Das Schicksal der Familie Schulze aus Drage gibt der Polizei weiter Rätsel auf. Seit Beginn der Sommerferien in Niedersachsen vor fast vier Wochen werden die 43-jährige Mutter Sylvia und ihre 12 Jahre alte Tochter Miriam aus dem 4100-Einwohner-Dorf an der Elbe vermisst. Der 41 Jahre alte Familienvater Marco wurde tot aus der Elbe geborgen. Die Ermittler gehen längst von einem Familiendrama aus, doch noch immer fehlt von Mutter und Tochter jede Spur.
Da auf dem Gepäckträger eines bei dem toten Vater gefundenen Damenfahrrades der Familie gelbe Spanngurte befestigt waren, fragt die Polizei: "Wem ist am 23. oder 24. Juli ein Mann mit einem silberfarbenen Fahrrad aufgefallen, der mehrere gelbe Spanngurte auf seinem Gepäckträger transportierte?"
Zudem suchen die Ermittler noch immer nach Hinweisen, woher Marco Schulze am Morgen des 23. Juli mit dem grauen Dacia Sandero der Familie kam. Er war gegen 7.30 Uhr auf der Elbuferstraße in Höhe von Stove auf der Fahrt in Richtung Drage gesehen worden. Im Fall der Familie Schulze sind also noch viele Fragen offen.
Was ist bisher bekannt? Was ist ungeklärt? Eine Bestandsaufnahme:
Wie wurde Marco Schulzes Leiche gefunden?
Anwohner sollen den Toten am frühen Morgen des 31. Juli in Lauenburg, in Schleswig-Holstein, nur etwa 20 Kilometer flussaufwärts von Drage, in der Elbe entdeckt haben, berichtet "SHZ"-Online. Der Körper von Marco Schulze habe unweit des nördlichen Ufers vor der Elbpromenade leblos im Wasser getrieben. Gegen 5.30 Uhr hätten die Anwohner die Polizei verständigt. Der Tote müsse nach Schätzungen des Notarztes mehrere Tage im Wasser gelegen haben.
Wie starb Marco Schulze?
Die Obduktion des Toten ergab, dass Maco Schulze in der Elbe ertrunken ist. Ein Fremdverschulden kann der Polizei zufolge ausgeschlossen werden. Aufgrund der Auffindesituation gehen die Ermittler von Suizid aus.
Was ist mit der Mutter und der Tochter?
Von Sylvia und Miriam Schulze gibt es weiterhin keine heiße Spur. Die Selbsttötung des Vaters lässt die Ermittler ein Familiendrama befürchten - einen erweiterten Suizid. Damit bezeichnet die Polizei Taten, bei denen ein Mensch ihm nahe stehende Personen tötet, bevor er sich selbst umbringt.
Welche Hinweise verfolgt die Polizei?
Durch Zeugenvernehmungen erfuhr die Soko Schulze am 3. August, dass zum Haushalt der Familie eine Schubkarre aus Metall gehört, die nicht aufzufinden war. Diese Spur zerschlug sich jedoch kurz darauf. Ein Zeuge meldete sich und sagte, die Schubkarre befinde sich schon seit längerer Zeit bei ihm. Sie steht also nicht in Zusammenhang mit dem Verschwinden der Familie.
Bei dem ertrunkenen Vater war laut einem Polizeisprecher nichts entdeckt worden, was als Spur zu Frau und Tochter führen könnte. Auch ein Abschiedsbrief wurde nicht gefunden. Der Fundort der Leiche wurde intensiv mit Tauchern und einem Sonarboot abgesucht. Auch hier keine Spur von Sylvia und Miriam Schulze.
Dafür entdeckten die Feuerwehrtaucher unterhalb der dortigen Elbbrücke ein silberfarbenes Damenfahrrad. Es gehörte den Schulzes, wie die Polizei mitteilte. Ein ehemaliger Nachbar habe berichtet, er habe es der Familie vor längerer Zeit geschenkt. Die Stelle, an der die Taucher es auf dem Flussgrund fanden, lasse darauf schließen, dass Marco Schulze mit dem Rad auf die Brücke gefahren sei, es ins Wasser geworfen habe und hinterhergesprungen sei.
Bei dem gefundenen Rad handelt es sich aber nicht um das vermisste Herrenrad aus dem Besitz der Familie. Dieses war zwischenzeitlich am Bahnhof in Winsen/Luhe unweit von Drage gefunden worden. Auch hierzu hofft die Polizei auf Tipps aus der Bevölkerung.
Wie gehen die Ermittler in dem Fall vor?
Die Polizei hat eine Sonderkommission mit 25 Beamten eingerichtet. Diese nahm unter anderem das private und berufliche Umfeld der Familie unter die Lupe und wandte sich mit einem Fahndungsaufruf an die Öffentlichkeit. Daraufhin gingen einige Hinweise ein, die aber keine konkrete Spur ergaben. Bei der Suche wurden nach Polizeiangaben auch die sozialen Netzwerke einbezogen. Am Mittwochabend um 20.15 Uhr ist der Fall Thema der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst".
Zudem suchten die Ermittler intensiv in der gesamten Umgebung des Wohnortes. So durchkämmten mehr als 100 Polizisten und sechs Leichenspürhunde das Deichvorland bei Drage. Darüber hinaus durchsuchten Taucher mehrfach die Elbe an einer auch bei den Schulzes beliebten Badestelle in der Nähe des Wohnhauses der Familie. "Mittlerweile ist die Vermutung einer Familientragödie relativ groß geworden, so dass wir jetzt die Suche dahingehend ausdehnen müssen, darüber nachzudenken, wo eventuell Körper versteckt worden seien können", sagte Polizeisprecher Jan Krüger vergangene Woche.
