aufzuteilen, das ihnen die Rezepte von Fritz künftig einbringen werden?
Der ältere Apotheker überlegt, erstmal "ein Jahr Karenzzeit“ verstreichen zu lassen:
"Weißt du was, behalte es erst einmal. Es geht im Zweifelsfall um unser beider Sicherheit. Darum geht es doch.“
Die Sicherheit ist wichtig, da pflichtet der jüngere Apotheker ihm bei:
"Darum geht es. Aber nach einem Jahr ist das eigentlich locker. Da sehe ich überhaupt kein Problem.“
Wo keine Probleme sind, kann gehandelt werden. Mitte Februar 2016 meldet sich der Pharmahändler Rolf-Dieter Lampey bei dem Onkologen Ulrich Fritz. Auch der zweite Deal sei fix, mit den Apothekern alles klar. Am 1. März bekomme Fritz 300.000 Euro.
Ein weiteres Treffen mit Lampey und den beiden Apothekern sagt Ulrich Fritz ab.
In diesem Video erklärt Oliver Schröm, Leiter des stern-Teams Investigative Recherche, die Hintergründe:
Die Gesetzeslücke
Der Onkologe Ulrich Fritz kennt keinen Arzt, der für solche Geschäfte belangt worden wäre. Der Grund ist einfach – und bizarr: Es gibt bisher keine gesetzliche Grundlage dafür.
In Deutschland dürfen Onkologen, Stand heute, von Apothekern bestochen werden. In Deutschland dürfen Apotheker, Stand heute, auch Onkologen bestechen. Kein Paragraph findet sich im Strafgesetzbuch, der Deals verhindert wie jene, den die beiden Apotheker mit Ulrich Fritz eingestielt haben.
Rechtsexperten sprechen von einer europaweit einzigartigen Gesetzeslücke. Die Bundespolitik hat jahrelang versäumt, diese Lücke zu schließen. Doch nach vielen Jahren des Verhandeln soll das "Gesetz zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen“ nun kommen.
Der Entwurf für das Gesetz kursiert bereits seit mehr als einem Jahr, das Justizministerium unter Heiko Maas, SPD, hat ihn vorgelegt. Schon vorher und noch einmal mit großer Hartnäckigkeit danach mühten sich in Berlin Lobbyisten, die Regelungen zu entschärfen. Ihre Auftraggeber sind Ärzteverbände, Apotheker und Pharmafirmen, die sich offenbar nicht damit abfinden wollen, dass das große Abkassieren plötzlich enden soll.
"Die Ärzteschaft war so lange gegen das Anti-Korruptionsgesetz, bis es nicht mehr aufzuhalten war“, sagt der SPD-Abgeordnete Edgar Franke in seinem Büro im Deutschen Bundestag. Franke ist Jurist, Professor an einer Fachhochschule für Sozialrecht und – sofern es denn in Kraft tritt – eine Art Vater des Anti-Korruptionsgesetzes.

In der Regierungskoalition geben sich die Experten öffentlich Mühe, einig zu wirken. In Wirklichkeit aber ist der Kampf gegen die Korruption bei Ärzten und Apothekern ein Thema, das die Große Koalition spaltet. Die SPD setzt sich recht nachdrücklich dafür ein; die CDU verhält sich extrem zögerlich. "Es ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung, dass Korruption bei niedergelassenen Ärzten immer noch nicht strafbar ist", sagt die Grünen-Abgeordnete Maria Klein-Schmeink. "Patienten erwarten zu Recht sauberes Verhalten ihres Arztes und ihres Apothekers."
Man kann das Zögern der CDU menschlich sogar nachvollziehen. Für die Partei agiert im Bundestag ein Fachpolitiker, der gleichzeitig seit vielen Jahren ein Spitzenfunktionär der Ärzte ist. Der Abgeordnete Rudolf Henke, selbst Oberarzt, sitzt im Vorstand der Bundesärztekammer, sitzt im Vorstand der Ärztegewerkschaft Marburger Bund und sitzt auf dem Stuhl des Präsidenten der Ärztekammer Nordrhein.
Never ending story - warum das Anti–Korruptionsgesetz noch immer nicht in Kraft getreten ist
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) lässt unter anderem bei Krankenkassen neue "Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen" einführen. Wegen Unklarheiten beim Datenschutz können diese Stellen aber erst ab 2008 wirklich arbeiten.
Der SPD-Gesundheitsexperte und Jurist Edgar Franke weist auf eine Gesetzeslücke hin: Niedergelassene Vertragsärzte könnten für Bestechung nicht bestraft werden. Franke fordert die schwarz-gelbe Koalition auf, das Strafrecht zu ändern. Die Union lehnt das ab.
Der Bundesgerichtshof (BGH) gibt der SPD Recht: Niedergelassene Ärzte sind keine Amtsträger und können deswegen nicht für korruptives Verhalten bestraft werden. Das Gericht fordert den Gesetzgeber auf, das zu ändern.
