Papst-Reisen Das Phänomen Wojtyla

Papst Johannes Paul II. reist gern und viel. Bisher hat er es in 25 Dienstjahren auf 102 Auslandreisen gebracht. In Mexiko-City 1979 waren fünf Millionen Menschen auf der Straße, um den Heiligen Vater live zu erleben.

Papst Johannes Paul II. kann kaum noch gehen - doch vom Reisen hält ihn das nicht ab. Er muss häufig mit einer Plattform ins Flugzeug gehoben werden, zum Altar schieben ihn Helfer im Rollstuhl - doch unbeirrbar macht er seinen Weg. Er hat in seiner 25-jährigen Amtszeit 102 Auslandsreisen unternommen, zuletzt war er im September in der Slowakei. "Niemand hätte sich je träumen lassen, dass ein Papst so viele Reisen unternimmt", kommentierte ein Vatikan-Insider unlängst - wohl nicht einmal der Papst selbst.

Im Sommer in die Mongolei

Die Vorsehung sehe es für manche Menschen eben vor, "etwas im Übermaß zu tun", meinte der alte Pole schon vor Jahren. Das klingt fast wie eine Entschuldigung. Dabei liebt er nur wenige weltliche Dinge mehr als das Reisen. Große Reiseziele hat der 83-Jährige weiterhin - auch die Mongolei will er noch besuchen.

"Kein anderer Weltführer feierte derartige Triumphe unter freien Himmel und vor solch dramatischer Kulisse", schreibt ein Papst-Biograf. Die Reisen sind das Markenzeichen seines bald 25-jährigen Pontifikats. Sein rastloses Um-die-Welt-Jagen brachte ihm den Spitznamen "der eilige Vater" ein - mitunter aber auch Kritik. Zu teuer, zu sehr auf Medien-Wirkung abgestellt seien seine Trips, manchmal gar nur Spektakel. Doch das kontert der Pole selbstbewusst. "Hast Du gelesen, was Jesus gesagt hat?", beschied er einem Kritiker schon vor Jahren. "Geht und verkündet das Evangelium in der ganzen Welt. Und daher gehe ich um die ganze Welt."

Der Mann aus Krakau war nicht mal drei Monate im Amt, da trieb es ihn im Januar 1979 erstmals aus dem Vatikan. Es ging nach Mexiko und auf die Bahamas - nicht zufällig lagen die Ziele im Süden, zu den Armen und den "wirklich Gläubigen". Stilsicher, als habe er schon ein Dutzend Reisen hinter sich, setzte der Pole Maßstäbe, die für alle seine Reisen gelten sollen.

Fünf Millionen in Mexiko

Schon bei der Fahrt durch die Straßen durch Mexiko-Stadt grüßten ihn fünf Millionen Menschen - die Welt staunte, und Kommentatoren meinen seitdem, eine Papstmesse mit weniger als einer Million Gläubigen sei fast schon ein Flop. In der "Indianer Stadt" Oaxaca rief er den Menschen zu, der Papst stehe auf der Seite der Volksmassen.

Die Stimme der Armen erhebt er seitdem auf jeder Reise. Und schon in Mexiko hatte er das untrügliche Gespür für starke Bilder - Indianer in bunten Gewändern, Männer hoch zu Ross, und 100 Volksmusiker schmückten seine Messen. Auch das sollte so bleiben.

Als er im Juni 1979 erstmals ins damals noch sozialistische Polen fuhr, war das vor allem ein Politikum: Warnung und Herausforderung zugleich auch an den Kreml. Millionen waren auf den Beinen, der Papst machte sich faktisch zum "Beschützer" der jungen Demokratiebewegung - und wirkte so mit am Fall des Kommunismus.

"Herzensziel" Israel

Er liebt die großen Geste und die großen Worte. Das Paradox: Je älter, je gebrechlicher der Papst wurde, desto spektakulärer wurden seine Reisen. Höhepunkt, "Herzensziel" seit Jahrzehnten war Israel. Frühjahr 2000, Jerusalem: Der Papst betet an der Klagemauer, allein bis auf eine Kamera. Da rafft sich der alte Mann auf, steckt nach jüdischer Tradition einen "Brief an Gott" in die Mauerritzen - mit der Bitte um Vergebung für das Unrecht, das den Juden angetan wurde.

"Der Papst ist ein Naturtalent", meinte eine deutsche Journalistin zu seinem sicheren Gespür für Wirkung. Als junger Mann war er Schauspieler auf einer Krakauer Studentenbühne - die Erfahrung hat ihm sicher geholfen. Ob der Papst in den Weiten Afrikas mit den Gläubigen scherzt, in Neu-Delhi mit seinem Stock in der Luft fuchtelt oder sich in Australien mit einem Koalabären im Arm fotografieren lässt - die Herzen der Menschen fliegen ihm zu.

Staunend verfolgten etwa Millionen Fernsehzuschauer, wie die jungen Leute beim Weltjugendtag 2002 in Toronto den greisen Mann feierten. "Man kann die Wärme seiner Ausstrahlung fast körperlich spüren", meint ein Begleiter im Papst-Tross. Erklären kann auch er das "Phänomen Wojtyla" nicht.

"Land Luthers" gilt als schwieriges Pflaster

Nur in Deutschland, und einigen wenigen Ländern im "aufgeklärten" bis Glaubens-fernen Mitteleuropa, war es etwas problematischer. Das "Land Luthers" gilt als schwieriges Pflaster. Dennoch jubelten ihm im November 1980 Hunderttausende zu, als er erstmals in Deutschland war. Als er im Juni 1996 zum dritten Mal nach Deutschland kam, gab es in Berlin Pfiffe und Demonstrationen gegen den konservativen Papst. Seitdem reist er lieber nach Asien, Afrika und in den Nahen Osten.

DPA
Peer Meinert

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