Der Schatten, den der große Kleiderschrank auf die Wand wirft und der wie ein großes Tier aussieht. Die große Spinne, die flink unter dem Tisch herumkrabbelt. Oder auch nur diese seltsamen schwarzen Tierchen da draußen im Sandkasten - frischgebackene Eltern können oft nur rätseln, was Baby meint, wenn es immer wieder mit einem begeisterten "dada" seine neuen Entdeckungen dieser Welt mitteilen will. Oder aber wie aus heiterem Himmel plötzlich anfängt zu weinen – vielleicht weil es Hunger hat? Könnte man doch nur verstehen, was das Baby sagen will. Diese kommunikative Barriere führt nicht selten zu Frustration – auf beiden Seiten.
Die Wörter sind schon da bevor der Sprechapparat funktioniert
Das muss nicht sein, meint Vivian König, die diese kommunikative Lücke zwischen Eltern und Kleinkindern mit einer Zeichensprache schließen will – und Babys beim Sprechenlernen unterstützen soll. Babys – so die Idee dahinter – könnten sich eigentlich schon viel früher mitteilen, als sie sprechen können. Warum sollen sich die Kinder also nicht vorher schon mitteilen? Und zwar mit ihren Händen? Viel schneller als die Kontrolle des Stimmapparates erlernt das Baby die Koordination seiner Hände. Die Entwicklung der Muskeln von Zunge, Mund und Stimmbändern, die es zum Sprechen benötigt, ist erst zwischen dem 12. und dem 20. Monat abgeschlossen, wie Vivian König schreibt.
"Zwergensprache" nennt Vivian König diese Babyzeichen, die der Deutschen Gebärdensprache der Gehörlosen entlehnt sind. Allerdings vereinfacht, dass auch kleine Hände damit gut zurecht kommen. In den USA ist das sogenannte "baby signing" schon seit den 80er Jahren verbreitet. Man stellte fest, dass hörende Babys, von denen mindestens ein Elternteil gehörlos war, viel früher mit Gebärden kommunizieren konnten als gleichaltrige Kinder sprechen. Richtige Gebärdensprache, wie sie gehörlose Menschen benutzen, ist "Zwergensprache" jedoch nicht. Was die Babys lernen, sind einzelne Handzeichen für Dinge - analog zu Wörtern. Die Syntax und die besondere und komplizierte dreidimensionale Grammatik der Gebärdensprache lernt ein Kind dadurch nicht..
Einfache Worte zuerst
Dass das Konzept hinter der Zwergensprache nicht nur Hand, sondern auch Fuß hat, beweist die aktuelle Forschung: Mittlerweile ist erwiesen, dass Kleinkinder schon mit sieben Monaten Dinge ihrer Umwelt klar voneinander unterscheiden können. Die ersten Worte verstehen und Gegenständen zuordnen können sie schon mit elf Monaten. Um diese Zeit herum beginnen Kinder auch ihre ersten Worte zu sprechen.
1990 zeigten amerikanische Sprachforscher in einer Studie mit mehreren amerikanischen gehörlosen Familien, in denen die amerikanische Gebärdensprache ASL benutzt wurde, einen zeitlichen Vorteil der Gebärdensprache. Die hörenden Babys der gehörlosen Eltern begannen im Schnitt mit sieben Monaten ihre ersten Wörter zu gebärden. Also circa drei Monate bevor sie ihr erstes Wort sprachen. Dieser zeitliche Vorteil im Vokabular hielt noch eine Weile an, bis der Wortschatz rund 50 Worte umfasste. Dann und beim ersten Quantensprung, der Bildung des Zwei-Wort-Satzes, zogen Lautsprache und Gebärdensprache allerdings gleich.
Mit welchen Babyzeichen sollte man anfangen? Vivian König rät zu einfachen Worten, die den Umgang im gemeinsamen Alltag erleichtern und Grundbedürfnisse des Babys ausdrücken, z.B. Wörter wie "Milch" oder "essen".
"Zwergensprache" verstehen übrigens nicht nur Zwerge. Das Zeichen für "Milch" dürfte jedem bekannt vorkommen: rechte Hand auf Brusthöhe zur Faust ballen, Daumen nach oben abgespreizt, Faust dreimal öffnen, dabei schließen - das alles nur ohne Kuh!