Was ist über die Familie bekannt?
Vater Marco war Angestellter einer Chemie-Fabrik, Mutter Sylvia ist stellvertretende Leiterin einer Lidl-Filiale. Sie hat noch eine weitere, erwachsene Tochter, die aber nicht das Kind von Marco Schulze ist und eine kleine Enkeltochter. Die Familie Schulze wohnt seit zehn Jahren in dem Backsteinhaus in Winsen, Ortsteil Drage. "Von der Familie haben uns die Zeugen ein eher unauffälliges Bild beschrieben", so ein Polizeisprecher. Von Schülerin Miriam weiß man, dass sie am Wochenende nach ihrem Verschwinden einen Termin gehabt hätte - sie sei zu einem bereits bezahlten Reitausflug verabredet gewesen, sagte eine Bekannte zu "Bild": "Das hätte sie nie geschwänzt."
Seit wann ist die Familie verschwunden?
Zuletzt war Vater Marco am Donnerstag, den 23. Juli, um 7.30 Uhr gesehen worden. Er war im Auto seiner Frau - einem grauen Dacia Sandero - unterwegs und offenbar auf dem Weg von Stove, einem Ortsteil der Gemeinde Drage, nach Hause. Das wollen Zeugen beobachtet haben. Wo genau er herkam, ist völlig unklar. Merkwürdig auch: Mutter und Tochter wurden schon seit Mittwochnachmittag von niemandem mehr gesehen.
Im Haus der Schulzes fehlte nichts, auch die Pässe wurden von der Polizei dort gefunden. Beide Autos, ein Opel und ein Dacia, standen in der Auffahrt; sie wurden von der Polizei sichergestellt. Die Katzen wurden unversorgt zurückgelassen. Nur das grüne Herrenfahrrad von Marco Schulze, das mittlerweile am Bahnhof von Winsen entdeckt wurde, war verschwunden.
Eine Chronologie des Falles zeigt die genaue Abfolge der Ereignisse:
21. Juli (Dienstag): Die Familie besucht nach Angaben der Polizei gemeinsam einen Pferdehof in der Nähe von Drage.
22. Juli (Mittwoch): Letzter Schultag in Niedersachsen. Die Mutter wird das letzte Mal lebend gesehen, an ihrer Arbeitsstelle bei dem Discounter Lidl. Die Polizei geht davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt auch die Tochter noch lebt.
23. Juli (Donnerstag): Zeugen wollen den Vater am Morgen im Auto der Frau an der Elbe auf dem Weg von Stove nach Drage gesehen haben.
24. Juli (Freitag): Der Arbeitgeber der Frau ruft bei der Polizei an und meldet sie als vermisst. Beamte aus Winsen (Luhe) kommen, das Haus wird wenig später geöffnet.
25. Juli (Samstag): Die Polizei sucht mit Unterstützung der Feuerwehr in Drage weiter nach den Vermissten. Ein Hubschrauber steigt auf.
27. Juli (Montag): Die Polizei geht an die Öffentlichkeit, auch mit Fotos der drei Vermissten. Parallel wird auch mit Hunden gesucht.
28. Juli (Dienstag): Taucher suchen bei Drage an einer beliebten Badestelle nach den Vermissten.
30. Juli (Donnerstag): Eine Sonderkommission wird eingerichtet. Die Zahl der Ermittler wird von 15 auf 25 erhöht. In Winsen wird am Bahnhof das Herrenfahrrad des 41-Jährigen gefunden. Die Polizei richtet eine eigene Hotline für Hinweise ein.
31. Juli (Freitag): In Lauenburg wird ein Ertrunkener geborgen, es ist der vermisste Vater. Die Polizei schließt Fremdverschulden aus. Noch in der Nacht finden Taucher der Feuerwehr ein Damenfahrrad aus dem Besitz der Familie im Fluss unter der Brücke, von der der 41-Jährige in die Elbe gesprungen sein soll. Rund 50 Polizisten und Feuerwehrleute sind im Einsatz.
1. August (Samstag): Polizeitaucher und ein Sonarboot suchen bei Lauenburg weiter nach der vermissten Frau und ihrer Tochter.
4. August (Dienstag): Die Taucher suchen erneut in der Elbe bei Drage nach der Frau und dem Kind. Mittlerweile sei die Vermutung einer Familientragödie relativ groß geworden, heißt es von der Polizei.
5. August (Mittwoch): Mehr als 100 Polizisten und sechs Leichenspürhunde durchsuchen das Deichvorland bei Drage. Weitere Suchmaßnahmen seien zunächst nicht geplant, heißt es danach - es gebe keine konkreten Anhaltspunkte.
12. August (Mittwoch): Die Polizei sucht in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" nach möglichen Zeugen.
An wen kann man sachdienliche Hinweise richten?
Die Kriminalpolizei in Buchholz hat unter der Nummer o4181-285 285 eine 24-Stunden-Hotline eingerichtet. Außerdem können Hinweisgeber sich an die Polizei Winsen (Luhe), Tel.: 04171/796-0, oder an jede andere Polizeidienststelle wenden.