Missbrauchs-Prozess gegen Ex-Chefarzt In die Falle gelockt

  • von Anette Lache
Ein Chefarzt soll 13 Frauen betäubt und missbraucht haben. Nun wird ihm in Bamberg der Prozess gemacht. Im stern erzählt eine Studentin, wie sie ihn entlarvte.

Sie sieht sich selbst, wie sie vor dem Parkhaus des Klinikums steht und telefoniert. Aber sie weiß bis heute nicht, wie sie dorthin gekommen ist und ob sie sich selbst die Hose angezogen hat nach der Untersuchung. Oder ob er das getan hat. Sie sieht sich, wie sie mit 140 Stundenkilometern in ihrem Smart über die Autobahn rast. Euphorisch, unbeschwert, völlig losgelöst. War das tatsächlich sie? Heute ist ihr klar: Sie hätte verunglücken können, so benommen, wie sie da gewesen sein muss.

Es sind unwirkliche Bilder, die Carina Tucher (Name geändert) von dem frühen Abend des 28. Juli 2014 hat. Von den anderthalb Stunden zwischen 17.45 und 19.15 Uhr sind ihr nur Sekunden in Erinnerung. Schnappschüsse, mehr nicht, obwohl sie immer wieder versucht hat, noch mehr Bilder in ihrem Gedächtnis abzurufen. Vergebens.

Wochenlang hat sie sich gequält, vor allem nachts, wenn sie erschöpft war und trotzdem nicht schlafen konnte. Aber außer den beiden Erinnerungsfetzen ist da nichts. Nur ein schwarzes, hässliches Loch.

Als hätte sie jemand dorthin teleportiert

Auch sie, die Medizinstudentin, hatte ihm vertraut. Dem freundlichen, erfolgreichen Chefarzt Dr. Heinz W., den sie im OP sogar mal tanzen gesehen hat zu Popmusik. Der von seinen Kindern erzählte. Sie hatte noch mitbekommen, wie er ihr etwas spritzte. Das Kontrastmittel, hatte sie gedacht. Danach gibt es keine Erinnerung mehr, bis sie sich in der Nähe der Parkplätze des Bamberger Klinikums wiederfand. Als hätte sie jemand dorthin teleportiert.

Diese Geschichte ...

... ist dem aktuellen stern entnommen - jetzt am Kiosk.

Carina Tucher sitzt in der Kanzlei ihres Anwalts, ihr Freund Andreas Holt (Name geändert) ist bei ihr, manchmal berühren sich ihre Hände. Carina Tucher ist eine attraktive junge Frau, 27 Jahre alt, mit einem zarten, schönen Gesicht und einem sehr schlanken Körper. Sie trägt Perlenohrringe und Ballerinas an diesem sonnigen Vormittag.

Sie war die Erste, die Heinz W. anzeigte, inzwischen sind es 13 Frauen, unter ihnen zehn Patientinnen, die er zwischen 2008 und 2014 laut Anklage narkotisiert und sexuell missbraucht haben soll. Die älteste ist 28, die jüngste 17.

Hoch konzentriert wirkt Carina Tucher, während sie ihre Geschichte erzählt. In der es, so glaubt sie, auch um perfiden Vertrauensmissbrauch unter dem Deckmantel der ärztlichen Untersuchung geht. Und um die Ausnutzung von Macht. Es helfe ihr, darüber zu sprechen, sagt Carina Tucher. Weil sie dann nicht das Gefühl habe, ohnmächtig allem ausgeliefert zu sein.

Anfang Juli 2014, Klinikum Bamberg

Fast zwei Monate ihres Praktikums in der Chirurgie des Bamberger Klinikums hat Carina Tucher schon hinter sich, als sie im Juli in die Gefäßchirurgie wechselt. Für acht Wochen soll sie in der Abteilung von Heinz W. arbeiten, mit ihm im Operationssaal stehen, Dienst in seiner Ambulanz tun. Sie hat den 48-Jährigen zuvor schon bei Visiten auf der Intensivstation erlebt. Sehr nett sei er zu den Studenten gewesen. "Er hat nicht die Distanz aufgebaut, wie das sonst bei Chefärzten der Fall ist."

Heinz W. ist smart, nicht unattraktiv, er hat Freunde unter den Kollegen. Erst nachträglich beschreibt ihn mancher als Wichtigtuer und Blender. Einer nennt ihn "den seltsamen Heiligen aus der Gefäßchirurgie".