Bevor die schwarz-gelbe Koalition endet, schlägt Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) ein Gesetz gegen Korruption vor. Der Entwurf geht Kritikern nicht weit genug und scheitert im Bundesrat. Die nächste Regierung muss wieder ganz von vorne anfangen.
SPD und Union unterschreiben ihren Koalitionsvertrag. Darin vereinbaren sie, Korruption im Gesundheitswesen mit dem Strafrecht zu ahnden. Bis Juli 2014 reichen dazu mehrere Bundesländer Gesetzesvorschläge ein. Lobbyisten wappnen sich.
Das Justizministerium lädt 35 Interessensvertreter zu einem "Fachforum" ein. Die Berufsverbände können vor dem ersten Gesetzentwurf ihre Meinung äußern. Nicht dabei sind unabhängige Anti-Korruptionsverbände wie "Mezis" oder Transparency International.
Justizminister Heiko Maas (SPD) veröffentlicht den Gesetzentwurf. Weil das Strafgesetzbuch geändert werden soll, sind die Rechtsexperten in Koalition und Parlament für das Gesetz zuständig. Die Gesundheitspolitiker sollen sie beraten.
Die Linkspartei bringt einen eigenen Antrag heraus, weil sie mit dem Gesetzentwurf nicht zufrieden ist: Es sei nur Bestechung aufgeführt, nicht aber Vorteilsnahme. Auch Ärzte-Sponsorings von der Pharmaindustrie würden nicht geahndet.
Die Minister von SPD und Union stimmen dem Maas-Entwurf im Bundeskabinett zu. Danach äußert der Bundesrat einige Änderungsvorschläge. Und dann wird der Gesetzentwurf im Rechtsausschuss des Bundestags diskutiert.
Im Bundestag findet die erste Debatte zum Gesetzentwurf statt. Grundsätzlich betonen alle Parteien, wie wichtig es sei, ein Anti-Korruptionsgesetz zu schaffen. Es wird aber deutlich, dass die Koalition noch über Details verhandeln muss.
Bei einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss verstärken die von der Union eingeladenen Sachverständigen deren Zweifel. Seitdem hängt das Verfahren in der Schwebe: Intern sprechen CDU-Abgeordnete noch einmal mit Vertretern der Gesundheitsbranche. Es ist unklar, wann das Gesetz kommen soll - auch noch Mitte Februar 2016 ...
Den Lobbyisten geht es konkret um die geplanten Paragraphen 299a und 299b im Strafgesetzbuch. Die Bundesärztekammer etwa schimpft regelmäßig, ihre Mediziner würden von einem Anti-Korruptionsgesetz unter Generalverdacht gestellt und das Vertrauen zum Patienten geschädigt. Sie wollen vor dem Gesetz gern weiterhin als Spezies gelten, der Korruption nicht allzu nah ist und die, sollte es denn doch mal dazu kommen, die Dinge selbst regelt.
Berufsrechtliche Verstöße seien zu sehr in die Nähe zur Korruption gerückt, ließ sich kürzlich Frank Ulrich Montgomery vernehmen. Der Präsident der Bundesärztekammer gab sich aber selbstbewusst: Er sei guter Hoffnung, "noch dafür sorgen zu können, dass diese entfernt werden“. Die Linken-Abgeordnete Kathrin Vogler traut Montgomery da einiges zu: "Es ist zu befürchten, dass hinter den Kulissen noch daran gearbeitet wird, Einschränkungen beim Straftatbestand in den Gesetzentwurf einzuarbeiten."
Aus der Krebsmittelbranche mischte sich neben anderen der Marktführer in der Zubereitung von Chemotherapien in den Gesetzgebungsprozess ein, die Firma Zytoservice. Das Unternehmen residiert in Hamburg und hielt es offenbar für dienlich, Bundestagsabgeordnete mit Argumenten gegen allzu scharfe Regelungen zu versorgen.
Auch in dieser Woche fand das Anti-Korruptionsgesetz seinen Weg nicht in den Bundestag, obwohl es die Bundesregierung in ihrer internen Vorhabensplanung immer wieder aufsetzte. Das Anti-Korruptionsgesetz sei "beschissen", sagte der Pharmahändler Rolf-Dieter Lampey bei einem der Treffen in der Praxis in Hamburg. Einschätzungen wie diese müsste die Große Koalition eigentlich als Ermunterung verstehen, den langwierigen Gesetzgebungsprozess jetzt endlich und ohne größere Abschwächungen abzuschließen.
Dass sich etwas ändert in der Krebsmittelbranche, würde vor allem auch den Kranken selbst helfen. Die Fixierung auf immer mehr Profit bedroht letztlich auch sie. "Wenn ich mich als Onkologe erst einmal in das System der Zusatzhonorierungen hineinbegebe, werde ich zunehmend weniger frei in meiner Entscheidung als Arzt“, sagt Dr. Ulrich Fritz. "Dann verschreibe ich mehr Chemotherapien als nötig, einfach, weil man dadurch mehr Geld bekommt.“