Betrogen von der eigenen Familie Die lebenden Toten von Uttar Pradesh

Einer von Hundert Totgesagten Indern
Ram Janam Mauriya wurde von seinem Bruder für tot erklärt, damit er dessen Grundstück erbt. 
© Sanja Kanojia/AFP Photo
Im Kampf um Grund und Boden in Indien sind manche derart verzweifelt, dass sie ihre eigenen Brüder, Schwestern und sogar Väter für tot erklären. Die Totgesagten rennen anschließend von Amt zu Amt, um ihre Existenz zu beweisen - oft ein frustrierender Weg. 

Ram Janam Mauriya ist bei bester Gesundheit, den Akten zufolge aber vor einiger Zeit verstorben. Seither versucht der Inder, die Behörden von seiner Existenz zu überzeugen: "Es ist frustrierend", sagt er. "Ich lebe, und trotzdem behaupten sie, ich sei tot." Immer wieder ging der 65-Jährige in den vergangenen zwei Jahren mit Dokumenten zum Bezirksamt, um zu beweisen, dass er lebt. Bisher vergeblich. Mauriya ist einer von hunderten Indern, die von skrupellosen Verwandten im Kampf um Land für tot erklärt wurden.

Hundertfach bestachen Verwandte die Behörden

Bei Mauriya war es sein Bruder, der sich ein Grundstück aneignen wollte und dafür Beamte bestach. Bis Mauriya selbst davon erfuhr, dauerte es Jahre. Das fragliche Stück Land hatte er geerbt, als sein Vater starb. Erst als er vor zwei Jahren die 1500 Quadratmeter seinem Sohn übertragen wollte, kam der Schwindel ans Licht. Von den Behörden erhielt er die Auskunft, sein Bruder sei alleiniger Eigentümer und er selbst für tot erklärt worden. "Es war ein Schock", sagt er. "Vor allem als ich erfuhr, was mein Bruder für eine Rolle spielte."  

Hundertfach bestachen Vetter, Neffen oder sogar die eigenen Söhne der Opfer örtliche Behörden, damit diese entsprechende Dokumente fälschten oder vernichteten. Fast alle Fälle wurden in Uttar Pradesh bekannt, Indiens bevölkerungsreichstem Staat mit hohen Korruptions- und Kriminalitätsraten. Vor allem im Bezirk Azamgarh rund 300 Kilometer östlich der Hauptstadt Lucknow häuften sich die Fälle über die Jahrzehnte.

Verein für tote Menschen

Auch Lal Bihari erfuhr vor fast 40 Jahren, dass sein 1,2 Hektar großes Grundstück auf einen seiner Vetter überschrieben war: Der Cousin hatte sich mit einem örtlichen Beamten zusammengetan, um Bihari als verstorben zu melden. Für Bihari begann ein zermürbender Kampf: "Ich wurde verrückt, monatelang rannte ich von einem Amt zum anderen", erzählt er. "Manchmal beginnt man sogar, an seiner eigenen Existenz zu zweifeln. Dein Feind hat Dich nicht ermordet, und trotzdem bis Du so gut wie tot."

Als er offiziell endlich wieder am Leben war, gründete Bihari die Organisation "Mritak Singh" (Verein für tote Menschen). Inzwischen unterstützt sie landesweit rund 200 Opfer. Zwei Mal trat Bihari während seiner Kampagne sogar bei Parlamentswahlen an. Die Behörden betonen nun, sie hätten der perfiden Masche ein Ende gesetzt: Die meisten Dokumente seien inzwischen digital gespeichert, so dass Personendaten nicht mehr gefälscht werden könnten.

Ob du Land besitzt oder nicht, entscheidet alles

Jagdish Prasad Gupta versucht zu beweisen, dass er überhaupt zur Welt kam. "Den Unterlagen zufolge wurde ich nie geboren, weil mein Vater demnach schon als Kind starb", erzählt der 52-Jährige. 1997 sprachen die Behörden ein Grundstück Guptas einer weiblichen Verwandten zu, die vermutlich Beamte bestochen hatte. Er will nun vor allem die Papiere in Ordnung bringen, damit seine eigenen Kinder nicht eines Tages wieder gegen die Bürokratie kämpfen müssen: "Meine Existenz und die meiner Kinder hängen an der Existenz meines Vaters."

Der Soziologe Mohammad Arshad macht für die Betrügereien den Kampf um Grund und Boden verantwortlich: Indiens rasantes Bevölkerungswachstum lasse manche so verzweifelt um Land kämpfen, dass sie sogar ihre eigene Familie verrieten: "Mit Grundbesitz kann man Geschäftspartner locken, er hilft, Ehepartner für sich selbst und seine Kinder zu finden", sagt Arshad. "Ob Du Land besitzt oder nicht, entscheidet alles".

AFP
eol/Jalees Andrabi

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