Schon in ihrer ersten Woche spricht W. Carina Tucher an. An einem Morgen, als er allein mit ihr im Ärztezimmer ist. Er habe ihr von einer wissenschaftlichen Studie erzählt, für die er Daten sammle, sagt sie. "Er suche noch Probandinnen, die wie ich einen niedrigen Body-Mass-Index hätten. Er begründete die Auswahl damit, dass junge, schlanke Frauen ein deutlich höheres Risiko hätten, dass sich bei ihnen an einer bestimmten Stelle im Becken ein sogenannter Venensporn bilde. Und dass das zu einer Thrombose führen könne."

Sie spricht immer nur von "es"

Für die Medizinstudentin im zwölften Semester klingen die Ausführungen des Chefarztes schlüssig. Und schließlich gilt er als einer der führenden Spezialisten für Beckenvenenthrombosen in Deutschland.

Carina Tucher fragt Heinz W. nach näheren Informationen über die Studie, er will sie ihr zukommen lassen. "Man konnte da noch nicht misstrauisch werden", sagt sie. "Er hat sich die Normalität zunutze gemacht, unter Medizinern werden ständig darüProbanden gesucht. Es war also nicht ungewöhnlich, dass er mich fragte, ob ich an einer Studie teilnehmen möchte."

Zwei Wochen nach diesem ersten kurzen Gespräch hakt sie nach, als sie ihn zufällig auf dem Gang trifft, fragt noch einmal nach den Unterlagen. "Ja, ja, die bekommen Sie", habe er gesagt. "Das war drei Tage, bevor es dann passiert ist."

"Es." Kein einziges Mal spricht sie in diesen Stunden in der Anwaltskanzlei aus, was die Staatsanwaltschaft Heinz W. vorwirft: Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, gefährliche Körperverletzung und "Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen". Der Angeklagte habe die Frauen unter dem Vorwand einer ärztlichen Behandlung oder einer medizinischen Studie mittels eines Hypnoti- kums willenlos und handlungsunfähig gemacht und dann durch "Manipulationen im Intimbereich" sexuell missbraucht. Der Mediziner bestreitet einen sexuellen Hintergrund seiner Taten.

28. Juli 2014, in der Ambulanz der Gefäßchirurgie

Am folgenden Montag, es ist der 28. Juli, wird sie von Heinz W. angesprochen. Er fragt, ob sie an diesem Tag Zeit habe für die Studie, nach 16.30 Uhr, dann sei er mit den Patienten in der Ambulanz durch.

Gegen 17 Uhr ruft er sie über das Stationstelefon an. Als Carina Tucher in der Ambulanz auf der Ebene 3 ankommt, sind die Gänge bereits dunkel, es ist niemand mehr da. Nur in einem Untersuchungszimmer brennt noch Licht. Heinz W. steht hinter dem Empfangstresen. Sie plaudern. Er erklärt ihr an einer Schautafel noch einmal, worum es in der Studie gehe. "Es gab wieder nichts, wo ich hätte misstrauisch werden können", sagt Carina Tucher. Er will ihr später das Studienprotokoll geben.

"Ich war trotzdem ziemlich nervös, ich bin keine gute Patientin. Er sagte, er müsse mir ein Kontrastmittel spritzen. Ich habe nicht nachgefragt, obwohl ich die Verwendung von Kontrastmittel eigentlich nur von der Lebersonografie kannte. Ich dachte, er wird mir das während der Untersuchung schon noch erklären. Ich ging ja davon aus, dass ich alles mitbekommen würde."

"Das war das Letzte, was ich mitbekam"

Das Untersuchungszimmer ist klein und zweckmäßig: eine Liege, ein Ultraschallgerät, ein Schreibtisch mit Stuhl. Der Raum hat zwei Türen, beide sind geschlossen, als der Arzt mit der Untersuchung beginnt.

"Ich habe meine Hose und meinen Kittel ausgezogen, Slip und T-Shirt aber angelassen. Dr. W. fuhr anschließend 15 oder 20 Minuten mit dem Ultraschallkopf die Beine bis zu den Leisten ab, so wie das bei der Untersuchung auch üblicherweise gemacht wird."

Bevor Carina Tucher den Venenzugang gelegt bekommt, verlässt der Arzt für ein paar Minuten den Raum. Er müsse noch etwas holen. Was, weiß sie bis heute nicht.

"Als er zurückkam, wollte er mir den venösen Zugang legen, auf der Innenseite des Unterarms. Es gelang ihm nicht. Heute denke ich: Vielleicht war er nervös. Er probierte es in der Ellenbeuge, das klappte. Dann injizierte er mir das vermeintliche Kontrastmittel über den Zugang. Das war das Letzte, was ich mitbekam."

