Plädoyers im Mord-Prozess Der Kinomörder von Aurora: Wusste er, was er tat?

Er hat geschossen, er hat getötet - aber hat er auch gemordet? In der Schlussphase des Prozesses um den Amoklauf von Aurora geht es um die Frage, ob der Täter schuldfähig ist.

Die Warnung des Richters geht an das Publikum: "Es ist verständlich, dass die Gefühle Sie übermannen. Aber dann gehen Sie bitte leise nach draußen", sagt Carlos Samour im Gericht in Centennial, einem Städtchen bei Denver. Draußen wartet ein Sheriff - mit einem Karton Taschentücher in der Hand. Der Prozess um die Todesschüsse in einem Kino in Aurora in Colorado hat Emotionen aufgewühlt sowie Tränen und Ratlosigkeit produziert. Dabei geht es in den Schlussplädoyers eigentlich um nur eine Frage: Ist James Holmes geistesgestört - oder wusste er genau, was er machte?

Die Fakten: Am 20. Juli 2012 ging Holmes in die Mitternachtspremiere
eines Batman-Filmes, schlich sich raus und kam mit schusssicherer
Kleidung, Gasmaske und drei Waffen zurück. Zuerst warf er Tränengas,
dann feuerte er mit Schrotflinte, Sturmgewehr und Pistole in die
Menge, zum Teil mit spezieller Munition, die selbst Stahl durchbohrt.
Nach ein paar Minuten waren zwölf Menschen tot, darunter Veronica
Moser-Sullivan. Sie wurde sechs Jahre alt. Jonathan Blunk starb, als
er sich auf seine Freundin warf. Alex Sullivan wurde an seinem 27.
Geburtstag getötet. Matt McQuinn, auch 27, wurde von acht Kugeln
getroffen. Bei Micayla Medek, 23, genügte ein Schuss, sie verblutete.
Immer, wenn ihr Name fällt, sackt ihre Großmutter lautlos schluchzend im Zuschauerraum des Gerichts in sich zusammen.

70 Menschen wurden verletzt, einige vegetieren im Rollstuhl dahin. Caleb Medley zum Beispiel, der mehrfach am Gehirn operiert wurde. "Wir schaffen das, Caleb", sagt sein Vater, der den Rollstuhl seines Sohnes schiebt. "Du schaffst das!" Tapfer lächelt der 26-Jährige, doch es ist gequält. Caleb ist selbst Vater. Sein Sohn Hugo wurde vier Tage, nachdem sein Vater zum Krüppel geschossen wurde, geboren.

Holmes wurde noch am Tatort festgenommen. Dass er es war, bestreitet nicht einmal er selbst. Aber war das alles auch seine Schuld? "Er kam mit nur einem Gedanken ins Kino: Massenmord", sagt Staatsanwalt George Brauchler im Gericht. Seine Argumentation ist sehr emotional aufgebaut. In gut eineinhalb Stunden zeigt er mehr als 850 Seiten einer Präsentation und kommt dabei immer wieder auf die Opfer zurück.

"Er wusste, dass er etwas Böses macht"

Sein Ziel: Er will den zwölf Geschworenen deutlich machen, dass
Holmes schuldig war, dass er einfach schuldig sein muss: "Er hat
alles geplant, perfekt geplant. Er wusste, dass er etwas Böses macht.
Deshalb hat er es auch geheim gehalten. Er wusste, was er tat. Er
wusste es genau." Er habe sogar den Amoklauf von Columbine studiert,
um sein Verbrechen besser zu machen; effizienter, könnte man fast
sagen. In Columbine hatten 1999 zwei Schüler 13 Menschen getötet.
Beide Tatorte sind keine 30 Kilometer voneinander entfernt.

"Das Handeln von Mr. Holmes war nicht logisch. Denn er ist geistig krank", beharrt hingegen Verteidiger Daniel King. "Warum sollte jemand fremde Menschen töten und das auch noch ankündigen? Weil er geistig eben nicht gesund ist." Seit mehr als zehn Jahren habe Holmes Probleme gehabt, so wie seine beiden Großväter, so wie seine Tante: "Wir haben vier Experten gehört, vier Experten sind zum gleichen Schluss gekommen: Schizophrenie." Keiner der Ärzte habe geglaubt, dass Holmes, überdurchschnittlich intelligent, nur etwas vorspielt.

"Schizophrenie ist eine Krankheit. Man bekommt sie wie Krebs. Niemand kritisiert Krebskranke, weil niemand freiwillig Krebs bekommt. Und Schizophrenie auch nicht", sagt King. "Zielgerichtet handeln kann man auch mit einer Geistesstörung. Sich in der Zelle mit Kot beschmieren oder einen Pappbecher auf seinem Penis balancieren, das ist wiederum ein Zeichen einer Störung. Und diese Störung allein ist der Grund für die Tat."

Geschlossene Psychiatrie, Gefängnis oder Giftspritze?

Holmes' Eltern hören in der zweiten Reihe unbewegt zu, wie der
Verteidiger das Bild eines zutiefst kranken Menschen zeichnet. Sie
wissen, dass das das Leben ihres Sohnes retten kann. Denn klar ist,
dass der 27-Jährige die nächsten Jahrzehnte, vielleicht den Rest
seines Lebens kein freier Mann sein wird. Ihm droht die geschlossene
Psychiatrie oder das Gefängnis. Es sei denn, es geht nach der
Staatsanwaltschaft. Dann bekommt er die Giftspritze.

tim/DPA

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