Orientierungslos und verwirrt wirkt sie

Von ihrem Freund erfährt sie später, dass sie mit ihm telefoniert hat. Gegen 19 Uhr, als sie eigentlich schon längst mit ihm in der Tanzschule sein wollte. 25 Kilometer muss sie dann auf der A 73 unterwegs gewesen sein und fünf Kilometer über Land.

Im Tanzkurs scheitert Carina Tucher selbst beim Discofox, einfachste Schrittkombinationen bringt sie nicht zustande, seltsam orientierungslos und verwirrt wirkt sie auf ihren Freund. Sie will ihm erklären, weshalb sie so spät gekommen ist, aber sie kann sich an nichts erinnern. Nur, dass sie nach ihrem Dienst zu einer Untersuchung zu Heinz W. gegangen sei.

Immer und immer wieder geht sie die Zeit in Gedanken durch, vergebens. Zum ersten Mal kommt ihr der Gedanke, Heinz W. könnte ihr etwas anderes gespritzt haben als Kontrastmittel. Ein vager Anfangsverdacht, den sie nicht zu Ende denken will. Zu ungeheuerlich die Vorstellung, ein bundesweit bekannter Gefäßchirurg habe sie in einem Untersuchungszimmer des Bamberger Klinikums betäubt.

"Und dann ist wieder alles in Ordnung, in meinem Leben"

"Ich dachte nur: Du musst dir Blut abnehmen lassen, irgendetwas stimmt da nicht. Eine solche Gedächtnislücke hatte ich noch nie. Immerhin fehlte mir über eine Stunde." Gegen 20.45 Uhr fährt ihr Freund sie in ein nahe gelegenes Krankenhaus. "Es war merkwürdig: Einerseits wollte ich damit ausschließen, dass etwas Schlimmes passiert ist, andererseits hatte ich überhaupt noch nicht realisiert, dass das tatsächlich so sein könnte. Ich klammerte mich an die Hoffnung, es gibt eine logische Erklärung für die Erinnerungslücke. Und dann ist wieder alles in Ordnung, in meinem Leben."

Doch die diensthabende Ärztin habe ihr kein Blut abnehmen wollen, für Teilnehmer an Studien gebe es in solchen Fällen Notfallnummern. Andreas Holt bietet an, die Untersuchung selbst zu bezahlen, aber auch dazu habe die Medizinerin Nein gesagt. Auf Drängen ihres Freundes habe sich die Ärztin schließlich im Klinikum Bamberg die Privatnummer von W. geben lassen und ihn angerufen.

"Warum sollte ein Chefarzt so etwas tun?"

"Sie sagte zu Dr. W., ich hätte die Vermutung, er habe mir K.-o.-Tropfen gespritzt. Mir war das peinlich, das hatte ich so auch nie gesagt. Ich wollte niemanden zu Unrecht verdächtigen, schon gar nicht einen Arzt, mit dem ich am nächsten Tag wieder zusammenarbeiten musste. Ich wollte einfach nur mein Blut untersuchen lassen."

Carina Tucher spricht am Telefon auch selbst mit W., sagt ihm, sie wisse nicht, was mit ihr los sei, sie habe einen totalen Gedächtnisverlust erlitten, den sie sich nicht erklären könne. "Er sagte mir, er habe mir zusätzlich zu dem Kontrastmittel ein Antihistaminikum gespritzt. Eine derartige allergische Reaktion hätte er auch noch nicht erlebt. Er würde mir sicherheitshalber gleich am nächsten Tag einen Ausweis darüber ausstellen."

Das Telefonat endet. Carina Tucher und ihr Freund bestehen weiter auf einer Blutuntersuchung, ohne Erfolg. "Die Ärztin sagte, dafür müsse ich erst bei der Polizei Anzeige erstatten gegen Dr. W., und sie fragte mich auch: Warum sollte ein Chefarzt so etwas tun?"

Carina Tucher will nicht aufgeben. "Mir war klar, wenn jetzt kein Blut abgenommen wird, wird nichts mehr nachweisbar sein." Zu Hause angekommen telefoniert die Medizinstudentin mit ihrem Vater, der Internist ist. Mit ihm überlegt sie erneut, ob ihr Gedächtnisverlust nicht noch eine andere Ursache haben könnte als ein Betäubungsmittel. Nein, befinden die beiden. Wir müssen Blut abnehmen.

28. Juli, 23.30 Uhr, auf einem Rastplatz an der A 73

Carina Tuchers Vater geht in seine Praxis, holt Röhrchen und Spritzen zur Blutentnahme Über 80 Kilometer wohnen er und das junge Paar auseinander. Auf halber Strecke treffen sie sich auf einem Autobahnrastplatz. Gegen 23.30 Uhr sind die beiden dort, wenig später kommt der Vater dort an. Carina Tucher setzt sich zu ihm ins Auto, er bindet ihr den Stauschlauch um den Oberarm und nimmt ihr sechs oder sieben Röhrchen Blut ab. Genau bekommt sie das nicht mit, sie ist müde und will das alles nur noch hinter sich bringen.

Ihr Vater fährt in seine Praxis, zentrifugiert noch in der Nacht einen Teil des Blutes, friert einen Teil ein. Am nächsten Morgen schickt er das Blut seiner Tochter in ein Labor und bittet, es auf Benzodiazepine zu untersuchen, sedierend und Schlaf fördernd wirkende Arzneien. Am nächsten Tag soll das Ergebnis kommen.

Lange nach Mitternacht kehrt das junge Paar nach Hause zurück. "Wir hofften so sehr, dass nichts dabei herauskommen würde", sagt Carina Tucher.

Dienstag, 29. Juli, Klinikum Bamberg

Am Tag nach der Untersuchung schenkt ihr Chefarzt Dr. Heinz W. einen Amazon- Gutschein – als Dankeschön dafür, dass sie sich so selbstlos in den Dienst der Wissenschaft gestellt habe. 30 Euro für die Sonografie ihrer Beinvenen, für die Teilnahme an einer Studie über Beckenvenenleiden. Alle Probanden würden diesen Gutschein bekommen, sagt er ihr.

Später im OP spricht sie ihn noch einmal auf die Geschehnisse vom Vortag an. "Von einem Antihistaminikum im Kontrastmittel war plötzlich nicht mehr die Rede. Er erzählte mir, er sei abends nach dem Telefonat noch einmal in die Klinik gefahren, um den Beipackzettel des Kontrastmittels aus dem Papierkorb zu holen. Aber die Putzfrauen hätte schon alles entsorgt. Das fand ich merkwürdig, jeder schaut das heute im Internet nach." Er nennt ihr den Namen des Leiters der angeblichen Studie.

Abends ruft Andreas Holt den Professor einer ostdeutschen Universität an und erfährt, dass es eine solche Studie gar nicht gibt. Carina Tucher recherchiert indes das genannte Kontrastmittel, das ihr W. gegeben haben will. Sie findet heraus, dass Sonovist in Deutschland nie zugelassen wurde, nie auf den Markt gekommen ist.

Mittwoch, 30. Juli, im OP

Carina Tucher bleibt hartnäckig, obwohl er viele Stufen über ihr in der Krankenhaushierarchie steht. Sie spricht ihn auf dem Gang der Gefäßchirurgie an, er nimmt sie mit in sein Chefarztzimmer. Sie trinken Kaffee, Heinz W. teilt sich ein Hörnchen mit ihr. Sie will Informationen sammeln, heimlich weiterrecherchieren.

"Er erzählte mir, er habe inzwischen doch noch den Beipackzettel des Kontrastmittels gefunden. Früher habe dieses zusätzlich Midazolam, ein Sedativum, enthalten, das erkläre möglicherweise meine Erinnerungslücke. Womöglich hätte er mir solch ein altes Kontrastmittel gespritzt. Ich sagte ihm, Midazolam im Kontrastmittel mache keinen Sinn bei einer derartigen Untersuchung. Ich habe ihm seine Erklärungen nicht mehr geglaubt, andererseits dachte ich aber auch immer wieder: Es darf einfach nichts Schlimmes passiert sein."

Später steht sie erneut mit Dr. W. im OP. Gegen 11 Uhr klingelt das Telefon, eine Schwester hält ihr den Hörer ans Ohr. Ihr Freund ist dran, er hat die Untersuchungsergebnisse. "Der Spiegel an Benzodiazepinen war zum Abnahmezeitpunkt noch so hoch, dass klar war: Er muss sie komplett abgeschossen haben an diesem Abend", erzählt Andreas Holt.

Als sie die Ergebnisse der Blutuntersuchung erfährt, ist sie geschockt

Carina Tucher ist geschockt. Als angehende Ärztin weiß sie, dass das Hypnotikum dazu führt, dass man schon nach kurzer Zeit das Bewusstsein verliert und neue Dinge meist nur noch für ein bis zwei Minuten im Gedächtnis bleiben, die Merkfähigkeit dramatisch reduziert ist. Anterograde Amnesie nennen Ärzte das.

"Es war ein ganz schlimmer Moment, als ich erfahren habe, wie hoch die Konzentration war. Ich wollte das erst nicht wahrhaben, dass eingetroffen ist, was wir befürchteten. Ich sagte Dr. W., dass meine Blutwerte da sind. Dass ich nach Hause gehen und nicht wiederkommen würde. Er tat erstaunt. Und ich habe geheult, als ich raus bin." Draußen auf dem Flur ruft sie ihren Freund noch einmal an. Er sagt: "Jetzt ist Schluss, jetzt gehen wir zur Polizei."

Die Medizinstudentin weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Ungeheuerliche: Heinz W., der Familienvater und Kirchgänger, hat, während sie auf der Untersuchungsliege lag, einen Videofilm gedreht, wie die Ermittlungen später ergaben. Er muss ihr den Slip ausgezogen haben. Den Film und Hunderttausende Fotos, gewonnen aus Videosequenzen, von ihr und den anderen Frauen, hatte er auf seinen Rechnern, auch auf seinem Computer zu Hause. Viele beschriftet.

31. Juli, bei der Polizei in Bamberg

Am nächsten Morgen stellt sie Strafanzeige wegen Körperverletzung. Heinz W. ist da schon in den Urlaub gefahren. Nach Sylt, mit seiner Frau und den beiden Kindern.

Immer wieder versucht er in den nächsten Tagen, Carina Tucher auf dem Handy zu erreichen. Nur ihr Freund geht manchmal dran, er bleibt freundlich, er will den Arzt nicht warnen. Statt des immer noch fehlenden Studienprotokolls schickt der ihr Anfang August per Mail ein Gedächtnisprotokoll der Untersuchung am 28. Juli. Und ein Foto von einem Strand auf Sylt.

Bis zu seiner Festnahme am 20. August hört Carina Tucher nichts mehr von ihm. Am Tag darauf liest sie in der Zeitung, dass Haftbefehl gegen den Mediziner erlassen wurde. Noch ahnt sie nicht, dass er in den jüngeren Fällen, zu denen sie gehört, auch mit Sexspielzeug "untersucht" haben soll.

Die Kripobeamten fragen Carina Tucher, ob sie das Video und die Fotos anschauen wolle. "Eigentlich wollte ich nicht wissen, was er mir angetan hat. Ich hatte Angst, dass ich die Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommen würde. Aber nachdem er jegliche sexuelle Motivation geleugnet hatte, musste ich von der Kripo noch mehrmals befragt werden. Dabei wurde ich mit allem konfrontiert. Ich fühlte mich erniedrigt und hintergangen. Auch heute noch bin ich wütend. Und manchmal traurig."

Die wichtigste Zeugin

"Unser Mandant ist auf gar keinen Fall ein Sexualtäter", sagt Heinz W.s Verteidiger Dieter Widmann. "Seine Handlungen im Untersuchungszimmer stehen objektiv fest, aber wir bleiben dabei, dass es von Seiten des Angeklagten keine sexuelle Motivation gegeben hat. In den Videos und auf den Fotos sieht man ihn lediglich arbeiten, persönlich interessiert ihn der Scham- und Geschlechtsbereich nicht im Geringsten. Unser Mandant hat ausschließlich medizinisch forschend gehandelt."

"Das ist Unfug", sagt Martin Reymann- Brauer. Der Anwalt aus Erlangen vertritt sechs der betroffenen Frauen. "Es wird vor Gericht widerlegt werden, dass diese Eingriffe einen medizinischen Sinn haben. Egal, wie wortgewaltig der Angeklagte dort auftreten wird." Ähnlich äußert sich auch der Anwalt von Carina Tucher: "Für eine wissenschaftliche Studie muss man Frauen nicht betäuben", sagt Jürgen Scholl.

Auch ein Gutachten, das die Anklagebehörde in Auftrag gegeben hat zu der Frage, ob wissenschaftlich zu erklären sei, was der beschuldigte Chefarzt getan habe, soll vernichtend ausgefallen sein. "Das Gutachten wurde nicht von einem Gefäßmediziner erstellt", kritisiert dagegen Widmann. Zu den Betäubungsvorwürfen will er sich aus verteidigungstaktischen Gründen derzeit nicht äußern.

Carina Tucher ist die wichtigste Zeugin in dem Prozess gegen den inzwischen entlassenen Chefarzt, der am 7. April beginnt. Weil sie die Einzige ist, bei der man das Betäubungsmittel im Blut nachgewiesen hat. Sie war die Einzige, die es untersuchen lassen hat, obwohl auch einige der anderen Frauen über Symptome klagten.

Angst vor der Gerichtsverhandlung hat die 27-Jährige nicht. Sie will das Verfahren verfolgen, Heinz W. in die Augen sehen. Zumindest solange ihre Seele das aushält.

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